Zehn Dinge, die uns das Homeoffice eingebrockt hat

Zehn Dinge, die uns das Homeoffice eingebrockt hat
48 Prozent der österreichischen Unternehmen nutzen Homeoffice. Von Mitarbeitern heiß begehrt, bringt es jedoch neben Freiheiten auch eine Handvoll Tücken mit sich.

Der nächste Call in sieben Minuten. Davor Geschirrspüler einschalten, Kaffee aufsetzen, Kinder, Haustiere oder Lebensabschnittspartner aufgrund potenzieller Lärmbelästigung im anderen Zimmer verstauen, Frisur und Oberbekleidung richten, Atmung regulieren und stoische Ruhe vor dem Arbeitsgerät vortäuschen. Möchte man keineswegs den Verdacht erregen, sich anderen Dingen als der reinen Arbeit zugewendet zu haben. Dabei ist man doch im Homeoffice so effizient wie selten zuvor – auf beruflicher wie privater Ebene.

Wo ist der Haken?

Nur das mit dem Vertrauen in die berufliche Leistung ist so eine Sache, an die sich Führungskräfte und Mitarbeitende erst gewöhnen müssen. Ist jeder Gang auf die Toilette vom unsäglichen Druck geprägt, plötzlich den Vorgesetzten am Hörer zu wissen und sich mit bereits heruntergelassener Hose zurück an den umfunktionierten Esstisch bewegen zu müssen. Ein Phänomen, so zuverlässig wie das beharrliche Läuten des Postboten im morgendlichen Meeting.

In Wahrheit nützen wir durch Homeoffice den digitalen Fortschritt erstmals richtig und haben einerseits mehr Zeit an den Tagesrändern, andererseits findet man sich schnell auch Zuhause Arbeit, die man sonst nicht gemacht hätte.

von Gregor Fauma, Verhaltensforscher

Dennoch haben rund 98 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über die Coronakrise hinweg Gefallen am Homeoffice gefunden. Trotz der kleinen Problemherde, die mit den neu gewonnenen Freiheiten einhergehen. Führungskräfte sind gezwungen, durch den Mangel an visueller Überwachung nur auf sichtbare Ergebnisse zu vertrauen. Team-Mitglieder stehen vor der Herausforderung, vom Zähneputzen in den Arbeitsmodus zu switchen, ohne sich noch des Pyjamas entledigt zu haben. Kleinigkeiten, die sich in zehn großen Veränderungen, die uns das Homeoffice eingebrockt hat, wiederfinden.

Zehn Dinge, die uns das Homeoffice eingebrockt hat

Gregor Fauma analysiert das Verhalten von Menschen und ist Evolutionsbiologe. Am 24. Jänner 2023 ist er mit seinem ersten Soloprogramm "Basic Instincts! Ein Office voller Affen" im Casanova Vienna zu erleben.

Klingt dramatisch, ist es aber nicht. So sei für die Menschheit das Vorhandensein von Homeoffice völlig unbedeutend, sagt Verhaltensforscher Gregor Fauma: „Was den Menschen auszeichnet, warum wir schwierige Zeiten seit Millionen von Jahren überlebt haben, ist, dass wir uns sehr gut einstellen können, auf veränderte Umweltbedingungen.“ Und um die Kirche im Dorf zu lassen: Nur 15,5 Prozent aller Erwerbstätigen haben im zweiten Quartal 2022 von zu Hause aus gearbeitet.

Ikonisch: Eines der wohl bekanntesten Homeoffice-Hoppalas, das es sogar zu Ellen DeGeneres geschafft hat

Zehn Dinge, die uns das Homeoffice eingebrockt hat: Ein Blick auf die neue Arbeitswelt

*Mit den zehn größten Veränderungen, die das Homeoffice mitgebracht hat
*Darunter: Neue Herausforderungen für die Führungsebene, eigenwillige Stilveränderungen, angepasste Bürokonzepte, eine Kostenverlagerung am Privatkonto, etc.
*Einem Experteninterview mit Arbeitspsychologe Bardia Monshi
*Situationen, in denen sich die meisten Home-Officer wiederfinden

Homeoffice: Diese 10 Dinge hat's gebracht:

Kaffeetasse mit Siebträger und ganzen Bohnen daneben

1. Mehr Zeit

Klingelt Ihr Wecker auch öfter eine Stunde später? Und ist aus Ihrem schnellen Kaffee ein ausgiebiges Frühstück geworden? Dann sind Sie Home-Officer par excellence. Der Zeitgewinn an den Tagesrändern sei mitunter der größte Gewinn, den wir durch das Homeoffice verzeichnen, sagt Gregor Fauma. Extra-Bonus:  Mit der Arbeit startet man trotzdem tendenziell früher, weil der  Laptop auf dem Küchentisch schon bereit steht und die Hin- und Rückfahrt ins Büro obsolet wird. Zudem: In den öffentlichen Verkehr oder ins Auto muss man nicht mehr täglich – das entstresst.

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2. Kontrollverlust bei Führungskräften

Leistung mit sturer Anwesenheit messen? Die Zeiten sind vorbei. Das weiß auch die Führungsebene: 85 Prozent tun sich schwer damit, der Produktivität ihrer Mitarbeiter zu vertrauen, sagt der aktuelle Work Trend Index. Dabei sei es nur der Kontrollverlust, der schmerzt, und nicht die Ergebnisse, sagt Fauma. Es brauche daher ein neues Verhalten: „Die größte Veränderung ist die totale Individualisierung der Führungsarbeit. Man entwickelt kein Team mehr, sondern einzelne Leute, die in agilen Teams liefern. Das braucht es sowohl persönlich wie auch im Remote-Bereich.“

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3. Mehr Distanz

Als man noch ausgelassen neben unliebsamen Kollegen   auf der Tanzfläche wippte, war Corona der Name eines wässrigen Biers. Seit der  Pandemie sind Weihnachtsfeiern selten, genauso wie Networking-Events und Anwesenheits- Meetings. Was macht das mit der Verbindung zum Unternehmen? Ein Drittel der Berufstätigen ist bereit, den Job zu wechseln. Auch neue Kollegen starten gleich mit Homeoffice-Tagen. Das Kennenlernen und Zurechtfinden im neuen Arbeitsumfeld dauert länger – und wird vielleicht nie wieder so, wie es mal war.

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4. Neue Bürokonzepte

Minus 40 Prozent ist nicht der Slogan eines Baumarkts, sondern die Prognose für die Zukunft der  Büroflächen. Eine Million Quadratmeter sollen künftig in Österreich eingespart werden. Gut fürs Firmenbörserl, kann so das Geld an anderer Stelle investiert werden: In neue Bürokonzepte mit mehr Raum für Zusammenkommen und Kollaboration. Das ist nämlich der einzige Weg, damit die Menschen wieder gern an den ursprünglichen Ort ihrer Arbeit zurückfinden. Für den Kaffeeklatsch und den sozialen Austausch, aus dem neue Ideen und gemeinsame Werte entstehen.

Frau streckt die Arme vor Schreibtisch nach oben

5. Böse Verspannungen

Schon einmal etwas vom Hüftbeuger gehört? Er ist der Kandidat, der sich meldet, wenn man den Bürosessel (seinem Namen entsprechend) im Büro stehen lässt. Resultat: Böse  Rückenschmerzen. Die kommen gerne in Kombination mit Nackenschmerzen, weil ja auch die  Laptop-Erhöhung  nicht vorhanden ist. Die ergonomische Arbeitsplatzeinrichtung sollte es auch zu Hause geben. Hilfestellung gibt es von der  Arbeitsmedizin: man findet online zahlreiche Anleitungen, wie ein gesunder Arbeitsplatz aussehen sollte. 

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6. Freie Kleiderwahl

Die ersten Lockdown-Wochen war man ja noch ziemlich ambitioniert. Mittlerweile ist der Homeoffice-Dresscode nicht zu Darwins aber sicher Lagerfelds Albtraum verkommen. Und was macht das mit unserer Professionalität? Nichts, sagt Gregor Fauma: „Anzug und Krawatte  oder das Business-Kostümchen überwerfen zu müssen, um in den Arbeitsmodus zu kommen, würde ich als kulturellen Artefakt beschreiben. De facto kann man im Homeoffice sofort mit der Arbeit loslegen und leisten, egal ob man nackt ist oder im Arbeitsgewand.“ 

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7. Vermischung von Beruflichem und Privatem

Berufliches und Privates verschwimmen seit Jahren, mit der Pandemie hat das einen Höhepunkt erfahren. Wer daheim sitzt, sitzt im privaten Umfeld. Da gibt es Familienmitglieder, Haustiere, Postboten und die Waschmaschine rundherum. Während die einen im Familienverband ihre Ruhe suchen, vereinsamen die, die ganz allein sind. Was wiederum auch eine neue Sehnsucht nach dem Büro weckt. Positiv: Die Zwangsisolation haben wir zum Glück (vorerst)  hinter uns. Wer also nicht Zuhause arbeiten will, kann auch nicht dazu gezwungen werden.  

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8. Neuverteilte Kosten

Zuhause hat man sich seinen Bürotraum errichtet: Der Computer läuft, der Router blinkt, der Drucker druckt und die Steckdosen glühen. Kann man sich schon gönnen, jetzt wo der schnieke Benzinfresser (Tschüss, CO2-Steuer) ungenutzt in der Garage verweilt. Geld ist durch die fehlende Anfahrt sicher gespart  – oder doch nicht? Hochauflösende Monitore (bis zu 350 Euro pro Jahr) und Drucker schlagen sich auf der Stromrechnung merklich zu Buche. Auch Kleinvieh wie Router und Docking Station machen Mist. Was die Homeoffice-Pauschale davon abdeckt? Zeigt die Zukunft.

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9. Meeting-(Un)Kulturen

Zweieinhalb Jahre nach der feindlichen Übernahme durch Teams oder Zoom   hat man sich an Kamera-Verweigerer und jene, denen die zwei Modi des Mikrofons niemals geläufig sein werden, zwangsläufig gewöhnt. Kein Wunder also, dass man aus digitalen Meetings nicht selten verwundert hinausgeht. Video-Meetings sind unheimlich effizient, weil ohne Anfahrtsweg, mit Fokus auf das Wesentliche. Was aber ist aus unseren schönen Gesprächen geworden, wenn Zwischenmenschliches ausgeschaltet wird? Und wie konzentriert sind die Teilnehmenden wirklich dabei? Wie so oft steht und fällt alles mit der Leitung – im wahrsten Sinne des Wortes. 

Ein Mann arbeitet im Homeoffice. Um ihn herum sind zerknüllte Zettel und er deckt sich mit dem Laptop den Kopf zu

10. Stärkeres Selbstmanagement

Das abgekoppelte Arbeiten weit weg vom Unternehmen verlangt von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein neues Maß an Selbstmanagement: Was die Einhaltung von Arbeitszeiten betrifft, das tägliche Arbeitspensum, die Kommunikation mit dem Team und dem Vorgesetzten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen ihre Freiheit, wünschen sich Selbstständigkeit – im Homeoffice haben sie mehr davon, als vielen lieb ist. Wer es clever angeht, emanzipiert sich im Homeoffice zu einer neuen Selbstständigkeit. Die Einstellung tut einem selbst gut und dem Unternehmen. Am Ende zählt allein das Ergebnis.  

Weshalb der Büro-Zwang auch kränken kann

Arbeits- und Organisationspsychologe Bardia Monshi erklärt, wie Unternehmens-Bindung und Homeoffice Hand in Hand gehen können.

Zehn Dinge, die uns das Homeoffice eingebrockt hat

Bardia Monshi sieht Homeoffice als effektives Arbeitswerkzeug

KURIER: Jetzt wurden wir ein Leben lang konditioniert, morgens aufzustehen und in die Arbeit zu fahren. Plötzlich braucht es das nicht mehr – hat man sich bereits daran gewöhnt?
Bardia Monshi:
Eine Umgewöhnung fällt nicht schwer, wenn sich die Arbeitswirksamkeit verbessert. Dadurch, dass der Mensch, wie jedes Säugetier, unnötige Anstrengung vermeiden möchte, wird er sich schnell umgewöhnen, wenn er merkt, im Homeoffice besser voranzukommen. Ist es andersrum der Fall, wird ihm wehtun, nicht an seinem gewohnten Arbeitsplatz sein zu können. 

War die Etablierung des hybriden Arbeitens in  allen Berufsfeldern, in denen es möglich ist, gleich schwierig oder einfach?
Ist eine Arbeit sehr strukturiert, wird Homeoffice kein großes Problem darstellen. Überall dort, wo man mit vielen Überraschungen umgehen muss, auch als Komplexität bezeichnet, ist das Zusammenkommen wichtiger. 

Besteht die Gefahr, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch vermehrte Abwesenheit den Bezug zum Unternehmen verlieren?
Ja. Wir müssen eines verstehen: Menschen binden sich nicht an Unternehmen, sie binden sich an Menschen. Im IT-Bereich ist das ein großes Thema, da etwa Programmierer meist alleine arbeiten und schneller gewillt sind, bei einem guten Angebot zu wechseln. Veränderung ist somit ein reines Gewinn- oder Gehaltsstreben. Was uns aber in Arbeitsstellen hält, ist die Geschichte, die man miteinander aufgebaut hat. Das ist etwas, das über die gemeinsame Zeit hinweg reift. Ist das nicht vorhanden, ist die Bindung schwächer. 

Wie gelingt es also, die Bindung zu festigen?
Wir dürfen darauf vertrauen, dass der Mensch ein Bedürfnis hat, sich zu binden. Der wichtigste Blick auf das Homeoffice ist aber, dass es sich hier um ein Werkzeug handelt. Hybrides Arbeiten bedeutet, jetzt einen größeren Werkzeugkoffer zu haben. 

Können Sie das näher ausführen?
Das Problem der hybriden Frage existiert nur dann, wenn man es beginnt, ideologisch aufzuladen. Nach dem Motto: „Zusammenkommen ist wichtig, deswegen kommen wir zusammen.“ Das sind keine guten Argumente, sondern ideologisch getriebene Impulse. Die eigentliche Überlegung müsste sein: Was für ein Arbeitsproblem ist zu lösen und welches Werkzeug möchte man einsetzen – also Homeoffice oder lieber gemeinschaftliches Zusammenkommen. Viele Unternehmen entscheiden sich aber für pauschale Lösungen wie zwei Tage Homeoffice die Woche. Ich halte das für keine gute Idee. Denn die Menschen sollen lernen, ihre Arbeitswerkzeuge wirksam einzusetzen.   

Dennoch werden viele Angestellte zurück an den Arbeitsort zitiert, obwohl Zuhause effizient gearbeitet wurde. Wie wird das aufgenommen?
Es wird als Vertrauensentzug empfunden. Das Interessante ist: Vertrauen erleben wir nur, wenn Intransparenz ausgehalten wird. Bedeutet: Will man Vertrauen kommunizieren, muss man Intransparenz  auch ermöglichen. Wird man also ins Büro geholt, weil man an der Arbeitsleistung zweifelt, erlebt man das als soziale Kränkung.

Jetzt hat auch das Homeoffice seine Schattenseiten. Etwa die verschwimmenden Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem. Sind hier neue Stressherde dazugekommen? 
Die Selbstführungsanforderung wird immer höher. Man muss ganz viele Entscheidungen, die einem früher abgenommen wurden, plötzlich selbst treffen. Hat einem in der herkömmlichen Bürostruktur die Uhr gesagt, wann die Arbeit vorbei ist, müssen wir jetzt selbst entscheiden, wo wir die Arbeit in gewisse Bereiche eindringen lassen und wann man die Schotten dichtmachen möchte. Das ist der Preis der neuen Autonomie.

Gibt es Möglichkeiten, sich besser abzugrenzen? 
Eine Möglichkeit ist, die Kontexte „clean“ zu halten. Sprich, an einem spezifischen Ort alle Arbeitsmaterialien zu haben, um nicht ständig an die Arbeit erinnert zu werden. Steckt sonst die gesamte Assoziation der Arbeitswelt in den Empfindungen der Wohnung. Das kann für manche durchaus wichtig sein. 

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