Leitl fordert von der EU: "Wir brauchen Lösungen, keine Waffen"

Leitl: „Die Europäer, Russen und Chinesen sollen sich gegen die Amerikaner verbünden“
Will die EU im globalen Wettbewerb bestehen, muss sie sich rasch verändern und Initiative ergreifen, sagt Christoph Leitl.

Eurochambres-Präsident Christoph Leitl fordert einen Neustart in der EU. Mit der neuen EU-Kommission und dem neuen EU-Parlament sei dafür jetzt der richtige Zeitpunkt. „Wenn die EU im globalen Wettbewerb erfolgreich sein will, muss sie gute Beziehungen zu allen Kontinenten und gute transatlantische Beziehungen haben“, sagte Leitl anlässlich der heurigen Eurochambres-Jahrestagung in der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die USA hätten die Flagge des freien und fairen Handels niedergelegt, die EU müsse sie jetzt in die Hand nehmen. „Wir brauchen einen Handel auf Augenhöhe“, fordert Leitl.

Kritik an Sanktionen

Eurochambres, der Dachverband der europäischen Industrie- und Handelskammern (siehe unten), könne dazu beitragen, denn es handle sich nicht nur um eine Interessensvertretung, es werden auch Services angeboten, so Leitl. Er verweist auf 1.700 regionale und lokale Wirtschaftskammern und 20 Millionen Mitgliedsbetriebe. Er kritisierte bei diesem Anlass einmal mehr die Wirtschaftssanktionen des Westens gegen Russland. „Sanktionen sind als Waffe gut. Aber die Menschen und die Unternehmen brauchen keine Waffen, sondern Lösungen.“

Düstere Aussichten

Ein starkes Europa ist hinsichtlich des aktuellen wirtschaftlichen und politischen Ausblicks besonders wichtig, meint Rifat Hisarciklioglu, Eurochambres-Vizepräsident und Präsident der türkischen Kammern. Der Handelsstreit zwischen den USA und China, der Klimawandel und Migration – alleine die Türkei beherberge derzeit mehr als vier Millionen Flüchtlinge – würden die Situation nicht einfacher machen. Isolation, meinte er in Hinblick auf die USA, sei nicht die richtige Antwort. Er forderte freien Handel, offene Märkte und gute Rahmenbedingungen für Unternehmen und Innovationen. „Derzeit beeinflussen aber nationale Interessen die EU, das war vor zehn Jahren nicht so“, sagte Hisarciklioglu. Europa habe dadurch an Konkurrenzfähigkeit verloren.

Digitalisierung

Mehr Aufmerksamkeit müsse Europa auch auf neue Technologien, wie Digitalisierung, lenken und darauf, wie diese die Produktion und den Arbeitsmarkt verändern. „Die Frage wird sein, wie viele Kapazitäten wir brauchen werden und wie wir das Bildungssystem ausrichten müssen“, sagte Hisarciklioglu. Dafür brauche es aber auch die richtigen Rahmenbedingungen, und die müsse die Politik beisteuern.

Eurochambres

Eurochambres ist eine der größten Unternehmensvertretungen in Brüssel und fungiert als Dachverband der europäischen Handels- und Industriekammern. Er vertritt rund 20 Millionen Unternehmen, davon 93 Prozent Klein- und Mittelbetriebe. Diese werden durch 1.700 regionale und lokale Kammern betreut, wie zum Beispiel die neun österreichischen WKO-Länderkammern. Der Verband  hat 45 Mitglieder, darunter die 28 Kammern der EU-Staaten und 27 Kammern aus europäischen Ländern, die nicht in der EU sind. Derzeitiger Präsident ist der ehemalige Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl. Er wurde 2017 gewählt und hat gute Aussichten auf eine zweite zweijährige Amtsperiode.

Ukraine - ein Land mit großem Potenzial

Das Gastgeberland der heurigen Eurochambres-Jahrestagung, die Ukraine, habe für Europa schon seit tausend Jahren eine große Bedeutung als Brücke zwischen Ost und West, sagt Gennadiy Chyzhykov, Präsident der ukrainischen Industrie- und Handelskammer. In der Ukraine habe es in den vergangenen Monaten starke Umwälzungen gegeben.

Leitl fordert von der EU: "Wir brauchen Lösungen, keine Waffen"

Erst im Mai wurde mit Wolodymyr Selenskyj ein neuer Präsident gewählt. Viele Ukrainer setzen große Hoffnungen in die „jüngste Regierung Europas“, das Durchschnittsalter liegt bei nur 39 Jahren. Selenskyj will vor allem die der Ukraine stark zusetzenden Korruption bekämpfen und die Wirtschaft ankurbeln. In den kommenden fünf Jahren soll das Bruttonationalprodukt um 40 Prozent steigen. Die Ukraine habe gewaltiges wirtschaftliches Potenzial, doch müsse dieses erst genutzt werden, sagt Chyzhykov. Priorität habe eine stärkere Zusammenarbeit mit Europa. Derzeit werden laut Chyzhykov 40 Prozent des Außenhandels mit der EU getrieben. Eurochambres will diesen Anteil steigern und auch den Handel mit den USA ausbauen.

Österreichische Skepsis

Seitens österreichischer Unternehmer, die in der Ukraine ansässig sind, gibt es allerdings Skepsis, ob das alles so rasch gelingt, wie geplant. Die  ukrainische Wirtschaft sei zum Teil noch ineffizient und beim Infrastrukturausbau sowie dem Bürokratieabbau sei noch viel zu tun.

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