Zeit, sich zu befreien: Raus aus der Rolle

Zeit, sich zu befreien: Raus aus der Rolle
Die graue Maus will gesehen, der junge Kollege endlich ernst genommen werden: Seine Rolle im Büro kann man ablegen - aber wie?

Die liebe Kollegin, die still die Arbeit des Chefs erledigt. Der Jüngste im Team, den keiner ernst nimmt. Die graue Maus mit Expertise, aber wenig Selbstwertgefühl. Für sich einstehen, über ihre gute Arbeit sprechen? Lieber nicht. Kriegt eben der Offensivere, der mit seinen Erfolgen hausieren geht, die Anerkennung. Wie lange dieser Zustand gut geht? Bis man sonntags mit Bauchkrämpfen schlafen geht, überlastet, frustriert, Dienst nach Vorschrift macht, innerlicht kündigt oder sogar tatsächlich Job wechselt.

In der falschen Rolle im Unternehmen zu sein, ist belastend. Dabei kommt es nicht darauf an, welche Position oder Funktion man hat. Tatsächlich klaffen sie meist auseinander: Beschreibt die Position den Rang in der Hierarchie und die Funktion die eigentliche Aufgabe, ist die Rolle eine rein informelle. Sie beschreibt den inoffiziellen Status in der Firma, wie man sich verhält, wie man mit anderen zusammenarbeitet.

Die Brave, der Querulant, der Neue

Aussuchen kann man sich seine Rolle – auch, wenn man das glaubt – vorerst nicht. "Rollen sind nichts anderes als Bündel von Erwartungshaltungen an uns. Sie werden uns von den anderen im Unternehmen zugeschrieben", sagt Organisationsberater Lothar Wenzl. "Bin ich jahrelang in einem Unternehmen, werde ich mit gewissen Eigenschaften assoziiert", bestätigt auch Arbeits- und Organisationspsychologe Boris Zalokar. Andere Stärken und Potenziale würden von Kollegen nicht wahrgenommen.

Seine Rolle zu erfüllen, gehöre zu den Soll-Erwartungen einer Gruppe ans Individuum, schreibt Wirtschaftspädagoge Hans Rosenkranz in seinem Buch "Wie Menschenbilder Personen und Unternehmen verändern." Hält sich ein Mitglied nicht an diese Erwartungen, kann die Gruppe es ausschließen, verstoßen. Bietet das Mitglied hingegen etwa Hilfe an, belohnt die Gruppe es mit Sympathie.

Das Interessante: Bestehende Teams, alte und neue Mitarbeiter, Vorgesetzte – sie alle formen die Rolle jedes Einzelnen mit. Die Dynamik des Umfeldes entscheidet, welchen Part man spielt. Heißt auch: Durch jeden einzelnen Akteur kann sich die Rolle auch wieder verändern. Beispiel: Die graue Maus leistet unermüdlich gute Arbeit. Doch weder Team noch Chef lassen sie wissen, dass sie unverzichtbar ist. Ein neuer Chef kommt, einfühlsam, mit Sinn für Mitarbeiterführung. Just wird sie entdeckt, ist der Superstar, ohne den der Laden nicht läuft. Der graue Maus-Mantel? Ist mit der Rolle abgelegt.

Einfach nur darauf zu warten, bis sich das Umfeld verändert und mit ihm auch die eigene Rolle, ist eine Möglichkeit. Das kostet Zeit und Kraft, man bleibt fremdbestimmt. Entscheidet man sich dafür, seine Rolle aus eigenem Antrieb abzulegen, kostet das zwar auch Zeit und vermutlich noch mehr Kraft. Aber dann hat man es selbst in der Hand, welche Rolle man künftig spielt.

Potenziale sichtbar machen

Unsere Vielfältigkeit und unser Potenzial leiden unter der festgefahrenen Rolle. Beides wird unterdrückt, ruhend gestellt. Erst wenn der Leidensdruck steigt, wollen wir aus der bisherigen Rolle raus. Dann müssen wir uns zu diesen versteckten Ressourcen und Potenzialen durchgraben. Und willens sein, sie nach außen zu stülpen. Die selbstbestimmte Rolle rauswärts aus den verfahrenen, alten Mustern führt einzig über die Selbstreflexion. "Das ist hart und anstrengend", sagt Arbeitspsychologe Zalokar. Vielen wäre oft gar nicht bewusst, dass es die informelle Rolle ist, die stört, dass sie ihrem Part eigentlich schon längst entwachsen sind, dass sie die Erwartungen der anderen nicht mehr erfüllen wollen. Man kommt zudem in eine neue Situation: Bisher hat man lediglich gelernt, zu funktionieren, Rollen anzunehmen und zu erfüllen, so Wenzl. "Nein" zu sagen und Störendes offen anzusprechen, koste viel Überwindung.

Was bei der Verwandlung hilft: die neue Rolle, in der man wahrgenommen werden will, genau zu definieren (mehr dazu siehe Kasten unten). Welche Eigenschaften möchte man künftig stärker ins Licht rücken, welche Muster möchte man endgültig ablegen, was soll sich im Arbeitsalltag konkret ändern? "Es hilft, wenn die neue Rolle so plastisch wie möglich ist", so Zalokar.

Durch diese Zeit muss man auch nicht allein. Vertraute und enge Kollegen in sein Vorhaben miteinzubeziehen, kann Rückenwind geben. Auch ein Coach kann helfen, Denkblockaden aufzubrechen. Grundsätzlich, sagen die Experten, sei dieses Thema aber Chef-Sache. Der Vorgesetzte sei für das Funktionieren von informellen Rollen im Team verantwortlich und müsse darauf achten, dass jeder sein volles Potenzial ausschöpfen und richtig einsetzen kann.

Dirigent der eigenen Rolle

Die neue Rolle ist ungewohnt. Und kann für das Umfeld irritierend sein. Zalokar empfiehlt, seine Veränderung sachte zu kommunizieren – Duckmäuser sollten nicht sofort zum Chef stürmen und ihm die Meinung geigen. Besser: vor Freunden oder Kollegen üben, den eigenen Standpunkt zu vertreten. Das gibt Sicherheit für größere Auftritte. "Über das Probehandeln habe ich höhere Erfolgschancen und kann für die neue Rolle Bestätigung erfahren", sagt Zalokar. Allerdings besteht die Gefahr, unter Druck wieder in die alte Rolle zu rutschen, kleinlaut einzuknicken. Das Hochgefühl, der Schwung – verflogen. Der alte Frust setzt wieder ein, die ganze Arbeit war umsonst. Damit das nicht passiert, empfiehlt der Arbeitspsychologe, daran zu denken: "Sie sind der Dirigent Ihrer Rolle. Sie allein entscheiden, wie Sie sich geben."

Aus alten Mustern auszubrechen wirkt in jedem Fall. Viele blühen auf. Und manche wiederum erkennen, erklärt Wenzl: Sie waren doch gerne die ruhige, fleißige Biene im Hintergrund. Sie hätten dafür einfach nur gerne mehr Wertschätzung erfahren.

Überlegen, wo man steht Am Anfang des Weges steht die Selbstreflexion: Was ist der Störfaktor? Warum geht es mir schlecht? Welche Rolle(n) habe ich eigentlich im Unternehmen?


Visualisieren Mit einer Rollenlandkarte können die abstrakten Gedanken verbildlicht werden: Auf einem Blatt Papier sich (in der Mitte) und jene fünf, sechs Personen (rundherum) aufzeichnen, mit denen man am meisten interagiert. Auch verbildlichen: Welche Erwartungen haben sie an mich? Welche Rolle nehme ich in ihren Augen an? Kommt eine Rolle öfter vor, weiß ich, wo der Schuh drückt. Neue Rolle genau definieren.


Das Bild leben Neue Rolle langsam, etwa in einer anderen Umgebung, als in der Arbeit, üben.


Konsequent bleiben Konsequent seine neue Linie verfolgen sei besser, als allen davon zu erzählen, man habe sich verändert. „Dann ist der Effekt schon vorbei“, sagt Berater Lothar Wenzl. Lehnt der notorische Ja-Sager drei Mal Aufgaben resolut ab, wird das vom Chef und den Kollegen bemerkt – und geachtet. Zalokar: „Gewohnte Muster zu durchbrechen kann hilfreich sein. Manchmal kann Irritation eine Basis für eine neue Zusammenarbeit sein.“ Wenzl empfiehlt, sich für schwierige Situationen Erinnerungs-Hilfen zu suchen, die einem bei Gefahr, in die alte Rolle zu rutschen, helfen, standhaft zu bleiben. Das könnten etwa positiv besetzte Kleidungsstücke oder Accessoires sein, aus denen man Kraft schöpft.

Kommentare