Nobelpreisträger Joseph Stiglitz: "Wir sind im Krieg“

Der preisgekrönte US-Ökonom Joseph Stiglitz hat sich am Montag in einem Vortrag zur wirtschaftlichen Lage Europas geäußert und schwere Kritik an der Zinspolitik der EZB geübt. Er ortet eine Realitätsverweigerung mit schweren Folgen und fordert ein Umdenken hin zu kriegswirtschaftlichen Maßnahmen.
Die Angst vor einer Rezession und gleichzeitigen Inflation ist groß. Um ein solches Szenario zu verhindern, müsse sich laut Stiglitz die politische Führung in den USA und in Europa als erstes einmal eingestehen, dass man sich im Krieg mit Russland befinde. Während Systeme wie etwa der europäische Strommarkt mit der umstrittenen Merit-Order in normalen Zeiten gut funktionieren würden, müsse man anerkennen, dass es keine normalen Zeiten seien. Deshalb könne man nicht mit normalen Mitteln arbeiten, sondern müsse auch kriegswirtschaftliche Maßnahmen ergreifen. Dass das nicht getan wird, ist für Stiglitz einer der Hauptgründe für die ökonomischen Schwierigkeiten der westlichen Länder: "Einen großen Teil der ökonomischen Schmerzen fügt sich die EU selbst zu.“
Lösungsvorschläge
Was sollte also anders gemacht werden? Die Inflation beruht laut Stiglitz nicht, wie Inflation es normalerweise tut, auf einer übergroßen Nachfrage. Vielmehr entspringe sie der Knappheit auf der Angebotsseite, die zu großen Teilen durch den Krieg in der Ukraine verursacht werde. Gleichzeitig seien auch die Lieferkettenprobleme, die während der Coronapandemie entstanden sind, nach wie vor nicht in allen Bereichen gelöst.
Um den angebotsseitigen Problemen entgegenzutreten, seien massive Investitionen nötig, die die knappen Güter wieder besser verfügbar machen. Höhere Zinsen bremsen Investitionen aber. "Manchmal ist die Kur schlechter als die Krankheit selbst“, so Stiglitz. Anstatt der Zinserhöhungen schlägt er vor, die Inflation geschehen zu lassen, da sie in dieser Form sowieso außerhalb der Macht der Zentralbanken liege, und sich auf die Beseitigung der Angebotsknappheiten zu fokussieren.
Industrie widerspricht
Der Chefökonom der Industriellenvereinigung, Christian Helmenstein, ist anderer Meinung. Er sieht sehr wohl einen Nachfrageüberhang, der noch aus der Coronapandemie stamme. Die Wirtschaft sei damals real eingebrochen, durch staatliche Unterstützung wurde die Kaufkraft aber erhalten. Deshalb seien Zinserhöhungen, die die Nachfrage bremsen, das richtige Instrument.
Einig sind sich beide Ökonomen bei der dringen Notwendigkeit von Investitionen in die Energieinfrastruktur. Um die Rezession abzufangen, die durch Zinserhöhungen entsteht, fordert Helmenstein EU-weite Maßnahmen zum rapiden Ausbau der erneuerbaren Energien. Er vermisst etwa Programme zur Förderung von Bio-Gas. Beide Ökonomen glauben, dass mittelfristig wieder deutlich niedrigere Energiepreise erreicht werden können.
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