Missstände bei 24-Stunden-Betreuung

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Mindeststandards sollen unseriösen Vermittlungs-Agenturen das Handwerk legen.

Tag und Nacht für die betagte Oma da sein, heben, niederlegen, einkaufen, kochen, putzen, pflegen. Ein Fulltime-Job, auch an Wochenenden und Feiertagen. Mehr als 21.000 Rumäninnen sind in der 24-Stunden-Betreuung tätig. Für weniger als 1000 Euro im Monat.

Obwohl es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, sehen die Pflegerinnen vom hart verdienten Geld oft am allerwenigsten. „Das Honorar erhalte ich nicht von der Familie, wo ich arbeite, sondern von unserem Busfahrer in Rumänien in bar ausbezahlt“, erzählt Alina Silescu (Name von der Redaktion geändert) dem KURIER. Die junge Frau aus Temeswar arbeitet offiziell auf eigene Kasse, doch die Rechnungslegung erfolgt nicht wie vorgeschrieben von ihr, sondern über eine österreichische Vermittlungsagentur, die wiederum mit einer rumänischen Agentur kooperiert. Von den 2200 Euro, die der Familie für die 24-Stunden-Betreuung verrechnet werden, erhält sie nach eigenen Angaben „etwas weniger als 1000 Euro“.

Intransparenz

Missstände bei 24-Stunden-Betreuung
Gepflogenheiten wie diese sind in der Branche üblich, ist zu hören, manchmal erhalten Rumäninnen noch weniger. Wofür die Agenturen den größeren Teil des Geldes einbehalten, z. B. Transport, permanente Ansprechperson, Ersatzkraft-Bereitstellung etc., ist dabei nicht immer nachvollziehbar. „Es ist eine Goldgräber-Branche, viele sehen nur den schnellen Gewinn“, sagt Christian Elsner, Geschäftsführer von Elsner Pflege, Tirols größter Vermittlungsagentur mit einem Pool von 500 Betreuerinnen aus Rumänien und Bulgarien. Zahlreiche unseriöse Agenturen würden zu Dumpingpreisen auf Kosten ihres Personals agieren.

Gemeinsam mit anderen Anbietern kämpft Elsner daher für Mindeststandards. „Derzeit gibt es so gut wie keine Qualitätskriterien. Jeder kann betreuen, jeder kann vermitteln“, sagt er. Vor allem folgende Themen werden diskutiert:

Bezahlung: Elsner fordert eine Art Mindesthonorar für Pflegerinnen in Höhe von 1200 Euro im Monat, stößt damit aber auf rechtliche Hürden. „Ein Mindesthonorar ist nicht möglich, das wäre wettbewerbswidrig und würde EU-rechtlich nicht halten“ sagt Gerhard Flenreiss, zuständiger Branchenvertreter in der Wirtschaftskammer Wien. Die Gewerkschaft wittert seit langem Scheinselbstständigkeit und will, dass die Agenturen die Betreuerinnen fix anstellen. Dann würde ein Kollektivvertrag, etwa jener für Heim- oder Pflegehelfer, gelten. Mit Zulagen, Sonderzahlungen, Urlaubsansprüchen etc. Dies würde aber die Pflege daheim enorm verteuern und für viele unleistbar machen.

Transport: Viele Pflegerinnen müssen sich verpflichten, mit einem bestimmten Busdienst zu fahren. „Fahrer prahlen damit, dass sie 1000 Kilometer durchgehend ohne Pause fahren können“, erzählt Elsner. Oft übernehmen sie auch die Auszahlung. Niemand weiß, wie viel die Pflegerinnen tatsächlich bekommen. Elsner will, dass nur lizenzierte Transportunternehmen die Transfers durchführen dürfen.

Wechselrhythmus: Statt alle 14 Tage zu wechseln, bleiben Rumäninnen oft bis zu drei Monate bei derselben Betreuungsperson. Eine enorme Belastung, weil der Job schwer sei, meint Margit Hermentin von der Wiener Agentur gutbetreut.at, die mit Betreuerinnen aus der Slowakei arbeitet. „Ein 14-Tage-Betreuungs-Rhythmus ist am besten für alle Beteiligten. Die Betreuerinnen haben eine Erholungsphase von 14 Tagen in ihrer Heimat und können danach wieder 100 Prozent für den Patienten da sein.“ Nur dies garantiere Qualität.

Knebelverträge: Viele Agenturen bestehen auf Exklusivverträgen, auch weil sie sich auf die Einsätze verlassen müssen. Will eine Betreuerin aber zu einer besser zahlenden Agentur wechseln oder allein agieren, werden von ihr lange „Kündigungszeiten“ und Abschlagszahlungen bis zu 5000 Euro verlangt. Solche gesetzeswidrigen Knebelbestimmungen sollen abgestellt werden.

Ausbildung: Die Qualifikationen der Betreuerinnen sind oft fragwürdig und werden kaum überprüft. „In Rumänien gibt es einen regen Schwarzmarkthandel mit gekauften Zertifikaten“, weiß Elsner und fordert verpflichtende Pflegezertifikate von lizensierten Ausbildungsstätten. Auch Flenreiss will die formalen Kriterien sicherstellen und im Bedarfsfall diplomiertes Personal zur Seite stellen.

Zertifizierung

Die Wirtschaftskammer will Agenturen, die Mindeststandards erfüllen, mit einem Qualitätsgütesiegel zertifizieren. Erste Details dazu soll es Ende Februar geben. „Unser Ziel ist es, dass in der Branche transparent und sauber gearbeitet wird“, so Flenreiss. Wer mit zertifizierten Anbietern arbeitet, soll dafür eine zusätzliche Pflege-Förderung erhalten, so der Wunsch der Branchenvertreter an die Politik. Die Qualitätssicherung steht auch im Regierungsprogramm.

Aus dem ehemaligen Schwarzmarkt hat sich ein boomender, aber unübersichtlicher Wirtschaftszweig entwickelt. Allein aufgrund der demografischen Entwicklung steigt die Nachfrage nach der „Pflege daheim“ ständig. Rund 25.000 Pflegegeldbezieher nehmen bereits eine 24-Stunden-Betreuung in Anspruch.

Der Bedarf wird zum überwiegenden Teil von (süd-)osteuropäischen Betreuungskräften gedeckt. 60.000 selbstständige Personenbetreuer/innen waren Ende 2013 offiziell gemeldet, um 16 Prozent mehr als 2012. Rund 95 Prozent davon waren Frauen.

Mehr als die Hälfte der Pflegekräfte kommt aus der Slowakei, wo es aber immer schwieriger wird, qualifiziertes Personal zu finden.

Den stärksten Zuwachs gab es bei Rumäninnen mit 26 Prozent auf 21.000. In Rumänien verdienen Pflegekräfte oft nicht mehr als 300 Euro im Monat. Unklar ist die genau Zahl der Vermittlungsagenturen. Etwa hundert gibt es in Österreich, mindestens ebenso viele agieren aus dem benachbarten Ausland.

Werkvertrag

Selbstständige Personenbetreuer müssen eine Ausbildung nachweisen, die jener einer Heimhilfe entspricht. Sie schließen mit der Pflegeperson einen Werkvertrag ab und sind unfall-, pensions- und krankenversichert. Sie helfen im Haushalt und führen einzelne pflegerische Tätigkeiten aus.

Kosten

Je nach Qualifikation und Schwere der Tätigkeit zwischen 40 und 100 Euro pro Tag plus Kost und Logis. Dazu kommen Vermittlungs- bzw. monatliche Fixgebühren an eine Agentur.

Die monatlichen Gesamtkosten liegen je nach Leistung zwischen 1800 und 3000 Euro.

Förderungen

Ein Teil der Kosten kann vom Pflegegeld (z. B. 442,90 Euro für Stufe 3) bezahlt werden.

Dazu kommt die Förderung für 24-Stunden-Betreuung mit 275 Euro pro Betreuungskraft.

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