Manner: "Das ist doch ein Kriserl. Völlig uninteressant"
Fährt man die Wiener Wilhelminenstraße stadtauswärts, riecht es auf halber Höhe plötzlich nach Waffeln, Haselnüssen und Schokolade. Nicht nur in der Weihnachtszeit. Immer. Schon seit über hundert Jahren, je nach Windrichtung mehr oder weniger stark. Ganz oben, auf Hausnummer sechs, bäckt das Wiener Traditionsunternehmen Manner seine Neapolitaner Schnitten. Hinter dem großen Eisentor liegen links und rechts die alten Fabriksgebäude. Häuser, die an eine alte Volksschule erinnern: außen weißgraue Gründerzeit-Fassade, innen enge Gänge, dunkle Büros mit alten Möbeln, graue Plastikböden, ocker-gestreifte Tapeten, die sich schon vor Jahren von der Wand gelöst haben. Leise hört man das Rattern der Maschinen: Manner produziert immer noch auf fünf Etagen.
Carl Manner weiß, dass das alles altmodisch ist. Aber mit ein paar Umbauarbeiten will man das nun wieder modern machen. Klar wären die Überlegungen da gewesen, die Produktion in einen Flachbau auf die grüne Wiese zu verlagern. Aber im Grunde ist das undenkbar: Manner gehört zu Wien wie die Fiaker und der Stephansdom – seit jeher die Schutzmarke der Schnitten. In Wiens Wahrzeichen gibt es sogar seit Jahrzehnten einen Steinmetzmeister im rosa Gewand – sein Gehalt sponsert Manner. Quasi das Bindeglied zwischen Wirtschaft und Kirche – und wichtig für den gläubigen Enkel des Gründers. 30 Millionen Euro werden in die alte Fabrik gesteckt. Den Denkmalschutz konnte man abwenden – "sonst hätten wir ja nichts verändern dürfen", erklärt Carl Manner völlig unnostalgisch. "Wer ein bisserl an die Zukunft denkt, muss erneuern".
Der Urenkel
Carl Manner hat die Schnittenfabrik Mitte der 50er-Jahre von seinem Vater übernommen. Schon als Kind sei er hier herumgelaufen. Die Wafferln, nein, die rieche er schon ewig nimmer, daran gewöhne man sich schnell. 2007, mit 79 Jahren, hat er den Vorstandsvorsitz abgegeben. Keine leichte Sache für jemanden, der oft als Patriarch bezeichnet wird. Aber nach vielen guten Jahren lief es für Manner immer schlechter. Der Chef ist zudem ohne Nachkommen – und musste an ein Vierer-Vorstandsteam übergeben, mit Albin Hahn, einem erprobten Strategen und Finanzer, zuvor bei Unilever tätig. "Ich möchte sagen, ich habe lange genug gearbeitet", scherzt Manner. Trotzdem ist er täglich im Büro, schaut sich täglich die Umsatzzahlen an, spricht täglich mit den Vorständen. Nur 16-Stunden-Tage mache er nicht mehr.
Nachmittags sitzt er in seinem abgearbeiteten Büro mit altrosa Teppich, Tresorschränken, dem Ledersessel seines Vaters. Und mit Angie, der jungen Airedale-Terrier-Hündin. Der Opernfan hört via Kopfhörer und YouTube seinem Star zu: Anna Netrebko.
KURIER: Sie waren Ihr Leben lang hier in der Schnittenfabrik.
Carl Manner: Das kann man ruhig so sagen, ja. Aber so lange war das jetzt auch nicht, das ist nicht so schlimm. Früher durfte ich meinen Vater hier besuchen, in der Schule hatte ich den Spitznamen Schokerl. Es gibt einige Klassenkameraden, soweit sie noch leben, die mich immer noch mit Schokerl ansprechen.
Mag der Schokerl Schokolade?
Nicht unbedingt. Ich ernähre mich ja nicht von industriellen Süßwaren. Kaufen tu ich’s mir selten.
Manner investiert jetzt 30 Millionen Euro in den Standort Wien ...
... haben wir vor, das ist ja noch nicht geschehen.
... zahlt sich das für diese alte Fabrik hier in Hernals aus?
Das waren lange Diskussionen. Wenn man ein bisschen an die Zukunft denkt, darf man das nicht so eng sehen. Dieses Werk hier ist sehr groß, es ist altmodisch, wenn sie so wollen, weil immer noch in Stockwerken produziert wird. Aber es lässt sich mit einigen Investitionen doch modern gestalten. Wobei die Transportwege wichtig sind – die sind in so einem Gebäude enorm. Allein zehn verschiedene Aufzüge gibt’s.
Ist das traurig, wenn man erkennt, dass das Alte nicht mehr reicht?
Nein. Wieso soll das traurig sein? Da bin ich nicht nostalgisch. Ich bin mein Leben lang eher für die Änderungen eingestanden, als für das Erhalten. Aber um eine gewisse Tradition ist es natürlich schon schade.
War der Denkmalschutz ein Thema?
Nein. Man hat das Gebäude für den Denkmalschutz vorgeschlagen. Wir haben uns natürlich gewehrt, weil wir dann keine Änderungen vornehmen könnten. Die Gemeinde Wien war hilfreich dabei, das abzuwehren.
Die Stadt Wien ist Ihr Verbündeter?
Ja, die sind natürlich stark daran interessiert, dass wir hier bleiben. Das ist ja in jeder Gemeinde so. Wien ist für uns ja schon eine spezielle Sache. Das steht schon auf der Schutzmarke drauf: Schokolade, Manner, Wien. Ausziehen wäre nicht gut gewesen.
Sie hätten auch längst in den Osten gehen können – geringere Standortkosten, geringere Mitarbeiterkosten? Das ist nur 100 Kilometer weiter ...
Ja, der Osten ist dort. Aber die Arbeitskräfte sind nicht dort. Das ist das Problem. Wir haben da keine wahnsinnig guten Erfahrungen. Wir haben kurze Zeit in Budapest Schnitten erzeugt, aber doppelt so viele Leute gebraucht, wie in Wien.
Lassen Sie uns über das Wirtschaftsjahr 2011 reden.
Ich kann Ihnen über das dritte Quartal etwas sagen. Was ich noch zusätzlich weiß, darf ich nicht verraten, sonst werd’ ich eing’sperrt, weil Sie dann vielleicht mit Manner-Aktien zu spekulieren beginnen. Das ist zwar Unsinn, aber das ist die Vorschrift. Also das letzte Quartal: No jo. Es ist mengenmäßig gut gelaufen, es hat sich nur im Laufe des Jahres eine gravierende Rohstoffhausse ergeben, die uns zu Preiserhöhungen zwingt.
Sie meinen den hohen Zuckerpreis?
Und die Haselnüsse. Sie kennen ja den Schmäh: Unsere Schnitten heißen Neapolitaner – das sind italienische Haselnüsse. Die sind aber gar nicht drinnen, sondern es sind levantiner Haselnüsse, weil heute die Haselnussernte zu 80 Prozent aus der Türkei kommt.
Wie preissensibel sind die Kunden?
Das kommt ganz drauf an: Nicht preissensibel bei sehr gut eingeführten Produkten. Bei günstigen Produkten schon eher: Wenn’s eh scho nix kost, darf’s auch net teurer werden.
Merken Sie einen Trend zu Ihren Billigmarken?
No jo. Das kommt aufs Produkt an. Sie wissen ja, wir haben günstige Angebote, zum Teil ein bisschen verbrämt mit weniger Gewicht und ähnlichen Dingen – die werden gern gekauft.
Wie ist der Absatz international?
Der Exportanteil nähert sich von der Menge her der Zweidrittelmarke. Wir werden jetzt offensiver, wollen uns dem ausländischen Geschmack nähern. Es ist ja der Deutsche Geschmack bekanntlich etwas anders. Die fressen im Norden Lakritzen, das ist was Grässliches, das könnte ich ja hier bei uns niemals verkaufen.
Den Mannershops im Ausland erging es nicht so gut.
In München haben wir einen Shop gehabt. Das war nicht erfolgreich. Unsere Franchisepartnerin war nicht gerade wahnsinnig tüchtig. Wir haben das wieder zug’sperrt.
Sie sind der letzte große heimische Süßwarenhersteller. Wie überleben Sie gegen internationale Konzerne?
Man versucht, wach zu bleiben, nicht alles machen zu wollen, sich zu konzentrieren auf das, was man kann – das Manner-Wafferl und verwandte Produkte.
Sie haben in Ihrem Leben schon viel erlebt. Wie schätzen Sie die angespannte Wirtschaftslage ein?
Sie meinen Konjunktur und Krise? Bei uns wirkt sich das nicht gravierend aus. Weil Essen leistet man sich. Und wir machen ja keine Luxusware. Mit unseren Produkten können Sie sich relativ günstig den Magen füllen, obwohl sie das nicht sollten – das wäre dann zu viel Zucker.
Macht Sie die Wirtschaft nervös?
Je älter man wird, desto weniger nervös ist man.
Können Sie meine Generation beruhigen?
Ja, ohne Weiteres. Das sind kindische Überschriften, dass der Euro in Gefahr wäre. Das finde ich blöd. Die Wirtschaftsschwächen, die in der EU existieren, sind nicht so groß. Es gibt eine relative Gefahr, dass, wenn die viele Banknoten drucken, die Währung weniger wert wird. Grund zur Aufregung ist das alles keiner. Das dauert eine Weile, aber dann geht’s wieder bergauf.
Wie lange wird’s dauern?
Jetzt? Ach, das ist doch bittschön nur ein Kriserl. Völlig uninteressant. Das dauert höchstens ein paar Monate.
Diese Firmenzentrale gibt es seit 1890. Wie viel Museum kann eine Firma vertragen, wie viel Neues muss her?
Man braucht das Museum, damit man glaubwürdig ist. Aber man darf auch nicht altvatrisch wirken. Wir gehen am Grat – manchmal mit Schlagseite zu altmodisch, dann wieder anders. Aber wenn man so eine Meldung lancieren kann, dass man 30 Millionen investiert, dann ist man gleich ein bisschen jünger geworden.
Vor einigen Jahren haben Sie sich auf dem operativen Geschäft zurückgezogen ...
... na ja, ich war eh lang genug da.
... und haben die Firma in die Hände eines Vorstandsteams gelegt. Das macht man wohl nicht so leicht.
Mein Gott, ich war ja schon 79. Ich möchte fast sagen, ich habe ein bisschen lange gearbeitet. Ich musste mir überlegen, solange ich noch bei Verstand bin, ob es sinnvoll ist, ein 79-jähriger Aufsichtsratsvorsitzender zu sein. Das ist ja fürs Image nicht gut. Da glaubt ja jeder, da sitzt so ein alter Trottel bei Manner.
Sie wirken sehr fit und aktiv.
Die Arbeit hält frisch. Aber 16-Stunden-Tage mache ich keine mehr.
Stimmt es, dass Sie mit dem neuen Finanzvorstand eine Testphase vereinbart haben?
Mit dem Magister Hahn? Ja. Es hat aber nicht lange gedauert um zu wissen, dass wir den Richtigen haben.
Was war Ihr Auftrag ans Management?
Sie sollen keinen Unfug treiben.
Wie oft mischen Sie sich ein?
Bei den großen Dingen muss ich schon mitreden. Wie bei der 30 Millionen Investition – da kommt ja ein großer Teil von mir.
Wie ist die nächste Generation? Wie arbeitet sie Ihrer Meinung nach?
Ich bin nicht mit allem zufrieden. Heute wird die Planungsphase übertrieben. Die geht oft zu sehr ins Detail. Es gibt viele Dinge, die man besser über den Daumen peilt und nicht am Heller genau ausrechnet. Ich schau mir nie an, ob wir besser sind als die Planung. Ich schau mir an, ob ich besser bin als voriges Jahr. Das ist altmodisch, aber dabei bleibe ich.
Sie kennen alle Ihre Zahlen?
Viele, nicht alle. Die Umsatzzahl des Vortages interessiert mich sehr.
Sie werden manchmal als Patriarch bezeichnet. Gefällt Ihnen das?
Mein größter Fehler meines Lebens ist, dass ich kein Vater bin und keinen Nachwuchs habe. Da habe ich wirklich etwas versäumt.
Haben Sie zu viel gearbeitet?
Nein. Ich war zu anspruchsvoll.
Wieso arbeiten Sie immer noch?
Weil mir sonst fad wäre.
Woran glauben Sie?
Ich bin ein gläubiger Mensch, das ist vielleicht heute nicht mehr normal. Ich bin sicher, dass wir deshalb die Schutzmarke Stephansdom gut brauchen können.
113 Jahre "Schnitte No. 239"
Im Jahr 1898 kam die fünffach-geschichtete Waffel mit der Schokocreme auf den Markt: Neapolitaner Schnitte No. 239. Das rosa Packerl Schnitten gehört seither zu Wien und Österreich wie Stephansdom und Fiaker – alte, lieb gewonnene Nostalgie. Firmengründer Josef Manner hatte das Haus seiner Eltern Ende des 19. Jahrhunderts zu einer Schokoladenfabrik umgebaut. Bis heute wird in Wien-Hernals produziert, bis zu 100 Tonnen Backwaren täglich. Bereits 1913 wandelte Manner die Firma in eine Aktiengesellschaft um und ging an die Wiener Börse. 1960 bekam die Manner-Schnitte eine moderne Verpackung: Doppel-Aluminiumfolie, roter Aufreißfaden. 1970 fusionierte Manner mit Napoli (Drageekeksi).
Carl Manner übernahm die Firma seines Großvaters Mitte der 50er-Jahre. 2007 entschied er sich, den Vorstandsvorsitz aufzugeben, in den Aufsichtsrat zu wechseln. Jetzt leitet das Unternehmen ein Vierer-Vorstand: Hans Peter Andres (Einkauf, aus der Napoli-Linie), Josef Manner (Produktion, Großneffe), Albin Hahn (Finanzen, von Unilever) und Alfred Schrott (Marketing, von Unilever). Ein notwendiger Schritt, weil Carl Manner selbst keine Nachkommen hat und sich Verluste einstellten. Der Vierer-Vorstand strukturiert um, spart Geld, strafft die Abläufe. Jetzt will man groß investieren: Manner baut in den nächsten Jahren um 30 Millionen Euro den Firmensitz in der Wilhelminenstraße 6 um.
-
Hauptartikel
-
Hintergrund
-
Hintergrund
-
Interview
Kommentare