Steiniger Weg aus der Isolation
Sanfte deutsche Schlagermusik im Hintergrund, surrende Nähmaschinen im Vordergrund: Bis der Büstenhalter aus Dutzenden vorgefertigten Stoffteilen zusammengenäht ist, vergeht nicht einmal eine halbe Stunde.
Knapp 300 Näherinnen und drei Näher beschäftigt der deutsch-österreichische Wäschekonzern Anita in seinem Werk in Yangon, dem früheren Rangun. Mehr als 3000 BH und Bikiniteile werden hier pro Tag gefertigt. Der Monatslohn beträgt 100 Dollar (73 Euro), Gratis-Kantine und Bustickets inklusive. Gearbeitet wird 44 Stunden pro Woche, Schichtdienst gibt es keinen. „Wir sind hier ein Vorzeigebetrieb“, schwärmt Standortleiter Stephan Seidel beim Werksbesuch des KURIER. Tatsächlich ist die Fabrik als eine von wenigen hier voll klimatisiert, die Atmosphäre wirkt eher entspannt als gestresst.
Blackout
Plötzlich stoppen die Nähmaschinen, es wird stockfinster. In Yangon eher die Regel als die Ausnahme. Viele Fabriken erhalten täglich nur fünf bis sechs Stunden Strom, drei Viertel aller Haushalte sind noch gar nicht elektrifiziert. Firmenchef Seidel hat längst ein eigenes Stromaggregat angeschafft, auf die Dauer eine ziemlich teure Sache, klagt er. Schon seit 16 Jahren produziert Anita der Kosten wegen in Myanmar, während der österreichische Standort in Matrei/Osttirol sukzessive umstrukturiert und geschrumpft wurde. Die Fabrik steht auf Regierungsgrund, mit den Militärs hat man sich arrangiert, schmiedet Ausbaupläne. Dennoch hofft Seidel auf rasche Demokratisierung und wirtschaftlichen Aufschwung. „Das Land ist wirtschaftlich geführt worden wie ein Militärcamp, das muss sich ändern.“
Erst vor zwei Jahren öffnete sich das ehemalige Burma aus seiner 50-jährigen wirtschaftlichen Isolation, die Schatten der Vergangenheit sind allgegenwärtig. Das Militärregime hat Myanmar jahrzehntelang heruntergewirtschaftet, sich selbst bereichert und das Volk ausgehungert. Die künstlich angelegte Hauptstadt Nay Pyi Taw sucht als Denkmal diktatorischer Machtdemonstration ihresgleichen. Zum protzigen Regierungspalast führt eine zwanzigspurige (!) Autobahn, auf der kaum Autos fahren. Entlang der Straße stehen Geisterhotels, die internationalen Ketten als Gebühr für Baubewilligungen in Yangon errichten mussten.
Während ein Großteil der Bevölkerung in Bambushütten haust, wenig zu essen und keinen Zugang zu sauberen Wasser hat, wird Yangon von westlichen Firmen regelrecht überrannt. „Der Immobilienmarkt ist ein Wahnsinn“, stöhnt Gustav Gressel, Österreichs Wirtschaftsdelegierter für Myanmar, „manche Wohnungen sind schon so teuer wie in Manhattan“.
Korruption
Von freier Marktwirtschaft und fairem Wettbewerb ist Myanmar noch Lichtjahre entfernt. Das Regime hat überall die Hände im Spiel, Korruption ist allgegenwärtig, Pressefreiheit ein Fremdwort. Österreichische Journalisten, die Technologieministerin Doris Bures zu Präsident Thein Sein begleiten wollten, wurden nicht einmal bis zum Regierungssitz vorgelassen. Gressel spricht von einem „riesigen Graumarkt“, der nicht einschätzbar sei. Schmuggel und illegaler Drogenhandel prägen die Wirtschaft. Ein funktionierendes Bankensystem fehlt derzeit ebenso noch wie Handyverträge mit dem Ausland. Telefonieren mit Wertkarte ist nur zum Wucherpreis möglich.
Trotz dieser vielen Baustellen ist eine Aufbruchstimmung spürbar. „Die eingeleiteten Reformen sind unumkehrbar“, glaubt Harald Friedl vom heimischen Anlagenbauer Andritz Hydro, der bereits zwei Kraftwerke hier errichtete und um weitere Aufträge buhlt. Die Chancen stehen gut. Die Elektrifizierung Myanmars durch Wasserkraft hat für die Regierung oberste Priorität, wie Energieminister U Khin Maung Soe beim Besuch der österreichischen Delegation gleich mehrmals betont. Ein mit Österreich geschlossenes Abkommen zur Kooperation im Bereich Energie- und Verkehrstechnik soll dafür Anschubhilfe leisten und bei der Finanzierung helfen. Vielleicht wird es im Anita-Werk dann nicht mehr ganz so oft stockfinster.
Eines der ärmsten Länder der Welt
Myanmar (ehem. Burma) ist ca. doppelt so groß wie Deutschland und hat etwa 55 Millionen Einwohner. Es zählt zu den zehn ärmsten Ländern der Welt, das BIP pro Kopf beträgt 900 Dollar, die Inflation 6 Prozent. 40 Firmen aus Österreich sind in Myanmar aktiv, 2011 waren es erst fünf. Nach Österreich exportiert werden v.a. Textilien.
Die Nagelprobe für den Demokratie- und Reformprozess Myanmars folgt 2015. Dann finden die nächsten Wahlen statt und es wird sich zeigen, ob die Militärregierung wirklich bereit ist, Macht abzugeben. Oppositionsführerin und Nationalheldin Aung San Suu Kyi hat Ambitionen auf das Präsidentenamt, auch wenn sie sich beim Empfang von Infrastrukturministerin Doris Bures mit offiziellen Ankündigungen betont zurückhielt. Journalistenfragen waren unerwünscht.
Die 68-jährige Friedensnobelpreisträgerin bremste im Gespräch mit Bures die im Ausland geschürten Erwartungen an allzu rasche Fortschritte. „Sie machte ganz klar deutlich, dass der Demokratisierungsprozess nur von innen heraus erfolgen kann“, erzählte die Ministerin nach dem 45-minütigen Besuch in den Privatwohnung San Suu Kyis. Damit die Mutter des Reformprozesses, die wegen ihres Engagements rund 15 Jahre in Hausarrest verbringen musste, auch zu den Wahlen antreten kann, muss erst die Verfassung geändert werden. Denn das Regime verfügte vorsorglich, dass ein Präsident keine Ausländer in der Familie haben darf.
„Die Lady“, wie sie im Land genannt wird, hat aber zwei Söhne mit britischem Pass aus ihrer Ehe mit einem Engländer. San Suu Kyi zeigte sich skeptisch, ob es eine Verfassungsreform bis zu den Wahlen geben wird. „Man will mich politisch schwächen.“ Dankend angenommen hat sie die offizielle Einladung von Bures nach Wien. „Ja, ich komme gerne“, so die spontane Antwort. Jetzt muss nur noch ein passender Termin für den prominenten Besuch gefunden werden.
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