Liessmann: iPhones sind wie Tulpenzwiebeln
Wer wirklich wichtig und reich ist, wird es sich leisten können, zumindest fallweise nicht zu kommunizieren, meint Liessmann.
KURIER: Lernen wir aus der Krise?
Konrad Paul Liessmann: Ja, aber nur langsam und wenn es die Verhältnisse gar nicht mehr anders zulassen. Beispiel Bankenunion: 2008 hat man jene ausgelacht, die eine zentrale Bankenaufsicht gefordert haben. Jetzt wurde sie auf europäischer Ebene beschlossen. Unter Druck passiert, was lange als indiskutabel oder finanzökonomischer Unsinn denunziert wurde.
Regieren aus Ihrer Sicht Politiker oder Wirtschaftskapitäne die Welt?
Die Politik ist erpressbarer geworden. Konzerne repräsentieren Vermögen, die das Bruttoinlandsprodukt vieler Staaten übersteigen. Wer über Milliarden verfügt und Hunderttausende Menschen beschäftigt, hat automatisch Macht. Viele Konzerne sind sich dieser Macht und der damit verbunden Verantwortung allerdings noch nicht bewusst. In der Krise wird nach dem Staat gerufen. Es ist also nicht ganz ausgemacht, wie sich das Verhältnis zwischen Politik und Ökonomie gestaltet.
Die Sparkurse der Politik führen zu Protesten. In Griechenland sind 50 Prozent der Jugendlichen arbeitslos. Welche Auswirkungen wird das haben?
Es ist absurd, dass teils gut ausgebildete junge Menschen, die aktiv sein möchten, keine Chance haben. Die Griechen zu einem aberwitzigen Sparkurs zu zwingen, ohne die sozialen, aber auch mentalen Konsequenzen zu sehen, halte ich für eine kurzsichtige Politik.
Sind Meldungen, wonach das iPhone 5 der US-Wirtschaft ein Wachstum von 0,5 Prozent bescheren könnte, PR oder Hoffnungsschimmer ?
Mich fasziniert, wie Konsumenten und Börsianer durch eine so unsägliche Propaganda mobilisiert und im Verstand getrübt werden können. Apple versteht es, um seine Produkte eine fast religiöse Aura aufzubauen. Rational denkende Menschen dürften auf so etwas nie reinfallen. Analysten zucken aber völlig aus, weil ein Produkt erscheint, von dem sie nicht mal wissen, ob es substanzielle Verbesserungen enthält. Und Konsumenten stellen sich um Mitternacht wegen eines Gerätes an, das es ein paar Tage später überall gibt. Beides ist Hysterie.
Solche Hypes sind aber nicht neu, oder?
Nein. Hysterie gehört zum spekulativen Wirtschaften von Anfang an dazu. Denken Sie nur an jene der Tulpenblase im 17. Jahrhundert. Das iPhone 5 ist nix anderes als eine Tulpenzwiebel.
Hat das Auto als Statussymbol ausgedient?
In einen Porsche einzusteigen, verliert an Attraktivität. Wertigkeiten ändern sich. Es ist noch gar nicht so lange her, da galt jemand in Husarenuniform als erotisch. Heute würde sich ein Bundesheerangehöriger genieren, im privaten Leben in Uniform aufzutauchen. Wir sind nicht mehr in einer militarisierten, aber auch nicht mehr in einer Mobilitäts-, sondern in einer Kommunikationsgesellschaft, die nach entsprechenden Symbolen ruft. Deshalb der hohe Prestigewert entsprechender Geräte. Ich denke aber, dass schon viele unter der eMailflut und Facebook-Freunden leiden.
Wohin wird das führen?
Wer wirklich wichtig und reich ist, wird es sich leisten können, zumindest fallweise nicht zu kommunizieren.
Die Wirtschaft reagiert schon. Etwa mit Hotels, die für viel Geld wenig auftischen …
Es ist auch ein paradoxes Statussymbol, sehr viel Geld dafür zu zahlen, dass man fast nichts zu essen bekommt, keinen Fernseher und Handy-Empfang hat und in einen Wald blickt. Eine interessante Entwicklung. Ich finde, wer nicht die Kraft aufbringt, den Fernseher zu Hause nicht aufzudrehen, soll auch sehr viel dafür zahlen, dass er im Hotel keinen Fernseher hat.
Welche neuen Geschäftsfelder tun sich noch auf?
Spiritualität ist immer Symptom einer Krise. Marx sagte schon "Religion ist das Opium des Volkes", das heißt, die Beruhigungspille für die diejenigen, die sonst nichts haben, keine Arbeit, keine Perspektiven und keine teuren Drogen. Diesen erzählt man von spirituellen Werten. Manch einer mag sich dabei beruhigen, manch einer lässt sich fanatisieren. Spiritualität kann auch das Auffangbecken für Unzufriedenheit sein und Unzufriedenheit kann immer in Aggressivität umschlagen. In der islamischen Welt sorgt gerade ein unbedeutender Videoclip für Empörung – vor allem bei Menschen, die offenbar wenig Perspektiven materieller Natur haben.
Wo ist das Geschäftsfeld?
In unserer Welt organisiert sich die Befriedigung jedes Bedürfnisses als Markt, also auch bei der Spiritualität. Früher waren diese Märkte von der Kirche monopolisiert, die damit auch nicht gerade verarmte. Jetzt gibt es viele, die Orientierungslosen Richtung und Erlösung geben wollen – von Coaches bis Beratern, von Gurus bis zu Predigern. Mit dem nächsten ökonomischen Aufschwung werden diese Trends aber auch wieder ein wenig zurückgedrängt werden.
Wird die Wirtschaft nach der Krise anders aufgestellt sein?
Die Frage ist, ob die ökonomischen Eliten, die die besten Unis der Welt besucht und dann die Spekulationsblase verursacht haben, umdenken. Momentan sehe ich das noch nicht. Monopolartig gelehrte Thesen, die offensichtlich verkürzt, eindimensional und kurzsichtig waren, müssten revidiert werden. Es gibt ja auch Wissenschaftler, die dazu aufrufen. Wissenschaft lebt von der Vielzahl konkurrierender Theorien, Potenziale sind da, sickern aber nur langsam durch. Hingegen vom arbeitslosen Griechen zu verlangen, dass er aus der Krise lernt, wäre zynisch.
Wie stehen Sie zu Vermögenssteuern?
Aktive Arbeit wird so hoch besteuert wie nichts anderes. Vermögen und Spekulationsgewinne dagegen wenig bis gar nicht. Es ist absurd, dass jemand der arbeitet, bis zu 50 Prozent Steuern zahlt und eine Finanztransaktionssteuer von weniger als einem Prozent ein Problem sein soll. Da muss doch jedes denkende Gemüt sagen, da stimmt etwas nicht.
Was ist Ihr Vorschlag?
Ich bin kein Steuerexperte. Aber rein atmosphärisch: Die 0,05% angedachte Transaktionssteuer kann ja für die hoch dotierte Finanzbranche nicht so ein Problem sein, wenn zahlreiche Menschen durch die Finanzkrise unter des Existenzminimum gedrückt werden. Ich verstehe schon, dass die Lösung nicht so einfach ist. Aber Politik muss auch mit Gerechtigkeitsgefühlen rechnen, selbst wenn diese der reinen ökonomischen Lehre zu widersprechen scheinen. Warum eigentlich nicht die Arbeit mit maximal 25% und Spekulationsgewinne mit 50% besteuern?
Wie stehen Sie zu EU-Vorschriften – von Nichtraucherzonen bis zur Glühbirne?
Wir brauchen Regeln, aber wenn an der Uni die schönen alten Türen durch hässliche Sicherheitstüren ersetzt werden, frag ich mich, ob das notwendig ist. Die Glühbirnengeschichte war sicher ein Unsinn und hat der EU imagemäßig wohl ziemlich geschadet. Oder: Beim Nichtraucherschutz sind wir rigide, beim Lärm tolerant. In einer lärmbefreiten Welt zu leben wäre für mich aber viel wichtiger als eine globale Nichtraucherzone. Ich finde die Beschallung in Lokalen fürchterlich. Restaurants, in denen Ö3 läuft, besuche ich prinzipiell nicht. Ich sehe Regelungsbedarf auf europäischer Ebene (lacht).
Zur Person: Konrad Paul Liessmann
Uni-Professor Konrad Paul Liessmann, geboren 1953, ist Professor an der Universität Wien. Der geborene Kärntner hat Germanistik, Geschichte und Philosophie studiert und wurde 2006 zum Wissenschaftler des Jahres gekürt. Seit 1996 ist er wissenschaftlicher Leiter des "Philosophicum Lech" und Herausgeber der gleichnamigen Buchreihe.
Autor Liessmann hat zahlreiche Bücher geschrieben, unter anderem "Theorie der Unbildung". In seinem neuen Buch spürt der Philosoph den Grenzen und Unterscheidungen nach, ohne die weder der Einzelne noch eine Gesellschaft überlebensfähig wären ("Lob der Grenze. Kritik der politischen Unterscheidungskraft", Verlag Zsolnay, 208 Seiten, 19,50 Euro).
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