"Plötzlich liefern die Kunden Strom"

Wolfgang Anzengruber.
Wolfgang Anzengruber über neue Geschäftsideen und Konkurrenz durch Google & Co.

Nichts ist mehr so wie es einmal war in der heimischen Stromwelt. Die Zunahme der erneuerbaren Energien macht den alt eingesessenen Energiekonzernen das Leben schwer. Der KURIER sprach mit Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber über die Zukunft von Großkraftwerken, die Digitalisierung und neue Partnerschaften.

KURIER: Private Solar- und Windkraft wächst, Großkraftwerke sperren zu. Bangen Sie um ihren Absatz? Wolfgang Anzengruber: Nein. Wir verkaufen mehr Energie. Was weniger wird, ist die fossile Stromerzeugung, beginnend mit Kohle. Strom wird im Gesamtenergieverbrauch wichtiger, der Anteil wächst.

Wenn viele kleine Anlagen Strom erzeugen: Wozu brauchen wir Großunternehmen wie den Verbund noch?Die traditionelle Geschäftsbeziehung "Kraftwerk – Leitung – Kunde" gibt es bald nicht mehr. Denn plötzlich liefert auch der Kunde Strom. Es geht nicht um entweder die Kleinen oder die Großversorger, es muss gemeinsam gehen.

Wo sehen Sie die Aufgabe der großen Versorger künftig?

Die privaten Fotovoltaikanlagen werden nie Städte versorgen können. Außerdem laufen Wind- und Sonnenenergieanlagen nicht immer. Man braucht einen Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage. Dafür haben wir etwa unsere Pumpspeicherkraftwerke. Wir werden künftig aber auch Kohle- und Gaskraftwerke brauchen.

Warum sperrt der Verbund dann seine Kohle- und Gaskraftwerke zu?

Wir wollen zu 100 Prozent CO2-frei produzieren. Derzeit sind wir es zu 95 Prozent. Gaskraftwerke sind derzeit nicht wirtschaftlich. Als Vorstand einer Aktiengesellschaft darf ich nichts betreiben, was unwirtschaftlich ist.

Wie kann ohne die Wärmekraftwerke die Versorgung gesichert werden?

Die Verzahnungen zwischen Kunden und Stromerzeugern muss enger werden. Neue Speicher, neue Technologien und die Digitalisierung, die smarte Interaktion mit den Kunden, ist die Zukunft.

Was verstehen Sie darunter?

Wir bekommen sehr viele Daten von unseren Kunden, die wir derzeit nicht nutzen. Über Smart Meter und Demand Response können wir Stromangebot und -nachfrage besser steuern. So kann etwa bei der Industrie die Produktion auf das Stromangebot abgestimmt werden. Ähnliches gilt für Wärmepumpen in Privathaushalten. Die verkaufte Kilowattstunde ist nicht mehr das Maß aller Dinge.

Handelt der Verbund künftig mit Daten statt mit Strom?

Die Energiewelt verändert sich. IT- und elektronische Steuerung werden wichtiger. Es werden auch neue Konkurrenten in den Strommarkt drängen wie Google & Co. Energie wird nicht das Monopol der Energieversorger bleiben. Und Cybersecurity wird ein wichtiges Thema.

Was bietet der Verbund künftig seinen Kunden an?

Wir sind schon jetzt der größte Verkäufer von Fotovoltaik-Anlagen für Privathaushalte. Im Herbst bringen wir ein Eco-Home-Paket auf den Markt. Das ist ein Steuerungssystem, das Interaktion mit den Kunden zulässt. Dieser kann über eine App Licht, Türen, Jalousien etc. steuern. Er wird praktisch über Nacht zum Energieexperten. Und wir können Verbrauch, Speicher und Netzeinspeisung von Fotovoltaik-Strom optimieren. Damit hilft der Kunde bei der Stabilisierung des Stromnetzes mit. Europaweit wird das Geschäftsvolumen in diesem Bereich auf bis zu zehn Milliarden Euro geschätzt.

Braucht der Verbund statt Elektrotechniker dann IT-Experten?

Wir haben vor einem Jahr eine Tochtergesellschaft, die Verbund Solutions gegründet. Dort wird probiert und versucht. Die Mitarbeiter müssen flexibel, Kunden-orientiert, dynamisch und schnell sein. Aber natürlich brauchen wir auch noch Elektrotechniker.

Schaffen kleine Stromversorger diese Veränderungen?

Die Entwicklung verleugnen wird nicht möglich sein. Kooperationen, nicht Übernahmen sind die Zukunft. Die Zeit des Beherrschens ist vorbei. Wir arbeiten mit Start-ups, Garagenfirmen zusammen und testen vieles. Aber auch bei der herkömmlichen Wasserkraft bleibt die Entwicklung nicht stehen. Wir erhöhen zur Zeit die Effizienz des Donaukraftwerks Ybbs. Das produziert dann so viel mehr Strom wie ein ganzes Salzachkraftwerk.

Der Verbund vertreibt Fotovoltaikanlagen für Privatkunden, die vom Klimafonds finanziell gefördert werden. Von den 2014 neu installierten Solaranlagen kamen 7,5 Prozent vom Verbund. Damit ist der Verbund die Nummer eins, alle anderen Anbieter haben kleinere Anteile. 5000 Kunden speisen ihren Fotovoltaik-Strom beim Verbund ein.

In Kooperation mit tado bietet der Verbund eine App zur Heizungssteuerung an. Weiters gibt es ein Eco-Paket, das für Privathaushalte Fotovoltaik mit Batteriespeicher, Wärmepumpe und E-Mobility kombiniert. Für Unternehmen gibt es das Eco-Net, über das mehrere Betriebe gemeinsam den Stromverbrauch abstimmen und damit sparen.

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