Mit schrägen Ideen ins Geschäft

Kritische Blicke: Die Lebensmitteltrends heißen Bio, weniger Fett und Zucker. Oft entscheidet aber der Preis, ob eine Ware ins Regal kommt.
Extrawurst ohne Wurst und Spaghetti-Käse warten auf der Kölner Anuga auf Käufer.

Ein volles Auftragsbuch würde er heute nicht mehr in den Rhein werfen, sagt Hans Staud. Vor rund 30 Jahren, als er das erste Mal auf der Lebensmittelfachmesse Anuga in Köln war, war das anders. Damals hatte er mehr potenzielle Kunden kennengelernt als er hätte beliefern können. „Deswegen hab’ ich das Auftragsbuch gleich weggeworfen“, erzählt der Wiener Marmeladenspezialist.

Mit schrägen Ideen ins Geschäft
Auch heuer hat er wieder einen Messestand auf der Anuga. Hinter Staud stapeln sich Gläser mit Konfitüren und eingelegten Gemüsedelikatessen. Vor ihm liegt ein Buch voll mit Visitenkarten neuer Geschäftspartner. „Heute waren nur liebe, fesche Leut’ da, die alle Charme gehabt haben“, betont er und schenkt seinen Gästen Sekt ein. So lustig wie bei Staud geht es bei wenigen Ständen zu.

Fast 6800 Aussteller aus 98 Ländern sind angereist, um ihre Ware in den Weltmarkt zu pressen. 30 Kundengespräche pro Messetag sind keine Seltenheit, schnaufen gestresste Manager und Vertriebschefs. Durch die Gänge schieben sich vorwiegend Männer in schwarzen Anzügen – in der einen Hand die Aktentasche, in der anderen das Smartphone. Gegen den Strom zu gehen, ist quasi unmöglich.

Die Anuga vermittelt den Eindruck, dass es in der Lebensmittelindustrie nichts gibt, was nicht schon erfunden wäre. Von Pizza am Stiel über schwarzes Sojamilchpulver bis zu Mozzarella in Spaghettiform. Den Spaghetti-Käse sollen Kinder übrigens lustig und ihre Eltern wegen des hohen Calciumgehalts gesund finden, hofft der Hersteller. Die Konkurrenz beäugt ihn skeptisch. Nur 14 Prozent der Produktinnovationen setzen sich durch, sagen die Erfahrungswerte.

Extrawurst ohne Wurst

Mit schrägen Ideen ins Geschäft
Model Melanie zeigt am 04.10.2013 in Köln (Nordrhein-Westfalen) "Hasta la Pizza", eine Pizza am Stiel der italienischen Firma Hasta La Pizza während des Neuheiten-Fototermins der Lebensmittelmesse Anuga. Auf der Anuga zeigen fast 6800 Anbieter aus 98 Ländern vom 05.10. bis 09.10.2013 neue Trends und Produkte in der Lebensmittelindustrie Foto: Federico Gambarini/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++
Aus Österreich haben 117 Produzenten einen Stand auf der Anuga bezogen. Einige haben es mit ihren Neuheiten in die Anuga-Liste der Top-Innovationen geschafft. Darunter die Nöm mit ihrem Kaiserschmarrnjoghurt, Landhof mit einer Pikanten Extrawurst ohne Fleisch oder Spitz mit einem Cola-Fruchtaufstrich.

Viele heimische Firmen spielen in Nischen am Weltmarkt mit. Ein Exportschlager ist Käse. Das Salzburger Familienunternehmen Woerle exportiert in 70 Länder der Welt. „Bei Schmelzkäse sind wir sogar in Sri Lanka Marktführer“, sagt Firmenchef Gerhard Woerle. Um große Mengen handelt es sich dabei freilich nicht. Der Schmelzkäse wird in Sri Lanka mit Mopeds ausgeliefert und eckenweise verkauft. Geld für eine ganze Packung hätten die wenigsten Kunden.

In Österreich habe sich die Branche sehr verändert, sagt Woerle. Viele private Unternehmen seien längst von der Bildfläche verschwunden. „1995 gab es 167 Molkereien und Käsereien in Österreich, heute sind es noch 35.“ Er will auf der Anuga vor allem neue Kunden in Osteuropa ansprechen.

Auch Josef Rupp setzt auf Schmelzkäse. Mit den Marken Alma und Rupp ist er die Nummer eins in Österreich, 85 Prozent seiner Produktion gehen aber in den Export. Rupp produziert für internationale Handelsketten aber auch für die Industrie. Unter anderem für französische Fertiggerichtehersteller, die den Käse der Vorarlberger für tiefgekühlte Hamburger oder Käsesoßen verwenden. Gegen die Großen in Deutschland sei er aber ein Zwerg, sagt Josef Rupp und zeigt auf den Stand gegenüber. „dmk macht in zwei Hallen in Deutschland in etwa so viel Käs’ wie alle Österreicher zam.“

Die Trends, die die Industrie auf der Anuga ausmacht, sind nicht neu: Mehr Bio, weniger Fett und Zucker und mehr Convenience. Auch für Weintrinker, für die Gläser mit abziehbaren Deckel entwickelt wurden: Aufreißen, trinken, wegwerfen, so der Convenience-Gedanke. Gleichzeitig sagen die Trendforscher, dass Verpackungen ökologischer werden sollen.

Hans Staud ist trotz der Hetz an seinem Stand froh, dass der Messetag langsam zu Ende geht. „Heut sind wir alle müd, aber gestern waren wir richtig fertig“, lässt er durchblicken, dass ein Messetag mit den Abendterminen oft erst richtig losgeht.

Mehr rund um die Kulinarik auf KURIER.at

In Köln ist grad Anuga. Wie bitte? Sie wissen nicht, was eine Anuga ist? Wir wussten es auch nicht. Laut Wikipedia ist die Anuga die Allgemeine Nahrungs- und Genussmittel-Ausstellung (= die weltgrößte Ess-Messe).

Die auf der Anuga registrierten neuesten Ess-Trends lauten: Es muss schnell gehen, gesund sein, leicht portionierbar sein. Gegessen wird in „Zeitfenstern“ (aber immerhin, gegessen wird auch in Zukunft). Man sagt jedoch nicht mehr „Essen“, man sagt „Convenience-Food“. Und natürlich ist die Nahrung auch ein Statussymbol. Bestellt man das Falsche, kann sich das schädlich auf den sozialen Status auswirken. Unlängst in einem Bio-Lokal erlebt: „Bitte den Couscous-Salat!“ – „Couscous??? Wir führen nur Bulgur!“

Auf der Anuga wurden folgende neue Produkte vorgestellt: Pizza am Stiel, Salat in Scheibenform, Käse in Spaghettiform, Cola-Brotaufstrich, Kaiserschmarrn-Joghurt und wurstlose Wurst. Angenommen, jemand hätte gerade den Apfel erfunden und wollte ihn auf der Anuga vorstellen – er würde ausgelacht: Viel zu banal!

Kommentare