Wer hat heute noch Zeit für eine Umfrage?
Steckt die Markt- und Meinungsforschung in einer Krise? Laut einer Erhebung von ESOMAR World Research sank der Branchenumsatz in Österreich seit 2011 um 17,5 Prozent auf 155 Mio. Dollar (143 Mio. Euro). Die Ausgaben pro Kopf für Marktforschung betragen gerade einmal 18,32 Dollar. Zum Vergleich: In Deutschland sind es 42,92 Dollar, in Großbritannien 79 Dollar. Als Gründe für den schrumpfenden Umsatzkuchen wird die allgemeine Wirtschaftsflaute, zunehmender Preisdruck durch Billig-Anbieter und die im Vergleich zu Nachbarländern erschwerten Rahmenbedingungen genannt. "In Österreich ist es nicht möglich, Interviews an Selbstständige auszulagern, da haben ausländische Anbieter kostenmäßig einen Vorteil", erklärt Markus Deutsch vom Fachverband Werbung und Marktkommunikation in der Wirtschaftskammer.
Digitalisierung
Für Thomas Schwabl, Geschäftsführer des Online-Marktforschungsinstituts Marketagent.com, befindet sich durch die Digitalisierung die ganze Branche im Umbruch. Schon seit Jahren gebe es eine rückläufige Teilnahmebereitschaft bei Telefoninterviews und die potenziellen Umfrageteilnehmer seien schwerer zu erreichen.
Allein die Zahl der Festnetzanschlüsse sank binnen zehn Jahren von 2,4 auf 1,9 Millionen. "Die rückläufige Festnetzdurchdringung und die mangelnde Teilnahmebereitschaft am Handy sind eklatant für die Marktforschung per Telefon", so Schwabl. Im Gegenzug profitiere die Online-Marktforschung dank einer Durchdringungsrate von derzeit 83 Prozent Internet-Verbindungen in den Haushalten. Laut ESOMAR-Erhebung ist die Online-Marktforschung weltweit mit 24 Prozent bereits die Nummer 1 bei den Methoden, Telefon-Befragungen kommen nur noch auf zwölf Prozent.
Spectra-Chef Peter Bruckmüller vom Verband der Marktforscher (VMÖ) kann das Branchenminus "zwar nicht ganz nachvollziehen", bestätigt aber einen zunehmenden Preiskampf, angeheizt durch Online-Konkurrenz. "Diskonter gibt es aber in jeder Branche." Online-Befragungen hätten ihre Berechtigung – etwa für Kundenbefragungen – aber auch ihre Grenzen, wenn es um Repräsentativität geht. "Persönliche und Telefon-Interviews sind noch lange nicht tot." Ein Dorn im Auge sind den Marktforschern auch Telemarketing-Agenturen, die wegen der gesetzlichen Verschärfungen Direkt-Marketing jetzt als Umfrage tarnen. Von "massiven Qualitätsunterschieden in der Branche", spricht IMAS-Geschäftsführer Ansgar Löhner. Die Bedürfnisse seien vielfältiger, der Markt internationaler geworden. Von einer Krise könne aber keine Rede sein. Die Frage, was die Kunden wollen, sei in einer zunehmend komplexen Welt wichtiger denn je. Bei relevanten strategischen Fragen setze sich letztlich die Qualität durch: "Was nutzt mir ein schnelles Ergebnis, wenn es falsch ist?"
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