Manipulierte Kassen, Schein-Rechnungen

Manipulierte Kassen, Schein-Rechnungen
Wie eine Milliarde Euro am Fiskus vorbeiserviert wird. Polit-Streit um generelle Belegpflicht für Bargeld-Zahlungen.

Ein gutbürgerliches Wirtshaus in der Wiener Innenstadt. Der Gast verlangt die Rechnung. Der Kellner legt einen simplen Kassenzettel hin. Kein Datum, keine Mehrwertsteuer, keine Rechnungsnummer. Der Kunde zahlt bar. Erst nach Aufforderung kommt der Herr Ober mit einer korrekten Rechnung. Auf die Frage nach dem vorherigen Beleg murmelt der Kellner etwas von "Pro-Forma-Rechnung", damit der Gast noch Fehler korrigieren könne.

Aufmerksamen Kunden fällt auch in der heimischen Gastronomie auf: Immer öfter werden keine korrekten Rechnungen serviert, sondern Pro-Forma-Varianten, Barbelege oder Zwischenrechnungen. Egal, ob Hauben-Restaurant, Kaffeehaus, Szene-Bar oder Beisl.

Nicht alle Gastronomen sind Steuerhinterzieher, doch ein großer Teil dieser Belege sind Scheinrechnungen. Die mit gewieft manipulierten elektronischen Registrierkassen an der Steuer vorbei serviert werden.

Es geht nicht um ein paar Schnitzel oder darum, arme Unternehmer zu peinigen. Im Finanzministerium schätzt man den Schaden auf gut eine Milliarde Euro im Jahr. Das wäre schon ein Viertel jenes Betrags, den die Regierung für eine Steuerreform benötigt. Nicht nur die Gastronomie rechnet sich derart für die Finanz arm, auch kleine und mittlere Handelsbetriebe, Apotheken, Handwerker, Dienstleister aller Art. Und der Kunde wird um die Mehrwertsteuer betrogen.

Die gefaketen Kassen beschäftigen auch schon die OECD. "Umsatzverkürzung mittels elektronischer Kassensysteme: Eine Bedrohung für die Steuereinnahmen" betitelt die internationale Wirtschaftsorganisation eine ausführliche Studie und warnt vor gewaltigen Steuerausfällen weltweit. In der EU ist die "Projektgruppe Registrierkassen" am Thema dran. In Deutschland wird der Kassen-Betrug auf bis zu zehn Milliarden Euro geschätzt.

Getrickst wird mit zwei Systemen. Phantomware ist bereits in der Buchhaltungs-software installiert. Das Programm ist vor dem ahnungslosen Nutzer versteckt und wird durch Anklicken einer unsichtbaren Schaltfläche auf dem Monitor oder durch eine Tastenkombination aufgerufen. Es erscheint ein Menü zum Löschen von Verkaufstransaktionen und das Drucken von Umsatzberichten mit fehlenden Zeilen. Dabei werden die Lagerdaten automatisch angepasst. Die Mitarbeiter sind trotzdem lückenlos kontrollierbar.

Zapper sind externe Softwareprogramme, auf die über einen USB-Stick, eine CD oder einen Internetlink zugegriffen werden kann. Da sich die Schummel-Software nicht auf dem Gerät befindet, sind Zapper (to zap = löschen) schwieriger zu entdecken. Inzwischen gibt es Zapper, die selbst Kreditkarten-Rechnungen verschwinden lassen.

Zunehmender Beliebtheit erfreuen sich Orderman, kleine tragbare Geräte für das Servier-Personal. "Wenn von vier Kellnern ein Orderman verdeckt ins System läuft, werden 25 Prozent des Umsatzes herausgerissen", erklärt ein Experte. Unauffälliger, als Einzel-Umsätze zu löschen, weil mathematisch besser verteilt.

Manipulierte Kassen, Schein-Rechnungen
Am effizientesten gegen den Kassenbetrug wäre, meinen Experten, eine generelle Belegpflicht. Sowie ein "Fiskalspeicher", der Kassen gegen Manipulationen immunisiert. Die SPÖ wollte bei den letzten Koalitionsverhandlungen die Belegpflicht einführen, scheiterte aber am erbitterten Widerstand von Wirtschaftskammer-ChefChristoph Leitl(ÖVP). Dafür forderte der Wirtschaftsbund als "Verwaltungsvereinfachung" die Abschaffung des Wareneingangsbuches, doch da blieb die SPÖ hart. Diese Aufzeichnungen erleichtern den Prüfern die Hochrechnung von Wareneingängen. Wie man aus SP-nahen Wirtschaftskreisen hört, soll die Belegpflicht ein Thema für die Steuerreform-Kommission werden.Josef Bitzinger, Wiener Tourismus-Obmann, hätte damit "überhaupt kein Problem, aber man kann nicht jeden Unternehmer verdächtigen". Er fordert von der Finanz die Zertifizierung "von wasserdichten Kassen". Funktioniert nicht, kontert ein Insider, "bei jedem Update müsste neu zertifiziert werden". In Ungarn beispielsweise musste die Finanz heuer 80.000 neue, zertifizierte Kassen zurückrufen. Die Software war schon wieder manipuliert.

"Die Belegpflicht gab’s schon einmal, hat sich aber nicht bewährt", wehrt Herbert Houf von der Kammer der Wirtschaftstreuhänder für seine Klienten ab. Er hält’s für hilfreicher, "die Aufmerksamkeit der Konsumenten zu schärfen". Das versuchen einige EU-Staaten mit Rechnungslotterien. Statt zu strafen, sollen die Bürger mit Preisen zur Ehrlichkeit erzogen werden. Die Konsumenten schicken ihre Kassenbelege ein; wer gezogen wird, hat gewonnen. In der Slowakei verlost das Finanzministerium Autos, in Portugal und Kroatien winkt Bargeld.

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