Mit der Himbeere in die EU

Teuta Ramani in ihrer Fabrikshalle in Podujeva.
Welche Anforderungen die Länder des Westbalkans auf ihrem Weg zum EU-Beitritt erfüllen müssen, zeigt sich in der kosovarischen Kleinstadt Podujeva, der "Stadt der Himbeeren" – deren Früchte bei uns im Fruchtsaft landen.

Der erste Schnee heuer hat alle überrascht – er fiel am ersten Oktober-Wochenende, als die letzten Himbeeren dieser Saison noch auf den Sträuchern hingen. "Zum Glück", sagt Ekrem Ramani, "der Schnee hat die Früchte vor dem Frost beschützt, sonst wären sie alle kaputt gegangen."

An klaren Tagen blickt man von den etwas erhöhten Feldern nahe der Stadt Podujeva im Nordosten des Kosovos weit über die Landschaft, bis zu den höchsten Bergen im Süden und Südwesten des Landes. Dort oben ist der Schnee gleich liegen geblieben; in Podujeva ist er nach wenigen Tagen wieder verschwunden. Die letzten Himbeeren an den Sträuchern schmecken Mitte Oktober nochmal ein wenig nach Sommer.

Podujeva, "die Stadt der Himbeeren", so nennen sie selbst regionale Medien mittlerweile. In den vergangenen Jahren sind Anbau und Vertrieb der Beeren extrem angestiegen, Himbeersträucher säumen die Straßen. Lokalregierungen und internationale Organisationen wie die Caritas Schweiz, Österreichs staatliche Entwicklungszusammenarbeit, kurz ADA, und bis zu ihrem Einstellen auch die US-Entwicklungsbehörde USAID unterstützen den Anbau finanziell, mit Setzlingen und Bewässerungssystemen. Heute trägt die Himbeere bei vielen Familien wesentlich zum Einkommen bei.

Die letzten Himbeeren auf den Sträuchern in Podujeva.

Die letzten Himbeeren auf den Sträuchern in Podujeva.

Auch Rauch verarbeitet Beeren aus dem Kosovo 

Ekrem und Teuta Ramani gehören zu den Vorreitern in der Region. Das Paar hat 2010 mit dem Anbau von Himbeeren begonnen, "damals mit einer Fläche von 0,2 Hektar. Heute haben wir fünf Hektar." Mithilfe der Caritas Schweiz gründeten sie "Kemi Fruits", eine Vertriebsfirma, die die Ernte der Bauern in der Region sammelt, verpackt und vertreibt. 12 Angestellte hat die Firma, 20 bis 30 sind es zur Erntezeit. Insgesamt gehören heute über 2.000 Hektar der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Kosovo dem Beerenanbau.

Rita Glavitza, Büroleiterin der ADA in Pristina, erklärt: "Ein Großteil des Landes eignet sich gut für Landwirtschaft. Doch der landwirtschaftliche Sektor ist sehr fragmentiert und kleinteilig. Staatliche Förderungen greifen oft erst ab einer bestimmten Größe. Wir unterstützen gezielt dort, wo die staatliche Förderung nicht hinkommt."

Ekrem Ramani führt die Besucher über das Gelände, öffnet eine schwere Tür. Dahinter ist es eiskalt: Minus 48 Grad Celsius hat es im Raum. "Die Himbeeren werden bei dieser Temperatur schockgefroren, die Heidelbeeren bei minus 20 Grad Celsius gelagert", erklärt er. 

Die Beeren – neben Him- vor allem Heidelbeeren und Aronia – landen nur zu einem geringen Anteil am heimischen Markt. Das Exportvolumen der Firma heuer: über 1,2 Millionen Euro. Über 90 Prozent gehen in den Export, zum Beispiel nach Bosnien-Herzegowina oder Serbien. So landen die Beeren auch beim österreichischen Fruchtsafthersteller Rauch, der ein Fruchtverarbeitungswerk in Serbien hat. Die Beeren werden dort zu Konzentraten oder Tiefkühlprodukten verarbeitet, die dann an Marmeladen- oder Eishersteller weiterverkauft werden. Aber auch in die EU, etwa nach Kroatien, wird direkt exportiert.

Strenge EU-Standards

2016 trat das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) der EU mit Kosovo in Kraft. Nationale Regelungen, auch in der Landwirtschaft, sollen an EU-Standards angeglichen werden: Verpackungsvorschriften und Ursprungsbezeichnung, wie häufig Qualitätskontrollen vorgenommen werden müssen oder welche Pestizide (nicht) verwendet werden dürfen. Die Regelungen für den Export in die EU sind streng, sagt Ramani. "Doch wir differenzieren nicht mehr zwischen Produkten für den EU- und Nicht-EU-Markt. Wir haben unsere Qualitätskontrollen für alle Produkte vereinheitlicht."

Zwar macht der Handel der EU mit dem Kosovo einen vergleichsweise geringen Anteil aus – der Export europäischer Güter in den Kosovo ist für die EU weitaus wichtiger als der Import kosovarischer Waren; doch für viele Familien um Podujeva ist die Himbeere ein Grund, hier zu bleiben und nicht wie viele andere Kosovaren Richtung Hauptstadt oder noch weiter, Richtung EU, abzuwandern. "Wenn wir im Ausland sind, etwa bei meinem Bruder in Deutschland, suchen wir in den Supermärkten nach unseren Beeren in den Produkten", sagt Ekrem Ramani, sichtlich etwas stolz.

Edona gehört zu den Himbeer-Produzenten, die mit "Kemi Fruits" zusammenarbeiten.

Edona gehört zu den Himbeer-Produzenten, die mit "Kemi Fruits" zusammenarbeiten.

Bedrohung Klimawandel

Die landwirtschaftliche Tätigkeit ermöglicht auch Frauen eine Erwerbsbeschäftigung; die ADA unterstützt explizit Projekte, die die wirtschaftliche Ermächtigung von Frauen zum Ziel haben. Kinderbetreuungsplätze sind im Kosovo keine Selbstverständlichkeit, das Angebot bestimmt die Lokalregierungen. Vor allem im ländlichen Raum ist die Kinderbetreuung nach wie vor Frauenaufgabe. "Hier habe ich meine Arbeit direkt vor der Haustür, und schaffe beides", sagt die Landwirtin Edona, die ihre Ernte an "Kemi Fruits" verkauft.

Bedroht wird die Erfolgsgeschichte der Himbeere im Kosovo nur von einem: dem Klimawandel. Die letzten Sommer waren heiß und trocken. Die Folge: Schädlingsplagen und Bewässerungsprobleme. 2.500 Kilogramm Himbeeren habe sie heuer ernten können, erzählt Edona, für einen Kilo bekam sie im Schnitt vier Euro. Macht rund 10.000 Euro im Jahr. Heuer war der Preis deutlich höher als in den letzten Jahren, das Angebot verknappt, die Nachfrage aber blieb gleich.

Hinweis: Die Reise wurde zum Teil von der ADA finanziert.

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