Medikamentenverkauf: dm sagt Apotheken den Kampf an
Die deutsche Drogeriekette dm fühlt sich ungerecht behandelt. "Ein Apotheker aus Vorarlberg darf Lemocin-Halswehtabletten ohne Beratung österreichweit verschicken, warum dürfen wir das nicht?", fragt dm-Geschäftsführer Harald Bauer. Die Antwort darauf muss das Höchstgericht geben.
Seit Juni 2015 ist den heimischen Apotheken der Verkauf rezeptfreier Arzneimittel (so genannte OTC-Produkte, Erklärung siehe unten) via Internet erlaubt, den Drogerien jedoch nicht. dm findet das sachlich nicht gerechtfertigt und reichte jetzt einen Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof ein. Dabei beruft sich der Händler sowohl auf das Grundrecht der Erwerbsfreiheit als auch auf die Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Das entsprechende Gutachten kommt vom bekannten Verfassungsjuristen Heinz Mayer. Er betont, dass rezeptfreie Arzneien im Unterschied zu rezeptpflichtigen keine Gesundheitsgefährdung darstellen – "auch zu viel Red Bull birgt ein Gesundheitsrisiko". Die für den Fernabsatz vorgeschriebene pharmazeutische Beratung via Internet, eMail oder Telefon könnte auch eine Drogeriekette anbieten. Vielfach würden Husten- oder Schnupfenmittel aber ohnehin ganz ohne Beratung verkauft. Auch der verfassungsrechtlich anerkannte Existenzschutz bestehender Apotheken hat für den Juristen "keine sachliche Rechtfertigung für das Apothekenmonopol." Der Umsatz von OTC-Produkten mache nur acht Prozent des Gesamtumsatzes der Apotheken aus. Eine Freigabe würde sich nur marginal auf die Umsätze auswirken.
Mehrumsatz
Für die Apothekerkammer ist der Fehdehandschuh von dm nichts Neues, drängt die Kette doch schon seit Jahren in den Apothekenmarkt. "Wir fürchten uns nicht vor der Entscheidung des Verfassungsgerichts, denn es müssen auch Gesundheits- und Versorgungsaspekte berücksichtigt werden", kontert Max Wellan, Präsident der Apothekerkammer. Jedes Arzneimittel benötige fachliche Beratung, etwa bezüglich Wechsel- oder Nebenwirkung sowie falsche Anwendung. "Was machen die dm-Mitarbeiter? Sie verweisen dann auf die nächste Apotheke, oder was?" Hinter den heimischen Versandapotheken würden die Apotheker selbst stehen.
Rosinen-Picker
Auch von einer Ungleichheit des Wettbewerbs will Wellan nichts wissen. "dm pickt sich doch nur die Rosinen heraus, während wir weiter die Nachtdienste machen dürfen und ein Sortiment von 4000 Medikamente, darunter auch jene für seltene Erkrankungen, führen." Dass dm durch niedrigere Preise eine jährliche Ersparnis von 100 Euro pro Haushalt verspricht, kann Wellan nicht nachvollziehen. "Die werden vielleicht fünf Produkte billiger anpreisen oder Multi-Pack-Aktionen starten." Es sei aber fraglich, wie sinnvoll es ist, Arzneien auf Vorrat zu kaufen. Die zusätzliche Konkurrenz würde vor allem kleinere Apotheken am Land schwer treffen, was auch die Versorgungssicherheit gefährde.
Die Entscheidung des Verfassungsgerichts wird für 2017 erwartet.
Markt für Selbstmedikation
OTC-Arzneimittel
OTC-("Over-The-Counter“"dt. "über den Ladentisch") Arzneien dürfen rezeptfrei, d. h. ohne Verschreibung in Apotheken frei verkauft werden. Typische Produkte des Selbstmedikationsmarktes sind Husten- und Erkältungsmittel (22 %), Vitamine/Mineralstoffe (13 %), Schmerz- und Rheumamittel (12 %), Verdauungsmittel sowie Hautmittel. Der von dm angepeilte Markt ist rund 300 Mio. Euro schwer und wuchs zuletzt um 7,5 Prozent.
Bestseller
Die Top-10-OTC-Produkte in Österreich sind: Aspirin, Supradyn, Bepanthen, Nicorette, Thomapyrin, Wick, Tantum Verde, Canesten, Buerlecithin und Bioflorin.
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