ÖBB: Fitnessprogramm für die Bahn
KURIER: Herr Schiefer, Sie wechseln mit 1. April vom Aufsichtsrat in den Holding-Vorstand. Ist damit das blau-türkise Umfärben in den ÖBB beendet?
Arnold Schiefer: Ich muss noch als Aufsichtsrat sprechen. Jeder Verkehrsminister trägt für die ÖBB eine politische Verantwortung und bekommt gegebenenfalls auch die Kritik der Bürger zu spüren. Es ist daher nachvollziehbar, dass er Aufsichtsräte bestellt, die sein Vertrauen genießen. Wir reden hier von kompetenten Leuten und nicht von Ahnungslosen.
Sie werden Finanzvorstand und Herr Matthä bleibt Vorstandschef. Aber wer ist de facto der Boss? Schiefer: Mein Vorgänger Josef Halbmayr ist seit zehn Jahren Finanzchef. Er ist mein Vorbild. Kontinuität ist wichtig, wir müssen das Unternehmen zukunftsfit aufstellen. Kollege Matthä und ich haben in der Vergangenheit schon gut bei der Bahn zusammengearbeitet. Eitelkeiten im Vorstand bis hin zur Selbstauflösung gibt es bei uns nicht.
Andreas Matthä: Wir werden als Team erfolgreich zusammenarbeiten und haben unsere Verantwortungsbereiche bereits gut aufeinander abgestimmt.
Was bedeutet zukunftsfit?
Matthä: Wir haben eine starke Marktposition in Europa. Wir sind die Nummer eins bei der Kundenzufriedenheit. Das ist ein Ansporn, wir wollen auf dem Stockerl bleiben. Damit das so bleibt, haben wir ein Transformationsprogramm aufgesetzt. Ein Family-Fitnessprogramm, das alle Konzerngesellschaften umfasst. Mit dem Arbeitstitel „Nordstern“ als Symbol für Navigation und Orientierung. Es geht um Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftlichkeit, unseren anstehenden Generationenwechsel und massive Veränderungen der Technologie. Wir haben McKinsey als Berater geholt, um auch von anderen Industrien wie etwa der Luftfahrt Inputs zu bekommen.
Wie dürfen wir dieses Family-Fitnessprogramm verstehen?
Matthä: Wir müssen uns verändern und noch kundenzentrierter werden. Die Welt um uns verändert sich und so müssen auch wir mit der Zeit gehen und für Neues bereit sein. Ein Beispiel: „SmartCargo“. Wir digitalisieren unseren Güterverkehr, um unsere Logistikketten zu optimieren.
Schiefer: Wir stehen vor einem Generationenwechsel, in den nächsten fünf Jahren verlassen 10.000 Mitarbeiter das Unternehmen. Wir bieten hervorragende Karrierechancen für junge Leute. Die Anforderungen verändern sich, heute brauchen wir viel mehr IT-Spezialisten. Wir wachsen stark und brauchen zum Beispiel mehr als 2000 Lokführer. Die ÖBB ist ein extrem attraktiver Arbeitgeber und ein Unternehmen, wo man das ganze Leben bleiben kann. Ganz wichtig ist es, den Ehrenkodex und die Leidenschaft der Eisenbahner auf junge Mitarbeiter zu transformieren.
Matthä: Wir müssen dennoch die Unternehmenskultur verändern. Die Bahn kommt historisch aus einem militärischen System mit absolutem Gehorsam, unter anderem wegen der Sicherheitsfrage. Heute müssen ergänzend dazu auch noch andere Werte vermittelt werden – etwa „wir vor ich“. Wir müssen gemeinsam die beste Leistung für unsere Kunden bringen.
Können die ÖBB im Personenverkehr jemals ohne Subventionen fahren? Gibt es überhaupt irgendwelche rentablen Strecken?
Matthä: Wir arbeiten mit voller Kraft daran, überall wirtschaftlich zu fahren. Einfach ist das allerdings nicht.
Schiefer: Wien – Salzburg ist knapp über der Wasseroberfläche, viele andere Strecken leider nicht. Wir haben noch Hausaufgaben zu machen. Die Alters- und Vertragsstruktur unserer Mitarbeiter hat Vor- und Nachteile. Einerseits hohe Identifikation mit dem Unternehmen und Zuverlässigkeit. Der Nachteil ist, dass die Mitbewerber junge und damit billigere Mitarbeiter haben und Loks und Waggons nicht mehr besitzen – sondern kostengünstig leihen. Diese Flexibilität haben wir noch nicht – auch aus 180 Jahre Bahngeschichte heraus. Wir werden die nächsten Jahre den Generationenwechsel nutzen, unser Service zu verbessern und versuchen, die emotionale Bindung der Österreicher zur Bahn zu verstärken. In spätestens zehn Jahren wird in der EU auch der Personenverkehr liberalisiert.
Und welche Auswirkungen wird das Ihrer Meinung nach auf die ÖBB haben?
Schiefer: Der Staat bestellt Strecken und zahlt dafür. Andernfalls wären die Tickets so teuer, dass die Leute mit dem Auto fahren würden. Mit der Liberalisierung werden die Strecken künftig ausgeschrieben, wir müssen also noch wettbewerbsfähiger werden. Die große Gefahr ist allerdings, dass man nach der Liberalisierungsdebatte mit einem ökologischen Kater aufwacht. In Brüssel ist die Öko-Lobby nicht so stark wie die Automobil-Lobby.
Matthä: In der Bevölkerung findet ein Umdenken statt, vor allem bei den Jungen, die lieber mit dem Zug fahren. 2018 hatten wir einen Rekord von über 250 Millionen Fahrgästen. Die Züge sind voll, in allen Klassen, wir empfehlen meist, zu reservieren. Wo es keine Öffis gibt, können die Kunden am Bahnhof Autos mieten. Rail & Drive hat schon 18 Standorte und wächst stark, wir bieten auch zunehmend Elektroautos an. Wir können die ersten und letzten Meilen immer besser abdecken.
Argumentieren Sie mit der Ökologie, weil Sie Angst vor dem Wettbewerb haben? Im Güterverkehr verliert die Bahn nach wie vor Marktanteile an die Straße.
Schiefer: Wir haben keine Angst vor dem Wettbewerb, aber wir wollen faire Rahmenbedingungen und nicht mit Bleischuhen zu einem 100-Meter-Lauf antreten. Jeder kann heute einen Lkw anmelden und durch ganz Europa schicken. Das geht bei der Bahn wegen der mangelnden Harmonisierung in der EU nicht. Die Lok muss in jedem Land zertifiziert werden, jedes Land hat andere arbeitsrechtliche Vorschriften und eigene Normen. An jeder Grenze müssen bei einem Güterzug auf 700 Metern Länge sämtliche Bremshebel umgestellt werden. Das kommt auch aus der militärischen Vergangenheit, als man bewusst die freie Fahrt durch Übergabepunkte einschränkte.
Matthä: Bis 2030 wird der Güterverkehr in der EU um 30 Prozent wachsen. Derzeit liegt der Marktanteil der Schiene in der EU bei 18 Prozent, in Österreich sind wir aktuell zwar bei 30 Prozent, wir müssen aber weiter drauflegen.
Wo ist das Problem?
Schiefer: In vielen Ländern wurde das Schienennetz reduziert, es gibt mittlerweile zu wenig Anschlussbahnen zu den Unternehmen. Es beginnt hier ein Umdenken in der EU, hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.
Matthä: Wir müssen die Verlagerung auf die Schiene bei den Unternehmen durch die Umstellung auf Container vorantreiben. Es ist leichter, einen Container auf den letzten Kilometern mit einem Lkw zu transportieren als einen ganzen Waggon.
Die Regierung hat die Investitionen für den weiteren Bahnausbau zusammengestrichen. Schlecht für die Bahn?
Matthä: Im Gegenteil, wir investieren jetzt rund 2,3 Milliarden Euro jährlich, ein All-time-high. Natürlich haben auch wir unsere Pläne für einen Budgetbeitrag an den Bund durchforstet und einen Beitrag geleistet. Ganz massiv arbeiten wir derzeit am Ausbau der Südbahnstrecke. Wir erwarten dort einen Boom bei den Fahrgästen, ab 2026 ähnlich wie auf der Weststrecke. Dann ist man in 2 Stunden 45 Minuten von Wien in Klagenfurt. Das schaffen Sie mit dem Auto nie.
Zur Person:
Arnold Schiefer, 52 Finanzvorstand
Nachdem Noch-Finanzvorstand Josef Halbmayr sich am 31. März 2019 zurückzieht, wechselt Arnold Schiefer, derzeit noch im Holding-Aufsichtsrat, in den Vorstand. Der Manager ist die große Personalreserve der FPÖ in Wirtschaftssachen und gilt als top qualifiziert, da er bereits im Vorstand der ÖBB-Teilkonzerne Rail Cargo und Infrastruktur war. Schiefer ging danach in den Vorstand der Heta Asset Resolution und verkaufte die letzten Aktiva der Kärntner Hypo.
Andreas Matthä, 56Vorstandsvorsitzender
Der gebürtige Villacher folgte Mitte 2016 dem damaligen ÖBB-Chef und späteren Bundeskanzler Christian Kern nach. Er ist seit den frühen 80er-Jahren im Unternehmen. 2008 wurde er Vorstandsdirektor für Anlagen und Vorstandssprecher der ÖBB-Infrastruktur, ehe er dort im Folgejahr Vorstandsdirektor für Finanzen, Markt, Service wurde. Der SPÖ-nahe Matthä gilt als fähiger Bahnmanager, der auch Anerkennung seitens der Regierung genießt.
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