Lieferdienst Wolt: "Regnet es, müssen wir mehr bezahlen"

Sie waren nicht zu übersehen – die leuchtend türkisen Fahrradkurier mit ihren gleichfarbigen Boxen, die noch vor ihrem offiziellen Launch ihre Ankunft auf der Mariahilfer Straße publik machten. Seit einem Monat ist der finnische Lieferdienst Wolt nun offiziell in Wien gelandet und verfolgt ambitionierte Ziele:
Man möchte das beste Kundenerlebnis bieten, so gut wie alles binnen 30 Minuten liefern – von der Pizza über Blumen bis hin zu Sextoys – und nicht zuletzt der attraktivste Arbeitgeber sein.
Hartes Pflaster
Konkurrenz-Anbieter wollen das auch und locken, nachdem Mitarbeiter aufgrund prekärer Arbeitsbedingungen auf die Barrikaden gegangen sind, mit Benefits und Lohnanpassungen.
Auch bei Wolt gibt es immer wieder Proteste, zuletzt in Deutschland. In Wien gab es kurz nach dem Start einen kleinen Tumult, ausgelöst durch falsch vergebene Schichtdienste.
Parallel kämpft die Branche mit Einsparungen. Der Corona-Boom ist abgeflaut, Anbieter wie Flink und Jokr haben zugesperrt, Gurkerl hat umstrukturiert und die Platzhirsche Foodora (Delivery Hero) und Lieferando (Just Eat Takeaway) stehen aufgrund der hohen Marktkonzentration im Fokus der Wettbewerbsbehörde.
Im internationalen Raum kündigt Wolt-Inhaber DoorDash aufgrund der veränderten Nachfrage heuer 1.250 Mitarbeiter. Ein hartes Pflaster, das Wolt-Country-Manager Clemens Brugger jetzt in Österreich in Angriff nimmt.

Clemens Brugger ist auch Geschäftsführer von Wolt-Slowenien und managt den Österreich-Launch
KURIER: Seit einem Monat ist Wolt in Wien. Wie ist Ihre erste Bilanz? Clemens Brugger: Die ist sehr gut, wir haben das auch nicht anders erwartet. Der Prozess, bevor wir uns entscheiden, in ein Land zu gehen, ist ausgiebig. Wir wussten, dass es in Wien eine gute Gastronomie-Szene gibt und die Österreicher, was Online-Bestellungen betrifft, auch sehr weit sind. Es ist ein guter Markt mit sehr viel Potenzial.
Der Zeitpunkt für den Einstieg ist hart: Die Branche muss nach dem Corona-Hype sparen. Die einen rüsten um, die anderen sperren zu.
Am Ende des Tages ist das Geschäft einfach: Es geht um die Qualität, die wir bieten. Die Unterschiede zwischen den Anbietern sind gering. Worin wir uns unterscheiden, ist die App selbst, die übersichtlich und benutzerfreundlich ist. Und: Wie werde ich als Kunde betreut und wie kümmert man sich um mich, wenn etwas nicht gepasst hat.
Dieser Ansatz ist immer relevant – vor Corona, während Corona und danach. Wir waren auch in anderen Märkten die Nummer fünf oder sechs, als wir hineingegangen sind. Es ist kein Unikum, dass wir nicht die Ersten sind. Aber das ist für uns ein langfristiges Spiel, das wir spielen und unsere Erfahrung ist, dass wir mit dieser Strategie sehr gut fahren.
Ist der Bedarf in Österreich vorhanden, sich alles vor die Haustür liefern zu lassen, oder muss man ihn schaffen?
Er ist auf jeden Fall da und wächst weltweit. Vor allem im Bereich, der nicht die Gastronomie ist. Es gibt Prognosen, die alle davon sprechen, dass sich der Bedarf in den nächsten fünf Jahren vervierfachen wird.
Wir verstehen uns generell als „Alles-App“. Die Philosophie dahinter ist: Was früher oder heute auch noch Amazon ist, machen wir im Mikrokosmos. Wir sehen die Stadt als ein riesiges Lager an Ware und wollen diese effizient in der Stadt verteilen.
Bei anderen Anbietern klagen Restaurants über geschäftsschädigende Verträge. Wie geht Wolt an dieses Thema ran?
Für die Restaurants sind wir ja ein zusätzlicher Kanal. Das rechnet sich trotz der Provision, die nötig ist, um die Lieferleistung überhaupt realisieren zu können.
Wolt ist aktuell nur in den inneren Bezirken Wiens tätig – wie sieht der Plan für den weiteren Ausbau aus?
Wir haben keinen Fahrplan, gehen Bezirk für Bezirk vor. Sobald wir eine ausreichend große Zahl an Restaurants, Bestellern und Zustellern haben, gehen wir weiter.
- Wolt ist ein finnisches Unternehmen, das in 25 Länder expandierte
- 2021 schloss sich Wolt mit dem US-Anbieter DoorDash zusammen
- Wolt positioniert sich als Alleslieferer mit persönlichem Kundenservice (keine Chat-Bots), das unter einer Minute auf Kundenanfragen reagieren soll
- Bislang hat Wolt keinen Markt verlassen, den es betreten hat
Die Branche steht oft in der Kritik – häufig wegen ihrer Arbeitsbedingungen. Hier will Wolt verantwortungsvoll agieren, beschäftigt seine Zusteller aber als freie Dienstnehmer, wogegen häufig protestiert wird. Geht sich das aus?
Der attraktivste Arbeitgeber ist Wolt vor allem für seine angestellten Mitarbeiter. Wir haben über 10.000 Angestellte „Wolt-weit“ in der Firma. Dort ist es in der Tat so, dass wir ein sehr attraktiver Arbeitgeber sind.
Wir sind sehr skandinavisch geprägt mit einer offenen und egalitären Kultur. Was die Zustellerinnen und Zusteller betrifft, wissen wir anhand unserer quartalsweisen Befragungen, dass im wesentlichen drei Aspekte wichtig sind: Gute Verdienstmöglichkeiten, Flexibilität und Kommunikation.
Etwa: Wer hilft mir, wenn ich im Stau stehe oder sich etwas verzögert. Durch das freie Dienstnehmer-Modell erfüllen wir diese Aspekte am besten, deswegen haben wir uns dafür entschieden.
Und wenn ein Zusteller Vollzeit arbeiten und angestellt werden möchte?
Zustellerinnen und Zusteller stellen wir nicht an. Es ist aber jedem selbst überlassen, wie viel man arbeiten möchte. Wir zahlen dementsprechend auch mehr, weil wir wissen, dass die Person gewisse Aspekte der sozialen Absicherung selbst zahlen muss. Das ist so der Deal.
Das erfordert auch, dass wir uns ständig dem Markt anpassen, um attraktiv zu bleiben. Das passiert fast täglich. Regnet oder schneit es, müssen wir mehr bezahlen, als wenn es sonnig ist. Das ist eine Frage des Angebots und der Nachfrage. Solange wir attraktive Rahmenbedingungen bieten, wissen wir, dass auch genügend Menschen das Angebot annehmen.

Bei Wolt meldet sich kein Chat-Bot im Kunden- und Mitarbeiterservice. Der persönliche Kontakt wird über den gesamten Lieferzeitraum gewährleistet
Gleich zu Beginn gab es jedoch schon einen kleinen Tumult in der Zusteller-Belegschaft. Was ist da passiert?
Wir haben am Anfang mit Schichten gearbeitet, weil wir nicht wussten wie viele Bestellungen wir haben werden. Und wir wollten sicherstellen, dass die Fahrer einen gewissen Stundenlohn verdienen. Der Fehler war, dass einmal zu viele Schichten aufgemacht und dann wieder storniert wurden.
Da gab es einen kurzen Aufruhr, wir haben uns entschuldigt und nachgezahlt, was gestrichen wurde. Es war überraschend, wie viel Medien-Aufmerksamkeit wir dadurch bekommen haben. Es ist eine Branche, die sehr im Fokus ist.
Meine Meinung ist, dass man weniger Schwarz-Weiß-Malen sollte. Niemand sagt, dass ein Angestelltenverhältnis etwas Schlechtes ist. Aber man muss auch anerkennen, dass es einen Bedarf an flexibler Arbeit gibt.
- 15Stunden die Woche arbeitet ein Rider durchschnittlich in der Woche
- Bezahlt wird pro Lieferung. Der Stundenlohn liegt im Schnitt bei ca. 14 Euro
- Wolt fokussiert sich auf die Wiener Innenbezirke (1 bis 10) und will nachhaltig ausbauen
- Aktuell sind mehr als 100 Rider unterwegs. Die Zahl steigt stetig
- Zusteller können beliebig viele Aufträge ablehnen, Konsequenzen gibt es nicht. Einen Betriebsrat aber auch nicht
Bei Wolt steht die Kundenzufriedenheit im Vordergrund. Mitarbeiter bewerben sich via App – sofern man die Grundkriterien erfüllt (eigenes Fahrzeug, Arbeitserlaubnis, Volljährigkeit), kann man loslegen. Weiß man da überhaupt, wer die eigene Marke repräsentiert?
Unser System ist sehr offen. Wir überprüfen Vorstrafen und Arbeitsgenehmigung, aber sonst gibt es keine Kriterien. Das ist das Schöne an dem Modell: Dass wir Gruppen Zugang ermöglichen, die es sonst am Arbeitsmarkt schwer haben.
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