Klimaschutz bringt europäische Stahlhersteller in Bedrängnis

Bedingung: Keine Einfuhr von chinesischem Stahl in die USA
CO2-Neutralität erfordert milliardenschwere Investitionen, gleichzeitig geht Industrierezession mit sinkender Nachfrage und steigenden Rohstoffpreisen einher.

Der europäischen Stahlindustrie steht ein unsicheres Jahrzehnt bevor. Die Umstellung der Produktion von klimaschädlicher Kohle auf emissionsfreien Wasserstoff verlangt den Herstellern milliardenschwere Investitionen in die neue Technologie ab. Gleichzeitig machen der Branche derzeit steigende Rohstoffkosten und eine heftige Industrierezession zu schaffen, die eine geringere Stahlnachfrage bedingt.

Der Klimaschutz und schmerzhafte Strukturanpassungen bedeuteten gewaltige Herausforderungen für Europas Stahlindustrie, analysiert das deutsche "Handelsblatt" (Donnerstagsausgabe). Ein Ende des Strukturwandels in der Autoindustrie, die zu den wichtigsten Kunden der Stahlhersteller zähle, sei nicht in Sicht. Dabei wären die anstehenden Investitionen in die CO2-Neutralität, die laut Pariser Klimaabkommen bis 2050 geschafft werden muss, selbst in guten Zeiten schwer zu stemmen.

"Jahrzehnt der Entscheidungen" steht bevor

Die voestalpine will beispielsweise drei seiner fünf Hochöfen in Österreich durch Elektro-Öfen ersetzen und müsste dafür rund 1 Mrd. Euro investieren. Gegen 2030 könnte das "Hybrid-Stahlwerk" Wirklichkeit sein. Im November startete am Konzernsitz in Linz der Testbetrieb einer Pilotanlage für eine Wasserstoff-Elektrolyse-Anlage zur CO2-freien Stahlerzeugung. Im Rahmen des Forschungsprojekts ("H2Future") lotet der Stahlerzeuger gemeinsam mit dem Verbund-Konzern und Siemens Möglichkeiten aus, Koks und Kohle in der Produktion durch Wasserstoff zu ersetzen.

Die 2020er-Jahre werden jedenfalls das Jahrzehnt der Entscheidungen für die europäische Stahlindustrie, schreibt das "Handelsblatt". Experten wie Nicole Voigt, Partnerin bei der Beratung BCG, rechnen daher mit einer weiteren Konsolidierung in der Branche. "Neben den Kostenvorteilen bei der Entwicklung klimaneutraler Technologien sprechen auch die immer noch bestehenden Überkapazitäten für Zusammenschlüsse", zitiert die Zeitung die Beraterin. Zu einer Strategie, diese Problematik anzugehen, gehöre "letztlich auch die Schließung von Standorten".

Schon jetzt wackeln Tausende Jobs in der Branche. Die Stahlwerke sind nicht ausreichend ausgelastet. Die europäischen Unternehmen produzieren schon seit vielen Jahren unter ihren Möglichkeiten. Der indisch-europäische Stahlriese Tata Steel will 3.000 Stellen in Großbritannien und den Niederlanden streichen, da das Europageschäft angesichts Brexit und Autokrise in die roten Zahlen gerutscht ist. Bei ThyssenKrupp sollen 2.000 Stellen im Kerngeschäft wegfallen und die voestalpine kürzt in Deutschland 300 Arbeitsplätze.

Fragmentierter Markt

Der Markt sei global immer noch sehr fragmentiert. Gemessen an der globalen Gesamtproduktion von rund 1,8 Mrd. Tonnen Stahl jährlich mache selbst die Produktion des weltgrößten Herstellers ArcelorMittal von rund 96 Millionen Tonnen pro Jahr nur einen Bruchteil, fünf Prozent, aus. Kein Unternehmen gilt als groß genug, um den tiefgreifenden Wandel zu CO2-neutralen Produktionsverfahren allein zu stemmen: "Beim Klimaschutz stehen die europäischen Stahlhersteller vor Herausforderungen, denen kein Unternehmen allein gewachsen ist", meint Branchenexperte Götz Erhardt, Geschäftsführer für die Bereiche Grundstoffindustrie und Energie bei dem Beratungsunternehmen Accenture.

Der Umstieg auf Wasserstoff ist bisher der einzige Weg, mit dem sich die Stahlproduktion nahezu vollständig von ihren hohen CO2-Emissionen befreien kann. Entscheidend für die Zukunft der Branche wird es sein, ob sich in den nächsten Jahrzehnten ein europäischer Markt für den - teureren - grünen Stahl entwickelt, etwa weil Autohersteller zukünftig nicht nur Produktion und Fahrzeuge, sondern die gesamte Lieferkette dekarbonisieren wollen. Der deutsche Autobauer Daimler signalisierte laut "Handelsblatt" beispielsweise bereits, ab 2039 völlig klimaneutral wirtschaften zu wollen.

"Es braucht passende politische Rahmenbedingungen, um die langfristige Wirtschaftlichkeit des Wasserstoff-Verfahrens zu gewährleisten", so Erhardt. Die Stahlindustrie brauche mit Investitionszyklen von mehreren Jahrzehnten einen langen Vorlauf, um sich auf neue Produktionsverfahren einzustellen.

Mit der neuen EU-Kommission von Ursula von der Leyen sieht der Rohstoffexperte das Fenster für Fusionen in der europäischen Stahlindustrie - nach dem Verbot des Zusammenschlusses von ThyssenKrupp und Tata 2019 - wieder etwas weiter geöffnet. Von der Leyens "Green New Deal"-Programm erwähne explizit die grüne Stahlindustrie als Zukunftsmarkt für die EU.

Kommentare