Österreich soll EU-Grenzgängern Arbeitslosengeld zahlen

Österreich soll EU-Grenzgängern Arbeitslosengeld zahlen
EU-Mehrheit für Neuregelung: Nicht mehr der Wohnort, sondern der Arbeitsort zählt. Anspruch ab drei Monaten Arbeit möglich.

Hat ein ungarischer Staatsbürger, der in Ungarn lebt und regelmäßig ins Burgenland zur Arbeit pendelt, Anspruch auf ein österreichisches Arbeitslosengeld? Derzeit nicht. Weil laut EU-Recht das Wohnsitz-Prinzip gilt, muss sich der Ungar in seiner Heimat arbeitslos melden und bezieht dort die Arbeitslose.

Das dürfte sich bald ändern. EU-Grenzgänger sollen nach Willen der EU-Kommission künftig vom Beschäftigungsland, nicht mehr vom Wohnsitzland, das Arbeitslosengeld erhalten. Entsprechende Kommissionspläne wurden am Donnerstagabend im EU-Sozialrat mit großer Mehrheit unterstützt. Nur acht EU-Länder, darunter Österreich, stimmten dagegen oder enthielten sich der Stimme.

Ungleichheiten

Mit diesem Schritt zur Koordinierung der Sozialsysteme soll die finanzielle Belastung der einzelnen Mitgliedsstaaten besser aufgeteilt werden, so die Begründung. Immerhin würden die Grenzgänger ins Sozialsystem des Beschäftigungslandes einzahlen, ohne eine entsprechende Gegenleistung dafür zu erhalten. Künftig soll schon nach drei Monaten regelmäßiger Beschäftigung ein Arbeitslosenanspruch bestehen. Ein Ungar könnte also theoretisch nach der Sommersaison in einem Ferienhotel um Arbeitslosengeld ansuchen, obwohl er weiter in Ungarn wohnt. Wie hoch die Leistung sein soll und wie das Ganze von den bisher schlecht vernetzten Arbeitsbehörden abgewickelt wird, ist unklar. Bisher musste das Beschäftigungsland dem Wohnsitzland je nach Beschäftigungsdauer einen Teil der Kosten ersetzen, in der Praxis ein mühsames Prozedere.

Noch ist die geplante Systemänderung nicht fix, im Herbst muss sich das EU-Parlament damit beschäftigten und auch zwischen den Mitgliedsstaaten wird wohl noch ein Kompromiss  gesucht werden müssen. Die Aufregung darüber ist in Ländern mit besonders vielen „Gastarbeitern“ aber schon jetzt groß. Luxemburg etwa fürchtet wegen der vielen Einpendler einen Zusammenbruch seines Arbeitslosensystems und sicherte sich bereits eine siebenjährige Übergangsfrist. Die Schweiz erwägt, ob der erwarteten Mehrkosten bei diesen EU-Freizügigkeitsregeln nicht mitzuziehen.

230 Mio. Euro mehr

Auch für Österreich wäre das Beschäftigungsland-Prinzip ein Defizitgeschäft. Laut Berechnungen des Sozialministeriums aus dem Jahr 2016 würden etwa 13.500 EU-Grenzgänger zusätzlich in der Arbeitslosenstatistik aufscheinen und jährliche Kosten von 230 Mio. Euro verursachen. „Die Zahl klingt plausibel, das wäre sicher eine enorme Belastung für unser Arbeitslosensystem“, bestätigt Gernot Mitter, Arbeitsmarktexperte bei der Arbeiterkammer, in einer ersten Reaktion. Allerdings gab es 2016 im Jahresschnitt auch 4500 arbeitslose Österreicher, die zur Arbeit ins benachbarte Ausland pendelten, vor allem in die Schweiz.

Neben der strittigen Grenzgänger-Regelung wurden im Sozialrat auch noch weitere Änderungen auf den Weg gebracht. Besonders interessant für Jobsuchende: Wer in einem anderen EU-Land nach Arbeit sucht, soll das Arbeitslosengeld künftig sechs Monate lang weiterbezahlt bekommen. Bisher waren es nur drei. Brüssel will damit die Arbeitsplatzsuche im Ausland erleichtern. Mitter hält die Neuregelung für akzeptabel, weil die Jobsuche manchmal auch länger dauern könne. Kritiker warnen freilich vor Missbrauch.

Gegen Sozialtourismus

Um den reicheren Ländern entgegen zu kommen, will die EU den Sozialtourismus erschweren. Demnach sollen ausländische EU-Bürger in einem anderen EU-Land erst dann Anspruch auf Arbeitslosengeld erhalten, wenn sie dort mindestens einen Monat lang gearbeitet haben. Bisher war der Bezug theoretisch schon nach einem Tag Arbeit möglich. Österreich verlangt zudem einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich als Voraussetzung für den Bezug. Laut Mitter gebe es aber immer wieder Probleme mit Scheinanmeldungen.

Im Sozialministerium war am Freitagnachmittag niemand mehr für eine Stellungnahme erreichbar. Vor Beginn des EU-Sozialrats hatte Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) die Position Österreichs zur Familienbehilfen-Indexierung für im Ausland lebende Kinder von Elternteilen aus anderen Staaten der EU verteidigt. Österreich beschreitet hier einen Alleingang und hofft damit eine Diskussion über soziale Ungleichheiten auf EU-Ebene auszulösen. Die Grenzgänger-Regelung dürfte die Diskussion  weiter befeuern.

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