Zwischen Wiederaufbau und tagelangem Warten auf Treibstoff
Auf den Dächern der Busse in Nepals Hauptstadt Kathmandu sitzen rund ein Dutzend Männer, die im Bus keinen Platz mehr gefunden haben. Am Straßenrand stehen in kilometerlangen Schlangen Autos und Motorräder um ein paar Liter Sprit an – oft warten sie ein, zwei Wochen. Über die Straßen rollen zahlreiche Lkw, die keine Windschutzscheibe mehr haben oder selbige mit einem Gitter schützen. Grund für all das sind die seit Monaten andauernden inoffiziellen Grenzblockaden an der indischen Grenze, die sich nun langsam auflösen.
Die Minderheit der Madhesi, die Indien nahesteht, fühlt sich in der neuen nepalesischen Verfassung benachteiligt. Aus Protest schlugen ihre Vertreter an der indischen Grenze die Windschutzscheiben jener Lkw ein, die nach Nepal liefern wollten. Neben Treibstoff sind so vor allem Medikamente knapp geworden. Die Kathmandu Post berichtete vergangene Woche, dass noch immer rund 350 Lkw mit Medikamenten an der Grenze feststecken. Einheimische erzählen, dass in den Spitälern bereits Operationen verschoben werden.
Mächtiges Indien
Nepal ist stark von Indien abhängig, zwei Drittel des Handelsvolumens wickelt der Himalajastaat mit dem südlichen Nachbarn ab, für die Belieferung von Sprit hat Indien einen exklusiven 20-Jahres- Vertrag. Liefert Indien nicht, fehlt es Nepal an so ziemlich allem. Auch der Wiederaufbau nach dem Erdbeben im April stockt infolge der Blockade.
Neben dem Luxushotel Park Hyatt in Kathmandu leben noch immer Hunderte Nepali in Zelten. Es sind vor allem private Gebäude, die zerstört wurden, oft waren sie nicht nach den Regeln der Bauordnung errichtet – Korruption ist in Nepal kein neues Phänomen.
Laut Regierungsangaben hat das Beben mehr als 600.000 Häuser völlig und weitere 285.000 teilweise zerstört. "Wer ein Haus hatte, das zusammengebrochen ist, steht vor dem Nichts. Hier gibt es keine Versicherungen", erklärt Sudama Karki, Unternehmer in Kathmandu.
Eine Betroffene ist Niru, Mutter von drei Kindern, die in der 16 Kilometer entfernten Kleinstadt Bhaktapur wohnt. An der Stelle, an der ihr Haus gestanden ist, steht jetzt eine Wellblechhütte, in der elf Menschen wohnen. Einziger Verdiener im Familienverbund ist ihr Mann, der in Kathmandu Taxi fährt. Niru hockt vor der Hütte und wäscht in einem Bottich die Wäsche. Wegen der Wirtschaftsblockade ist nun auch Gas knapp, Niru muss nun mit Holz kochen. Das Schlimmste sei aber die Kälte in der Nacht, sagt sie. Sie will das Grundstück verkaufen und damit einen kleinen Bauernhof am Land kaufen. Die meisten Leute zieht es auf der Suche nach Arbeit von den Bergen ins Kathmandu-Tal. Rund 1,5 Millionen leben hier offiziell, inoffiziell sollen es eine Million mehr sein.
Nach dem Erdbeben hat die Regierung die Bauordnung verschärft, gebaut werden muss nun erdbebensicher. Hilfsorganisationen werden verpflichtet, Einheimische beim erdbebensicheren Bau einzuschulen. Die Schweizer Organisation Helvetas will bis Ende 2016 rund 4000 Häuser hochziehen. Viele Organisationen warten noch immer auf Nachschub von Baumaterialien. Die Preise von Zement sind zuletzt um 60 Prozent in die Höhe geschossen sein, erzählen Nepali.
Nepal ist etwa so groß wie Österreich und Bayern zusammen und Heimat von 30 Millionen Menschen. Mangels Verdienstmöglichkeiten arbeiten geschätzte drei Millionen Nepali als Gastarbeiter in arabischen Ländern. Die Analphabetenrate bei Männern liegt bei 27 Prozent (Frauen 52 Prozent). Knapp ein Drittel der Bevölkerung lebt von weniger als 2 US-Dollar am Tag. Im September hat sich die Regierung nach acht Jahren Streit auf eine neue Verfassung geeinigt, zeitgleich dazu begannen die Blockaden.
Wichtigster Wirtschaftszweig ist der Tourismus, der nach dem Erdbeben um bis zu 75 Prozent eingebrochen ist. Obwohl die meisten Sehenswürdigkeiten das Beben unbeschadet überstanden haben, bleiben Kulturtouristen aus. Touristen haben in Nepal einen Sonderstatus. Während Einheimische wochenlang auf Benzin warten, erhalten ihn Touristenbusse binnen Minuten.
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