"Politiker wählen ist oft wie eine Studentenliebe"
Lutz Meyer verkauft alles. Von Angela Merkel bis VW. Der Wahlkampfleiter von Merkel ist Chef der Berliner Werbeagentur Blumberry. Auf seiner Kundenliste stehen Konzerne wie EADS und Lufthansa. Vorige Woche war Meyer auf Einladung der International Advertising Association (IAA) zu Gast in Wien. Am Rande der IAA-Veranstaltung erklärte er im KURIER-Gespräch, dass in der Polit- und Produktwerbung unterschiedliche Gesetze gelten.
In der Politik gehe es heute darum, das richtige Lebensgefühl abzubilden und weniger um Botschaften. Meyer: „Politiker wählen ist oft wie eine Studentenliebe. Ich kenne ihn zwar nicht genau, finde ihn irgendwie gut oder es ist mir zumindest nicht peinlich, mit ihm rumzulaufen. Denn das muss ja nicht gleich die nächsten 20 Jahre sein.“ Eine gute Figur müsse die „Studentenliebe“ am politischen Parkett freilich schon machen. Schließlich will man sich mit ihr ja nicht blamieren. Und da hätte Peer Steinbrück danebengehauen, als er sich mit ausgestrecktem Mittelfinger fotografieren ließ, findet der Marketing-Experte.
Aber kann man Angie vermarkten wie ein Auto? Nicht ganz. Weil man in der Politik viel stärker auf Veränderungen im Umfeld achten müsse und viel mehr Zurufe von außen bekomme, sagt er. „Wenn der neue Golf vorgestellt wird, macht ihn die Konkurrenz nicht gleich nieder. Das ist in der Politik anders.“
Seit den 90er-Jahren hätten sich Parteien viel von den Produktwerbern abgeschaut. Die Parteien werden stärker als Marke inszeniert und nicht nur über ihr Programm. „Gegenüber den Produkten haben Parteien einen großen Vorteil: Sie haben für das Leben relevante Themen und kommen deshalb in der Zeitung auf den ersten Seiten vor“, so Meyer. Daraus hätte wiederum die Industrie gelernt. „Sie versucht nun, ihren Produkten gesellschaftliche Relevanz zu verleihen.“ Aus einer Seife werde ein ethisch produziertes Beauty-Produkt, was ein politisches Bekenntnis ist.
So hat der Konsumgüterriese Unilever für eine Dove-Kampagne Frauen sich selbst und dann von Dritten beschreiben lassen. Ein Phantomzeichner fertige Bilder dazu an. Ergebnis: Das Selbstbild fiel immer negativer aus als das Fremdbild. Der Slogan „You are more beautiful than you think“ sorgte für das richtige Lebensgefühl.
„Marken beginnen gesellschaftspolitisch eine Rolle zu spielen“, sagt auch IAA-Präsidentin Martina Hörmer. Beispielsweise in dem sie auf nachhaltig produzierte Lebensmittel setzen. Auch in der Textilindustrie würden Firmen verstärkt auf die Produktionsbedingungen in den Fabriken schauen. Hörmer: „Es wird ja wieder chic in Europa, in den USA zu produzieren.“
Kritische Konsumenten
Für Dynamik in der Branche sorgt Social Media. Die Leute werden kritischer, Firmen müssen auf kritische Fragen reagieren, sagt Hörmer. „Es ist nicht mehr möglich, völligen Unsinn erfolgreich zu verpacken“, pflichtet ihr Meyer bei. Jede Werbung stürze ein, wenn die Substanz des Produktes schlecht ist. Wenn man in Social Media nicht übermäßig kritisiert werde, habe man im Grunde schon einen großen Erfolg erzielt. Meyer: „Als Social-Media-Beauftragter in einer Partei oder einem Unternehmen wird man schnell irre. Weil man zu 90 Prozent mehr oder weniger intelligente Beschimpfungen erhält.“
Für die Kampagne einer Seifenmarke ließen die Werber Frauen zuerst sich selbst beschreiben und baten danach andere Personen, diese Frauen zu beschreiben. Auf Basis dieser Beschreibungen erstellten Zeichner Phantombilder. Das interessante Ergebnis: Das Bild der Selbstbeschreibung fiel immer negativer aus. Daraus resultierte der Slogan: „Du bist schöner, als zu denkst.“
Unweigerlich muss man da an die Politik denken: Bei Politikern würde der Test mit den Phantombildern wohl das umgekehrte Ergebnis bringen: Politiker halten sich selbst offensichtlich für toller, als sie von anderen gesehen werden.
Das müssen sie auch: Politiker treiben Handel mit der eigenen Person. Politiker, sagt der Werbe-Experte Lutz Meyer, inszenieren sich heute als Marken, die weniger für Botschaften stehen als für ein Lebensgefühl. Politiker zu wählen ist laut Meyer ähnlich wie eine Studentenliebe: Allzu peinlich soll er nicht sein, dann passt das schon, auch wenn er weniger schön ist, als er denkt. Schließlich wird es keine Beziehung fürs ganze Leben.
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