EU-Parlament stimmt für Netzneutralität und gegen Roaming

RTR zur Netzneutralität: "Ja, aber..."
Die Netzneutralität in Europa gilt vorerst als gesichert. Das EU-Parlament hat sich am Donnerstag dafür ausgesprochen. Die Roaming-Gebühren werden Ende 2015 abgeschafft.

Es ist wohl ein schwerer Schlag für die Telekom-Lobby: Diese wollte die Abschaffung der Roaming-Gebühren nur hinnehmen, wenn sie künftig unter dem Deckmantel „Spezial-Services“ von Kunden und IT-Unternehmen Extra-Geld für den bevorzugten Transport ihrer Daten verlangen dürfen. In den vergangenen Tagen verschickten die sechs größten Telekom-Provider Europas nochmals Briefe an die EU-Abgeordneten, um für ihr Anliegen zu werben. Auch einzelne österreichische Abgeordnete taten sich mit Aussagen wie „das Netz braucht Verkehrsregeln“ hervor – und damit offenbar keinen Gefallen. Denn die Stimmen der rund 175.000 Bürger, die sich im Netz für den Erhalt der Netzneutralität ausgesprochen hatten, waren dieses Mal wohl, ähnlich wie damals bei der Ablehnung des internationalen Handelsabkommens ACTA, lauter als die Telekom-Lobby. Oder die Argumente für den Erhalt eines offenen und freien Internets waren einfach stärker als die wirtschaftlichen Interessen der Telekom-Industrie.

"Toller Tag für das Internet"

Das EU-Parlament hat am Donnerstag in seiner Plenarsitzung in Brüssel über die „Telekommunikations-Verordnung“ abgestimmt und sich dabei für den Erhalt der Netzneutralität, also die Gleichbehandlung aller Daten und Dienste im Netz, sowie die Abschaffung des Roaming ausgesprochen. Zwar haben die EU-Parlamentarier die Einrichtung von Spezialdiensten erlaubt, diese müssen einer „strengen Zugangskontrolle“ unterliegen und dürfen nicht als Ersatz für den Internetzugangsdienst vermarktet oder genutzt werden.

Hätte das EU-Parlament am Donnerstag anders entschieden, hätte dies zu einem Zwei-Klassen-Internet geführt: Bestimmte Services, sei es YouTube, Netflix, Spotify oder Facebook würden dann in Folge beim Kunden schneller ankommen, andere Dienste wie alternative Video-Portale würden langsamer sein und vielleicht sogar bei den meisten Kunden nur „ruckelnd“ ankommen – außer sie zahlen dafür Extra-Geld. Die Telekom-Branche hatte darauf gehofft, denn schließlich geht ihr durch das Ende des Roamings, das ab Dezember 2015, viel Geld durch die Lappen.

Aus für hohe Telefonrechnungen

Das bedeutet das Ende für hohe Telefon-Rechnungen, weil man im Auslands-Urlaub zu lange und zu viel telefoniert hat. Telekomprovider dürfen dann keine Extragebühren für Sprachtelefonie, SMS oder mobile Datennutzung im EU-Ausland mehr verlangen. Doch auch dies wird am Endkunden nicht spurlos vorüber gehen: Konsumentenschützer befürchten, dass dadurch die Tarife im Inland steigen könnten. Heimische Telekomprovider haben bereits damit begonnen, ihre Gebühren zu erhöhen.

Über die Festschreibung der Netzneutralität freuen sich nicht nur Netzaktivisten, sondern auch die EU-Politiker, die am Ende die Entscheidung herbeigeführt haben. Das waren Grüne, Sozialdemokraten, Linke und Liberale. „Ein toller Tag für das Internet“, twitterte dazu der österreichische EU-Parlamentarier Josef Weidenholzer, der sich bereits im Vorfeld für den Erhalt der Netzneutralität ausgesprochen hatte. „Wir haben heute sichergestellt, dass das Internet offen und neutral bleibt. Nur so ist gewährleistet, dass wir die enormen Potentiale des Internets für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung ausschöpfen. Auch Facebook, Google & Co. sind durch eben diese Offenheit groß geworden. Will man den Innovationsmotor für Kreativwirtschaft weiter antreiben, muss man allen Diensten und Inhalten die gleiche faire Chance geben, grundsätzlich alle Internetnutzer erreichen zu können“, fügt Weidenholzer hinzu.

Neben dem EU-Parlament muss der Verordnungsentwurf als nächstes den Ministerrat passieren, denn das EU-Parlament ist nicht alleine für die Gesetzgebung in Europa verantwortlich. Es kommt damit sowohl auf den EU-Rat als auch auf das neue Parlament an, ob es gelingt, ein freies und offenes Internet in Europa wirklich dauerhaft zu sichern.

"Jubelstimmung nicht angebracht"

"Die Abgeordneten bewiesen heute, dass sie im Zweifel auch gegen die Interessen der Industrie votieren können. Doch werden Unternehmen weiterhin versuchen, das Internet und die Daten zu Produkten und Konsumgütern zu modellieren. Wir wollen und brauchen ein freies, ein neutrales Internet und das dauerhaft. Mit der heutigen Abstimmung hat das EU-Parlament vorerst gegen eine weitere Ökonomisierung des Internets gestimmt. Bevor der Rat seine Zustimmung nicht erteilt hat, ist eine übertriebene Jubelstimmung jedoch nicht angebracht", erklärte etwa der unabhängige EU-Parlamentarier und Spitzenkandidat von "Europa Anders", Martin Ehrenhauser in seiner Reaktion.

Auch der Verein "Digitale Gesellschaft" ist nicht in Jubelstimmung. Zwar verbiete die Verordnung Drosselungen oder Blockaden des Datenverkehrs im offenen Internet zugunsten von Spezialdiensten, allerdings lasse sie offen, welche Anwendungen und Inhalte überhaupt als Spezialdienst angeboten werden dürfen. “Für eine nachhaltige Sicherung der Netzneutralität muss der Zerschlagung des Internet in ein Zwei-Klassen-Netz wirksam ein Riegel vorgeschoben werden. Dabei wird das heute verabschiedete Verbot von Drosselungen zugunsten von Spezialdiensten wenig nützen, wenn in naher Zukunft die Bandbreiten knapper werden", meint Alexander Sander, Geschäftsführer der "Digitalen Gesellschaft".

Wer im Ausland zum Handy greift, muss derzeit wesentlich mehr bezahlen als zu Hause. Das soll sich ab 15. Dezember 2015 ändern. Ab diesem Datum soll es EU-weit keine Extragebühren für das Telefonieren und Surfen im Internet mehr geben. Das hat das EU-Parlament am Donnerstag beschlossen und muss nun ebenso wie die Festschreibung der Netzneutralität vom EU-Rat abgesegnet werden.

Die EU drückt die Roaming-Kosten bereits seit Jahren nach unten. Ab 1. Juli 2014 dürfen abgehende Telefonate etwa nicht mehr als 19 Cent pro Minute kosten (derzeit 24 Cent), eingehende Telefonate nicht mehr als fünf Cent (derzeit sieben Cent). Beim SMS-Versand werden künftig 6 Cent fällig (bisher 8 Cent). Der Datendownload wird pro Megabyte 20 Cent kosten (bisher 45 Cent).

Das Aus für Roaming-Gebühren könnten Konsumenten künftig aber teuer bezahlen müssen. Bereits jetzt steigen die Preise fürs Telefonieren im Inland schrittweise. Zuletzt erhöhte der österreichische Mobilfunkanbieter A1 die Gebühren. „Die Preise für Inlandstelefonate und mobile Internetnutzung werden zwangsläufig steigen“, sagt der Geschäftsführer des deutschen Branchenverbandes Bitkom, Bernhard Rohleder.

A1 will sich zu weiteren Preiserhöhungen vorerst nicht äußern. „Wann und wie das Roaming-Aus tatsächlich kommt, ist offen. Jetzt über Preise zu spekulieren, wie sie nach einem Roaming-Aus sein könnten, wäre unseriös und verfrüht.“

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