Immer mehr Langzeitarbeitslose in Österreich: "Und was machst du so?"

Zwei Personen stehen entspannt nebeneinander an einer grauen Betonwand, im Vordergrund unscharfe Gräser.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen in Österreich steigt drastisch. Zwei Betroffene über den tiefen Fall, großen Frust und kleine Hoffnungsschimmer.

Sigi nimmt jeden Tag den ersten Zug um 5 Uhr. Sie kommt lieber eine Stunde zu früh als eine Minute zu spät. Vielleicht, weil sie weiß, dass sie so eine Chance wohl nie wieder bekommen wird. Die 59-Jährige hat keine Berufsausbildung, war alleinerziehend, hielt sich ihr ganzes Leben lang mit Hilfsjobs über Wasser. Sie war Zimmermädchen, Küchenhilfe, Verkäuferin.

Jetzt sitzt sie an einem großen weißen Tisch in der lichtdurchfluteten Kunstwerkstatt des sozialökonomischen Betriebs Emmaus in St. Pölten und malt eine Libelle auf den Holzbuchstaben L. Sigi, wie sie genannt werden will, ist hier eine von 25 Transitmitarbeitern. Heißt: Langzeitarbeitslose bekommen eine – meist auf 6 Monate befristete – Anstellung, um im Berufsleben wieder Fuß zu fassen und anschließend einen Job zu finden. Das Projekt wird vom Arbeitsmarktservice und dem Land Niederösterreich gefördert.

Anstieg um 25 Prozent

Im Oktober 2025 waren 46.869 Menschen länger als ein Jahr lang beim AMS vorgemerkt. Das war ein Anstieg von 25 Prozent zum Vorjahr. Die Zahl der Langzeitbeschäftigungslosen, bei der Kurzzeitjobs und Schulungen, die die Arbeitslosigkeit nur kurz unterbrechen, mitgerechnet werden, stieg auf 94.476.

Seit Jahren gehört diese Gruppe zu den größten Sorgenkindern am Arbeitsmarkt. Projekte wie bei Emmaus sind ein Versuch, Menschen wieder in die Erwerbstätigkeit zu bringen. Bei immerhin jedem Zweiten funktioniert das, die Hälfte findet nach dem Transitarbeitsplatz einen Job. Nach 92 Tagen sind es noch 40 Prozent. Dieser Zeitrahmen dient dem AMS als Maßstab für Erfolg.

Ein Mann mit Bart und Zopf im grauen Nike-Hoodie gestikuliert vor orangefarbenen und blauen Wandelementen.

Martin Schonaklener.

Dass Martin Schonaklener keine Arbeit mehr hat, erfuhr er auf der Firmen-Weihnachtsfeier. Sein Chef sagte ihm damals, er könne ihn nicht behalten. Das war vor fast zwei Jahren. Was dann passierte, nennt der 54-Jährige den „Zusammenbruch meiner Welt“. Damit meint er nicht nur die finanziellen Sorgen, ob er die nächste Stromrechnung bezahlen kann. Er meint auch die Scham in einer Gesellschaft, die sich über Leistung definiert.

Dabei hat der St. Pöltner sein ganzes Leben lang gearbeitet. Er ist gelernter Maurer, war Fabriksarbeiter, hat Installations- und Tischlerarbeiten gemacht. Zuletzt war er auf Montage in Frankreich. „Wenn ich eine Arbeit gebraucht habe, habe ich mir eine gesucht“, sagt er. Nur dieses Mal funktionierte es plötzlich nicht mehr. Er glaubt, aufgrund seines Alters. Den Frust stillte er mit Essen. „Ich hab mords zugenommen.“ Dann vermittelte ihn das AMS an Emmaus. Hier ist er Transitmitarbeiter im Sanierungsbetrieb, verputzt und malt aus. Er hofft, danach einen sicheren Job zu finden. Martin Schonaklener möchte nicht noch einmal von vorne anfangen.

Warten auf Antwort

Nach einer langen Arbeitslosigkeit ist der Wiedereinstieg deutlich schwieriger. Vor allem, wenn man älter ist. Das zeigt eine Sora-Studie im Auftrag des AMS aus 2023. 45 Prozent der Bewerbungen von älteren Langzeitarbeitslosen bleiben unbeantwortet.

Zudem verlieren Menschen ihre Motivation und Routine, sagt Barbara Käfer von Emmaus, ungeachtet ihres Alters. Deswegen geht es in dem sozialökonomischen Betrieb nicht darum, Qualifikationen zu erwerben. Die Transitmitarbeiter sollen in die Tagesstruktur hineinfinden. Es sind Themen wie pünktlich zu erscheinen oder sich rechtzeitig krank zu melden. Auch die Frage, wie das Leben mit dem Aspekt Arbeit zu managen ist, überfordert viele – Stichwort Kinderbetreuung. Und sie sollen wieder erkennen, dass Arbeit sinnstiftend sein kann.

Eine Person zeichnet mit einem roten Stift eine Libelle auf einen roten Holzbuchstaben "L".

Zudem sind da gesundheitliche Einschränkungen. Sie seien eines der größten „Vermittlungshemmnisse“, heißt es beim AMS Niederösterreich. Viele würden sich auch schnell in einen Krankenstand zurückziehen. Daher thematisieren die Betreuerinnen und Betreuer bei Emmaus auch den richtigen Umgang mit dem eigenen Körper.

Immer irgendwie

„Ich war so in der Kacke drinnen“, sagt Sigi. Viele Jahre ihres Lebens sei es nur darum gegangen, irgendwie durchzukommen. Vor allem, als sie alleinerziehend war. Ohne ihre Eltern, Geschwister, Freunde hätte sie es nicht geschafft, sagt sie. Zuletzt kamen noch prekäre Wohnverhältnisse dazu.

Aber das Problem, sich zu motivieren, hatte Sigi nie. „Ich bin immer wieder herausgekommen.“ Jetzt sogar aus der Langzeitarbeitslosigkeit. Anfang November hat sie bei einer Reinigungsfirma in St. Pölten begonnen. Und eine neue Wohnung im Stadtzentrum bezogen. Sigi nimmt jetzt nicht mehr den ersten Zug in der Früh. Sie kann zu Fuß zur Arbeit gehen.

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