Krankenkassen-Chef: "Was sollen Fusionen bringen?"

Hans Jörg Schelling, neuer ÖVP-Finanzminister.
Hauptverbands-Vorsitzender Hans Jörg Schelling sieht kaum Vorteile von Zusammenlegungen.

Hat Österreich zu viele Krankenkassen? Der Ruf nach einer Zusammenlegung der insgesamt 22 Sozialversicherungsträger wird lauter. Nach den Oppositionsparteien wurde zuletzt auch der ÖVP-Wirtschaftsflügel von der Fusionitis erfasst und fordert rasche Reformen ein. Der Wirtschaftsbund möchte Kranken-, Unfall- und Pensionsversicherungen zu nur noch drei Einheiten schrumpfen. Dies würde nicht nur Synergien heben, sondern wäre auch praktischer für die Versicherten.

Aber was brächte eine Zusammenlegung wirklich? Hans Jörg Schelling, Vorsitzender des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger, zeigt sich im KURIER-Gespräch skeptisch, was mögliche Einsparungen betrifft, und fordert von der Politik klare Zielsetzungen ein.

Populismus

"Es ist einfach, die Zusammenlegung populistisch zu fordern, aber noch niemand hat ein Ziel, geschweige denn eine Strategie dazu entwickelt. Das hätte ich gerne diskutiert", argumentiert Schelling. In Österreich gebe es das Problem, dass immer zuerst über Strukturen und dann erst über die Strategie gesprochen wird. "Das haben wir ja schon bei der Wehrpflicht oder beim Lehrerdienstrecht gesehen", ätzt der Hauptverbands-Chef.

Dass etwas geschehen muss, steht im Regierungsprogramm. Hier ist von einer "Effizienzsteigerung" bei der Sozialversicherung die Rede. Eine Studie soll Sparpotenziale ausloten, doch sie ist laut Schelling bis heute nicht in Auftrag gegeben worden. "Ich muss zuerst wissen, was eine Fusion bringt und was nicht, erst dann kann ich zusammenlegen. Sind drei Träger besser als zehn oder 22? Ich weiß es nicht."

Wo so manch Politiker Milliarden-Einsparungen sieht, ist Schelling schleierhaft. Er nennt drei Beispiele:

  • Verwaltung

"Wir haben per Gesetz einen Verwaltungskostendeckel, das heißt, wir dürfen nie mehr als drei Prozent unserer Beitragseinnahmen für die Verwaltung ausgeben. Das wird auch überprüft und überwacht." Nur die Hälfte der in der Verwaltung Beschäftigten seien auch tatsächlich in der Verwaltung, der Rest arbeite in Einrichtungen wie Krankenhäusern oder Reha-Zentren. Die werde man nur schwer zusammenlegen können.

  • Verträge

"Wir haben über 3000 Verträge in neun Bundesländern. Frage: Welcher Vertrag soll dann für alle gelten? Die Ärzte wollen sicher den besten, wir wahrscheinlich den schlechtesten." Am Vertragsrecht ist zuletzt auch die Zusammenlegung zwischen der gewerblichen Sozialversicherung mit jener der Bauern gescheitert.

  • Personal

Was bleibt, sind Einsparungen bei den Selbstverwaltungen und damit beim Personal. Aber hier sehen die Dienstverträge teilweise Kündigungs- und Versetzungsschutz vor, so dass eine Personal-Reduktion viele Jahre dauern dürfte. Schelling: "Das wird ein extrem langwieriges Prozedere."

Sollen die Krankenkassen – ähnlich wie in Deutschland – von den Versicherten frei wählbar sein, womit es mehr Wettbewerb gäbe? Das deutsche System der freien Kassenwahl ab 5000 Euro Einkommen sei nicht sehr erfolgreich, meint Schelling. Und: "Wenn ich alles zusammenlegen will, entsteht sicher kein Wettbewerb."

Die Wirtschaftskammer (WKÖ) will den großen Wurf – von den bisher 22 Sozialversicherungsträger sollen nur noch drei Einheiten übrig bleiben – eine für Selbstständige, eine für Unselbstständige und dazu noch eine für den öffentlichen Dienst. Synergien ortet die WKO bei der besseren Nutzung der Gesundheitseinrichtungen, Einkaufskonditionen, Verwaltungskosten, Tarifen mit Gesundheitsanbietern sowie einer Harmonisierung der Leistungen. Voraussetzung für eine Zusammenlegung sei aber eine genaue Prüfung der Trägerstrukturen. Die Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) will die Fusionsdiskussion "nicht immer wieder neu aufwärmen", man stehe mitten in der Umsetzung der Gesundheitsreform. Eine Zusammenlegung gehe auf Kosten der Versicherten.

Seit 2006 gibt es unter dem Dach des Hauptverbandes 22 Sozialversicherungsträger: Neun Gebiets- und sechs Betriebskrankenkassen; die Unfall- und Pensionsversicherungsanstalt; die Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft, der Bauern, der Notare; die Versicherungsanstalt für Eisenbahner und Bergbau sowie die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter.

Im internationalen Vergleich ist die Anzahl der Träger eher gering. In Deutschland etwa gibt es inkl. der Rentenversicherung 550 Trägerorganisationen. Auch in Österreich gab es nach dem ersten Weltkrieg noch 600 Kranken-, Pensions- und Unfallversicherungen. Nach Abschaffung der Selbstverwaltung im 2. Weltkrieg wurde sie nach dem Krieg wieder eingeführt und der Hauptverband als Dachorganisation gegründet.

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