Die Teuerungswelle hat viele Menschen in die Armutsfalle gestürzt. Ein Haushalt mit zwei Erwachsenen und einem Kind hat im Monat 1300 Euro an Mehrkosten. Pro Person sind es im Durchschnitt 500 Euro. Jede Branche hat unterschiedliche Rahmenbedingungen, aber das ist unsere Verhandlungsbasis.
Das werden etliche Branchen aber nicht bezahlen können.
Wir haben Branchen in der Dienstleistung, da liegen die Vollzeit-Löhne unter der Armutsgrenze, die im Vorjahr mit 1.487 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt definiert war. Für heuer können Sie 10 Prozent dazu rechnen. Es ist absolut unakzeptabel, dass Menschen von Vollzeit-Jobs nicht mehr leben können.
Welche Branchen sind das?
Reinigung, der Tourismus, Bewachung zum Beispiel. Die Personalchefin eines Bewachungsunternehmens erzählte mir unlängst, sie hatte an einem Tag 12 Lohnpfändungen am Tisch. Wir haben Branchen, die ihr ganzes Geschäftsmodell auf der Ausbeutung der Arbeitskräfte aufgebaut haben. Wenn das Gros der Kosten auf Personal entfällt und die Gewinnmargen bei zwei bis drei Prozent liegen, dann ist dieses Geschäftsmodell nicht lebensfähig.
Die Unterstützungen der Regierung sind zu wenig?
Wir brauchen nachhaltige Hilfe, die Menschen verlieren ansonsten zunehmend die Zuversicht. Was die Regierung mit Einmalzahlungen macht, wird den freien Fall nicht aufhalten, maximal verzögern.
Es ist an den Sozialpartnern, den Rettungsschirm aufzuspannen. Entweder wir schaffen das, oder wir werden einen grausamen Aufprall vieler Menschen in unserem Land erleben. Wir brauchen dringend inflationsdämpfende Maßnahmen. Arbeitsminister Kocher ist vom Wirtschaftsforscher noch nicht in der Rolle des Politikers angekommen. Ein Politiker muss gestalten, nicht analysieren und interpretieren.
Sagen Sie uns, welche Maßnahmen notwendig sind.
Die explodierten Wohnkosten werden ein Riesenthema, da braucht es eine Rücknahme der Erhöhungen. Die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gehört ausgesetzt und eine vernünftige Preiskommission eingesetzt, so wie bei der Euro-Einführung. Den Großteil aber machen die Energiepreise aus. Die Merit-Order ist ja nicht gottgegeben.
Dafür braucht es aber die EU und Brüssel lässt sich viel Zeit.
Wir haben in Österreich mit unseren Steuergeldern Wasserkraftwerke finanziert, die uns den Strom momentan zu Gaspreisen verkaufen. Kritisieren wir das, wird mit den Schultern gezuckt, das sei halt der Markt. Aber wenn die Rechnung für diese Party mit den Stromrechnungen kommt und wir sagen, es braucht höhere Löhne, dann kommt plötzlich der große Aufschrei, das treibe die Inflation. Geht’s noch?
Der Energiemarkt funktioniert nicht?
Die OPEC ist ein Kartell, russisches Gas ein Monopol und die Energieversorger sind faktisch ein Oligopol. Was hat das bitte mit einem freien Markt zu tun? Ich bin kein Gegner des Marktes, aber er ist eben nicht für alles geeignet. Der erste Schritt muss ein Auftrag für die Grundversorgung sein. Funktioniert das nicht, gehört die Versorgung den Märkten entzogen.
Also reverstaatlichen?
Warum nicht? Wir müssen uns Gedanken machen, wo kann der Markt funktionieren und wo nicht.
Zur Bahn bitte. Viele Unternehmen klagen derzeit darüber, dass es zu wenig Waggons gibt. Jetzt wäre doch die große Chance für die Bahn und diese wird nicht genutzt.
Europas Bahnen haben aufgrund der durch die Liberalisierung getriebenen Sparpakete einen extremen Investitionsstau und jetzt kommen als Killer die Energiepreise. Lkw sind nicht vom Gas-getriebenen Strompreis abhängig. Die Preisdimension zwischen Sprit und Strom hat sich weiter verschlechtert.
Energiekostenzuschüsse auch für die Bahn?
Wenn die Bahnen in Europa im Schienengüterverkehr nicht unterstützt werden, können wir uns die Klimaziele in die Haare schmieren. Die Energiepreise sind nicht am Markt unterzubringen, schon gar nicht in Konkurrenz zum Lkw. Österreich steht bahntechnisch relativ gut da, weil ausreichend investiert wurde, aber auch hierzulande braucht es eine Energiepreisstütze.
Die ÖBB suchen 10.000 Mitarbeiter. Wie konnte so ein Engpass überhaupt entstehen?
In den nächsten 8 bis 10 Jahren wird die Hälfte der Belegschaft, derzeit 40.000 Mitarbeiter, in Pension gehen. Da schlägt die Demografie voll zu. Nicht nur die ÖBB, viele Unternehmen im staatsnahen Bereich haben eine überalterte Belegschaft. Es gibt eine Großeltern- und eine Enkel-Generation und dazwischen eine enorme Lücke. Das sind die Folgen der restriktiven Personalpolitik im letzten Jahrzehnt und der damit verbundenen Aufnahmestopps. Jetzt verändern Klimadebatte und die Ausweitung des Angebots das Mobilitätsverhalten. Wir haben einen höheren Personalbedarf, finden aber nicht die Mitarbeiter, die wir brauchen würden.
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