Keuschnigg: "Natürlich muss man sich Sorgen machen"

Keuschnigg: "Natürlich muss man sich Sorgen machen"
Christian Keuschnigg über Steuerbegünstigungen, Umverteilung und Österreichs Wettbewerbsfähigkeit.

KURIER: Im kürzlich erschienen Buch von Hannes Androsch und Josef Taus über die wirtschaftliche Zukunft Österreichs gehen Sie sehr kritisch mit der Steuerreform ins Gericht. Ein großer Wurf ist der Regierung damit nicht gelungen?

Christian Keuschnigg: Nicht wirklich, es wurde nur die kalte Progression eingedämmt. Eine große Strukturreform war es nicht.

Sie plädieren dafür, Steuerbegünstigungen zu streichen?

Ja, der eine nimmt eine Steuerbegünstigung in Anspruch, der andere nicht. Jeder holt sich, was er kann und dafür haben wir in Summe derart hohe Steuersätze. Es gibt einen Anspruch auf horizontale Gerechtigkeit – für gleich hohe Einkommen ist gleich viel Steuer zu zahlen. Wenn wir Begünstigungen streichen, haben wir am Ende ein transparenteres und besseres Steuersystem und die Steuersätze sinken.

Die Steuerbegünstigung des 13. und 14. Gehalts gehört auch weg?

Ja, allein daraus könnte man die Steuersätze stark senken. Zuerst verteilt man mit progressiven Steuersätzen von oben nach unten und dann von unten nach oben. Besserverdiener zahlen zuerst mehr Steuern und profitieren dann stärker von der Begünstigung. Das macht doch keinen Sinn.

Der 13./14. ist in Österreich seit Jahrzehnten ein Tabu-Thema. Ein SPÖ-Finanzminister, Andreas Staribacher, musste gehen, weil er diese Begünstigung in Frage stellte. Eine Streichung ist doch realpolitisch nie durchsetzbar.

Wenn sich alle einreden, dass nichts geändert werden kann, dann wird sich auch nichts ändern. Das ist ein internationales Kuriosum, für das es keine Begründung gibt. Das 13. und 14. Gehalt bleibt ja. Aber ein Wegfall der Begünstigung würde den Eingangssteuersatz um vier Prozentpunkte und den Spitzensteuersatz von 50 auf 44 Prozent senken.

Verteilt Österreich überhaupt zu viel um?

Die Umverteilung in Österreich ist überdurchschnittlich hoch. Wir verteilen nicht nur über das Steuersystem um, sondern auch über das Pensionssystem und die Sozialversicherung.

Österreich hat innerhalb der OECD-Staaten die höchste Familienförderung. Sinnvoll?

Die Familienförderung ist tatsächlich überdurchschnittlich. Alle Ausgaben müssen auf den Prüfstand. Man muss die Frage stellen, was ist besser: Dass die Familien mehr Kindergeld bekommen oder dass sie weniger Steuern zahlen? Die Familien wollen auch nicht, dass die Chancen ihrer Kinder mit einer so hohen Steuerbelastung verbaut werden.

Sparen und Reformieren kann politisch sehr riskant sein, siehe das Wahlergebnis in der Steiermark.

Sparen und reformieren wird immer als Verzichtsökonomie dargestellt. Gespart werden muss aber, um zu investieren, auch beim Staat, um bessere Voraussetzungen für künftigen Konsum zu schaffen.

Das ist Deutschland offenbar gelungen. Österreich rutscht dagegen in allen internationalen Rankings permanent ab. Wie sehr sorgen Sie sich um Österreichs Wettbewerbsfähigkeit? Manche Politiker reden die Lage immer noch schön.Dass sich Österreichs Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert, sieht man doch mit freiem Auge. Natürlich muss man sich Sorgen machen. Die Exportdynamik hat nachgelassen, die Lohnstückkosten steigen stärker als in Deutschland, die Investitionstätigkeit ist schwach und die Arbeitslosigkeit steigt.

Warum investieren die Unternehmen so wenig, die Zinsen sind doch so niedrig wie noch nie?Unternehmen, die bei Forschung und Entwicklung (F&E) gut aufgestellt sind, investieren ja. Ich vermute auch, dass viele österreichische Unternehmen mehr im Ausland als im Inland investieren. Unternehmen, die mehr als 100 Mitarbeiter beschäftigen, haben meist auch Standorte im Ausland. Oft ist es wirtschaftlicher, gleich eine Fabrik im Ausland zu gründen anstatt zu exportieren.

Aber grundsätzlich: Zinsen sind Finanzierungskosten, doch vorher muss sich eine Investition erst einmal rentieren. Dafür muss am Markt genug verdient werden. Wer jedoch nicht gut aufgestellt und nicht wettbewerbsfähig ist, der kann nicht investieren.

Sie erwähnten die hohen Lohnstückkosten. Unterstellen Sie damit der Gewerkschaft Maßlosigkeit bei den Lohnforderungen?

Voraussetzung für höhere Lohnzuwächse ist eine stärkere Steigerung der Produktivität. Deutschland ist das gelungen. Wenn wir das nicht schaffen, bleibt die Wettbewerbsfähigkeit auf der Strecke. Die Gewerkschaft müsste sehr daran interessiert sein, dass Österreich mehr in die Grundlagenforschung investiert und mehr private Innovation passiert. Dann sind auch höhere Lohnsteigerungen möglich.

Bei der Grundlagenforschung ist wieder der Staat gefragt.

Ja‚ der Staat muss eine Vorleistung bringen, auch bei der universitären Ausbildung. Je besser ein Land hier aufgestellt ist, desto besser entwickeln sich F&E in den Unternehmen. Die Privatwirtschaft entwickelt ja sehr oft auf Basis der Grundlagenforschung weiter. In Österreich investieren außerdem viele Töchter ausländischer Unternehmen in F&E. Sie siedeln sich sehr gerne bei guten Universitäten an, das ist ein erheblicher Standortfaktor.

Investiert der Staat in Österreich zu stark in die Verkehrs-Infrastruktur? Fließt zu viel Geld in Tunnels und Autobahnen und zu wenig in den Ausbau des Breitbandnetzes?

Die Wirtschaft verlagert sich zunehmend ins Internet. Daher muss der Staat mehr die Infrastruktur für die digitale Wirtschaft ausbauen, und weniger die Verkehrs-Infrastruktur. Wenn wir beim Ausbau von Tunnels und Straßen einsparen, sinken wir ja nicht ab, denn die Qualität dieser Infrastruktur ist ohnehin sehr gut.

Zur Person: Der Tiroler studierte in Innsbruck Betriebswirtschafts- und Volkswirtschaftslehre. 1997 übernahm er eine Professur für Finanzwissenschaft an der Universität des Saarlandes, 2001 ging er an die Universität St. Gallen. 2010 wurde er zum Nachfolger von Bernhard Felderer am Institut für Höhere Studien (IHS) bestellt, im Oktober 2014 trat Keuschnigg überraschend zurück. Das Kuratorium des IHS lehnte sein Restrukturierungskonzept für das an Geldknappheit leidende Institut ab. Keuschnigg lehrt nach wie vor in St. Gallen.

Kommentare