"Keine Almosen-Empfänger mehr"

Was früher statistische Jahrhundertereignisse waren, passiert heute alle drei bis fünf Jahre
Staat subventioniert die Versicherungsprämien der Bauern, aber kein Geld mehr aus Katastrophenfonds.

Auf fast 700 Millionen Euro summieren sich seit 2013 die Schäden aus Hochwasser, Dürre und Frost in der Landwirtschaft. Vor dem Sommer beschloss das Parlament ein neues Finanzierungssystem, um die Bauern gegen Wetter-Risiken abzuschirmen. Für die Steuerzahler wird’s billiger und die Landwirte sind besser abgesichert, meint Kurt Weinberger, Chef der Hagelversicherung. Der Agrarökonom spricht im KURIER-Interview außerdem über internationale Trends, das Zubetonieren der Landschaft und die Folgen der Globalisierung für Österreichs Bauern.

"Keine Almosen-Empfänger mehr"
Kurt Weinberger, Österreichische Hagelversicherung
KURIER: Bund und Länder subventionieren nun 50 Prozent der landwirtschaftlichen Versicherungsprämien gegen alle Wetter-Risiken – also nicht nur wie bisher Hagel, sondern auch gegen Dürre, Frost, Muren, Hochwasser und Sturm. Wieder eine Förderung mehr auf Kosten der Steuerzahler für Österreichs ohnehin bestgeförderten Sektor?

Kurt Weinberger: Nein, das ist keine Förderung, sondern eine völlige Neuausrichtung der Risiko-Absicherung auf Basis einer Public-Privat-Partnership nach dem Motto "mehr privat – weniger Staat". Die Landwirtschaft beteiligt sich am Risiko, das kommt den Staat deutlich billiger. Bisher gab es Mittel aus dem Katastrophenschutz, die je nach politischer Konjunkturlage unterschiedlich hoch waren. Jetzt zahlen die Landwirte die Hälfte der Prämie selbst. Sie sind keine Almosen-Empfänger mehr, sondern haben einen Rechtsanspruch auf die Leistung. Außerdem wird innerhalb von drei bis vier Tagen ausbezahlt, auf Geld aus den Katastrophenfonds mussten die Bauern oft bis zu einem Jahr warten.

Wie viel kostet die neue Regelung die öffentliche Hand?

15 bis 20 Millionen im Jahr. Das ist angemessen und sehr effizient, da es künftig keine Entschädigungen aus dem Katastrophenfonds für Dürre, Frost etc. gibt.

Wie funktioniert die Absicherung gegen Wetterkatastrophen international?

Österreich folgt mit diesem Modell dem internationalen Trend, den ich als Präsident der weltweiten Vereinigung der Agrarversicherer kennenlernen durfte. In den USA werden 65 Prozent der Prämien bezuschusst, in China 80 Prozent. Dort hat die Landwirtschaft einen sehr hohen Stellenwert. Die Dürreschäden waren dort derartig katastrophal, dass sich die Bauern ohne Versicherung wirtschaftlich nie mehr erholt hätten. Die Lebensmittelversorgung wäre gefährdet gewesen. Ein Land ohne Landwirtschaft aber wird erpressbar.

Aber Österreich ist doch in der EU. Brauchen wir in einem gemeinsamen Markt tatsächlich noch eine nationale Landwirtschaft im heutigen Ausmaß? Man könnte einen Teil der Förderungen vermutlich ökonomisch wesentlich sinnvoller einsetzen.

Schon Keynes sagte, Güter des täglichen Bedarfs müssen möglichst nahe produziert werden, um sicherheitspolitisch nicht so verletzbar zu sein. Im Übrigen, heimische Lebensmittel sind auch besser für Umwelt, Klima und Wirtschaft. Wer meint, wir bräuchten keine Landwirtschaft, muss auch wissen, dass insgesamt 500.000 Arbeitsplätze davon abhängen. 160.000 direkt und der Rest vor- und nachgelagert. Diese Jobs sind ein Rückgrat für unsere Gesellschaft. Dazu kommt die Landschaftspflege der Bauern für den Tourismus. Unsere Bergregionen würden ganz anders ausschauen. Und vergessen wir nicht, der Kampf um Lebensmittel wird immer härter. Die Weltbevölkerung wächst täglich um 180.000 Menschen.

Jammern gilt als der Gruß des Kaufmannes. In Österreich hat man den Eindruck, Wehklagen ist der tägliche Gruß der Bauern. Durch die Globalisierung sind die Einkommen 2015 um 17 Prozent und im Jahr zuvor um sechs Prozent gesunken. Das zeigt, wie schwierig es geworden ist, Agrarunternehmer in Österreich zu sein. Es gibt keine Mengen- und Preissteuerungen mehr, der Markt ist total frei und die Börsepreise gelten in Österreich genauso wie in den USA. Die großen Herausforderungen für den Agrarsektor sind die Globalisierung und der Klimawandel. Die Unwetter-Schäden nehmen massiv zu. Was früher statistische Jahrhundertereignisse waren, passiert heute alle drei bis fünf Jahre.

Können Sie die Schäden beziffern?Die Hochwasser-Katastrophe 2013 verursachte zwei Milliarden Euro an Schäden, 400 Millionen in der Landwirtschaft. Die massive Dürre im Vorjahr kostete 175 Millionen und durch die heurige Frostkatastrophe Ende April verloren die Obst- und Weinbauern mehr als 200 Millionen Euro. Kein Sektor ist dem Klimawandel derart ausgesetzt. Die Landwirtschaft produziert ja zu 100 Prozent im Freien und kann die Produktion, im Gegensatz zu einer Voest, nicht verlagern. Außerdem sind die Strukturen in Österreich sehr kleinteilig. Hierzulande liegt die durchschnittliche Versicherungsfläche bei 30 Hektar, in Tschechien und der Slowakei, wo die Hagelversicherung ebenfalls tätig ist, sind es 600 Hektar.

Welche Rolle spielt das Zubetonieren der Landschaft?Es gibt eine klare Korrelation zwischen dem Zubetonieren und Vermurungs- und Überschwemmungsschäden. Verbaute Böden können kein Wasser speichern und die Überschwemmungsschäden nehmen zu. Auch die Fließgeschwindigkeit von Flüssen hat sich beschleunigt, auch wegen der Hochwasser-Schutzbauten. Österreich hat die höchste Verbetonierungsrate in Europa. Jedes Jahr fallen 0,5 Prozent der Agrarflächen weg, in Deutschland sind es 0,25 und in Tschechien 0,17 Prozent. Wenn wir so weitertun, gibt es in Österreich in 200 Jahren keine Agrarflächen mehr.

Anderes Thema. Die Konsumenten haben das Gefühl, Lebensmittel werden immer teurer.

Gleichzeitig aber geben wir immer weniger für Lebensmittel aus. 1960 entfielen 45 Prozent des Haushaltseinkommens auf Lebensmittel, heute sind es zehn Prozent. Trotzdem hat die Bevölkerung heute die besten Lebensmittel.

Ob die Lebensmittel gesünder sind, ist eine andere Frage.Stimmt schon. Aber die hohen Standards in der Landwirtschaft sorgen dafür, dass wir uns gesund und abwechslungsreich ernähren können. Vier Prozent der Bevölkerung produzieren die Lebensmittel für 96 Prozent der Einwohner. Diese Leistung ist in der Öffentlichkeit zu wenig bewusst. Wir sollten stolz sein auf unsere Bauern. Und unsere Bauern sollten stolz sein auf die Konsumenten, die immer mehr regionale Lebensmittel einkaufen.

Hagelversicherung

Wurde 1946 von den heimischen Versicherungen gegründet. 108 Millionen Euro Prämieneinnahmen und 61.000 Kunden im Vorjahr. 1,9 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche sind derzeit versichert, 2015 wurden von den Landwirten 60.104 Schadensmeldungen eingereicht. Für die Hagelversicherungen arbeiten mehr als 460 Sachverständige und 5000 Vertriebspartner. Der Agrarökonom Kurt Weinberger ist seit 2002 Vorsitzender des Vorstandes. Der gebürtige Linzer ist Vater von drei Kindern.

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