"Schwierige Situation": Warum die Antibiotika knapp werden
„Nicht oder eingeschränkt verfügbar“: 457 Arzneimittel listet das Vertriebseinschränkungs-Register der AGES derzeit auf. So viele wie noch nie vor Beginn der Schnupfensaison. Nicht lieferbar sind neben einiger bekannter Husten- und Grippe-Mittel auch eine ganze Gruppe von Antibiotika, die etwa bei Atemwegs- oder Harnwegsinfektionen eingesetzt werden.
Während Ärzte und Apotheker beruhigen, dass die aktuellen Engpässe auf eine erhöhte Nachfrage wegen der vielen Krankenstände zurückzuführen ist, sendet die Pharmabranche besorgte Botschaften. „Derzeit setzen gleich mehrere Krisen der Arzneimittelversorgung zu“, sagt Pharmig-Generalsekretär Alexander Herzog, „die Pandemie, die enorm gestiegenen Energiepreise und die hohe Inflation.“ Das alles wirke sich negativ auf die Arzneimittelproduktion und Verfügbarkeit von Arzneimitteln aus.
„Angespannte Lage“
Unter den Pharma-Herstellern, die die Nachfrage derzeit nicht bedienen können, ist auch Europas letzter Antibiotika-Hersteller Sandoz/Novartis in Tirol. „Wir sehen uns derzeit mit einem erheblichen Nachfrageanstieg konfrontiert, der zu einer angespannten Versorgungslage bei einigen unserer Sandoz-Antibiotika (Amoxicillin, Amoxicillin/Clavulansäure) in ausgewählten europäischen Märkten führt“, bestätigt Novartis-Sprecherin Sabine Boschetto dem KURIER. Das Zusammenspiel von Pandemie, Produktionskapazitätsengpässen, Rohstoffverknappung und Energiekrise führe dazu, dass „wir uns kurzfristig in einer außergewöhnlich schwierigen Situation befinden“.
Wie der KURIER berichtete, schloss Novartis-Standortleiter Mario Riesner vor Kurzem nicht aus, aufgrund der massiv gestiegenen Energiekosten die Antibiotika-Produktion drosseln zu müssen, weil sich durch die Billigkonkurrenz aus Indien und China die Produktion in Tirol nicht mehr lohne. Gerüchte über einen bereits erfolgten Produktionsstopp weist Boschetto zurück: „Unsere Produktion läuft nach Plan und der Versorgungsengpass ist nicht auf einen Produktionsrückgang oder gar Ausfall zurückzuführen.“ Man sei zuversichtlich, diese wichtigen Medikamente auch weiterhin dauerhaft liefern zu können.
Novartis will bekanntlich die Generika-Sparte Sandoz abspalten und 2023 an die Börse bringen. Die Rentabilität spielt dabei eine wichtige Rolle. Das Problem: Pharmafirmen können die höheren Energie- und Rohstoffkosten nicht einfach auf die Medikamenten-Preise aufschlagen, weil diese staatlich reguliert sind.
Appell an die EU
Der europäische Lobbyverband „Medicines for Europe“ wandte sich bereits mit einem offenen Brief an die EU-Kommission. Die Kosten für Gas und Strom, heißt es darin, seien bei einigen Produktionsanlagen „um das Zehnfache“ gestiegen. „Das droht die Medikamentenversorgung zu unterminieren.“ Problematisch ist hierbei auch die hohe Abhängigkeit von Ländern wie China oder Indien, auf die bereits mehr als zwei Drittel der Wirkstoff-Produktion bei Antibiotika entfällt. Fällt eine der dortigen Giga-Fabriken aus, hat das fatale Auswirkungen für die gesamte Lieferkette.
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