Wohin mit 1? Wie arbeitende Eltern ihre Einjährigen versorgen
Elina tapst durch das Co-working-Space, das ihre Mama mitbegründet hat. Sie tatscht die Polstermöbel an, schiebt einen kleinen roten Spielzeugwagen durch die breiten Gänge. Kurz probiert sie, für ein Foto am Tisch still zu sitzen. Aber kein Bild ohne ihren kritischen Blick. Dann zieht es sie auch schon wieder auf den Boden zurück, der ohnehin viel spannender zu sein scheint.
Elina ist 13 Monate alt und kennt das Packhaus gut. Seit Jänner arbeitet ihre Mama hier wieder 20 Wochenstunden nach der Karenz. Im Moment ist Elina mit ihrem Papa zu Hause. Bald schon wird Elina in die Krippe gehen. Dann steigt ihr Papa wieder Vollzeit in den Job ein, ihre Mama stockt auf 30 Stunden auf. Ein Lebensmodell, das sich das Paar nach gründlicher Überlegung so zurechtgelegt hat.
Rekord bei Kleinkindbetreuung
Wie man die Betreuung aufstellt, ist wesentliches Thema ab der Schwangerschaft. Schließlich werden so auch die Weichen für das restliche Karriereleben von Mann und Frau gestellt. Wer geht in Karenz? Wie lange bleibt man der Arbeit fern? Mit wie vielen Wochenarbeitsstunden kehrt man zurück? Und die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang: Wie den Nachwuchs betreuen?
Die Datenlage zeigt in diesem Zusammenhang eine interessante Entwicklung: Frauen bekommen immer später – aktuell mit 29,5 Jahren im Schnitt – ihr erstes Kind. Dieses aber wird zunehmend früher in Betreuung gegeben, wie eine Erhebung der Statistik Austria zeigt. Im vergangenen Schuljahr 2018/2019 gab es sogar einen neuen Rekordwert bei der Betreuung von unter Dreijährigen. Knapp 70.000 Null- bis Dreijährige haben eine Krippe oder einen Kindergarten besucht – in den vergangenen zehn Jahren hat sich die Zahl der Krippenkinder mehr als verdoppelt.
Frauen steigen früher ein
Der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen bringt nicht nur mehr Kinder in die Krippen, sondern auch mehr Frauen früher zurück in ihren Job. Das zeigt das 2017-Wiedereinstiegsmonitoring der Arbeiterkammer (AK). Das längste Kinderbetreuungsgeld-Modell verliert kontinuierlich an Bedeutung. Bei einem Drittel aller Kinder entscheiden sich die Eltern heute schon für das einkommensabhängige Kinderbetreuungsgeld. Das garantiert einem Elternteil 80 Prozent der Letzteinkünfte für zwölf Monate (14 Monate, wenn beide Elternteile betreuen). Hochgerechnet kommen Eltern so auf maximal 2000 Euro im Monat. Und gehen nach zwölf bzw. 14 Monaten wieder zurück in den Job.
Die Wahl des Kinderbetreuungsgeldes muss aber nicht zwangsläufig mit der arbeitsrechtlichen Karenzzeit übereinstimmen. „Es gibt Mütter, die nach Bezug des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes bis zum zweiten Geburtstag des Kindes zu Hause bleiben. Ohne Bezug, nur in der arbeitsrechtlichen Karenz“, heißt es aus Bundesministerium für Frauen, Familie und Jugend.
„Es bräuchte eine Kinderbetreuungsinfrastruktur.“
Es lässt sich auch ein weiterer Trend herauslesen: Die Väterbeteiligung steigt – wenn auch nur langsam. Eine Forba-Studie hat erhoben, dass sich junge Eltern die Kinderbetreuung besser untereinander aufteilen möchten. Also weg vom alten Eineinhalb-Verdiener-Modell in dem er Vollzeit arbeitet und sie Teilzeit.
„Das ist an sich eine tolle Entwicklung, aber viele Eltern denken während der Karenz nicht ausreichend an die Betreuung für die Zeit danach. Wir haben eine Lücke zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr des Kindes“, sagt Alice Pitzinger-Ryba, Geschäftsführerin des Vereins Family Business. Sie hilft mit einer Hotline Eltern, die Not an Betreuung haben. Die Expertin hat selbst fünf Kinder und drei Enkelkinder. Und weiß: „Wer Einjährige betreuen lassen möchte, muss das frei finanzieren.“
Kosten planen
Pitzinger-Ryba rechnet vor: „Eine Tagesmutter kostet ab fünf Euro die Stunde. Eine private Krippenbetreuung könnte auf bis zu 600 Euro im Monat kommen, eine Nanny kommt auf gute 1800 Euro. Und nur in Wien wird umfassend gefördert.“ Für Kleinstkinder sind öffentliche Krabbelstuben in der Hauptstadt beitragsfrei, aber gedeckelt. Die Expertin sagt, viele Eltern würden beim einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld nicht bedenken, dass es eben für diese Betreuung verwendet werden sollte. Und bekämen dann den Schock:„Ich muss ja die Hälfte meines Einkommens für Kinderbetreuung aufwenden.“
In Österreich wird aktuell schon ein Drittel aller Null- bis Zweijährigen betreut – in Krippen, Kindergruppen und mit Tageseltern. Im vergangenen Schuljahr gab es 4.565 Kindergärten und 2.185 Krippen. Letztere sind übrigens die Einrichtungen, die Eltern für ihre Einjährigen am häufigsten nutzen. Neben öffentlichen und privaten Krippen verlassen sich Eltern aber auch gerne auf Tagesmütter oder -Väter, aber auch Leihomas, Babysitter oder Nannies sind beliebt.
„Es gibt sehr viele individuelle Modelle, wie Eltern ihre Betreuung organisieren können. Wenn man vor dieser Aufgabe steht, glaubt man oft, man schafft es nicht."
Manche Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern auch Betriebskrippen, Kindergärten oder Kindergruppen und Eltern, die studieren, haben an vielen heimischen Unis die Möglichkeit, ihre Kleinen betreuen zu lassen. „Eltern brauchen ein breites Netz an einzelnen Betreuungsangeboten, falls ein Teil ausfällt“, so Pitzinger-Ryba. Wie sie es organisieren, sei höchst individuell. Manche arbeiten an drei Tagen im Büro, machen an zwei Tagen Homeoffice und nehmen dazu noch ein Au-Pair. Andere wiederum sind mit Krippe und Tagesmüttern glücklich.
Kein Rechtsanspruch
Einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz – wie es ihn in Deutschland gibt, gibt es in Österreich nicht. Eltern müssen sich unmittelbar nach der Geburt überlegen, wie sie betreuen möchten. Zwei Drittel der Krippen-Angebote sind in privater Hand, wenngleich sie zum Teil gefördert werden. Spricht man mit Eltern über diese Plätze, sind sie nicht immer glücklich. Zu große Betreuungsgruppen, unzureichende Öffnungszeiten, mangelndes Personal sorgen sie.
„Es braucht einen Plan auf allen Ebenen: ein Recht auf einen Krippenplatz und ein Recht auf Qualität“, plädiert Ingrid Moritz, Leiterin der Abteilung Frauen und Familie bei der Arbeiterkammer Wien. Dazu äußerte sich unlängst auch die OECD. Eine Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung für Kinder sei für Österreich überlegenswert. Beide Elternteile könnten so vollwertig arbeiten – derzeit ist Österreich eines der Länder mit dem höchsten Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen.
Großes Stadt-Land-Gefälle
Wien ist übrigens das erste Bundesland, das die Vorgaben für die Kleinkindbetreuung erfüllt. Nur ein Drittel aller Krippenangebote finden sich außerhalb Wiens. Möglicherweise ist auch das der Grund dafür, warum in der Steiermark nur 15,6 Prozent der unter Dreijährigen betreut werden. „Es bräuchte eine Kinderbetreuungsinfrastruktur“, plädiert Ingrid Moritz von der AK. „Sonst wird alles wieder zur Frau zurückgelagert.“ Heißt: Sie kümmert sich ums Kind, geht Teilzeit arbeiten, bekommt die geringe Pension.
Pitzinger-Ryba beschwichtigt: „Es gibt sehr viele individuelle Modelle, wie Eltern ihre Betreuung organisieren können. Wenn man vor dieser Aufgabe steht, glaubt man oft, man schafft es nicht. Mütter werden heute aber bis zu 100 Jahre alt und rückblickend betrachtet, ist diese schwierige Betreuungsphase nur eine ganz kurze Zeit im Leben.“
Der KURIER hat zwei Mütter besucht, die arbeiten bzw. schon bald wieder arbeiten werden. Wie regeln sie die Betreuung ihrer Kleinen?
Veronika Kovacsova, 35, ist Mitbegründerin und stellvertretende Vorsitzende des Vereins Paradocks und Projektmanagerin beim Packhaus – ein Co-working-Space im dritten Bezirk in Wien. Außerdem ist sie Mutter der 4-jährigen Iida und der 13-monatigen Elina.
Trotz der vielen Rollen wirkt sie resilient und cool. Wohl das Ergebnis eines vierjährigen täglichen Lernprozesses, wie sie sagt. „Man muss sich auf Sachen jeden Tag neu einstellen. Es ist wie bei einem alten Radiogerät, bei dem man immer am Regler dreht, um eine Frequenz zu finden, die nicht rauscht“, lacht sie, auf die Vereinbarkeit angesprochen.
Die Einstellung „Für mich sind bei unseren Kindern 12 bis 13 Monate ein gutes Alter für die Kinderkrippe. Ich habe das Gefühl, dass die Zeit, in der wir den ganzen Tag gemeinsam verbracht haben, dann ausreichend war“, so Kovacsova. Schon bei der ersten Tochter nahm das Elternpaar das einkommensabhängige Kindergeld in Anspruch, Iida besucht heute einen privaten Kindergarten.
Bei der zweitgeborenen Elina gab es darüber hinaus noch eine Absprache zwischen Mutter und Vater: „Wir waren beide sieben Monate abwechselnd zu Hause.“ Kovacsova findet, so ein Modell sei in vielen Beziehungen noch tabu. „Den Mann fragt man dann: denkst du denn gar nicht an deine Karriere? Die Frau fragt das niemand.“
Die Betreuung „Ich war ein Jahr lang in Karenz, seit Jänner 2019 arbeite ich wieder 20 Stunden im Packhaus. Mein Freund ist noch bis Ende August mit Elina zu Hause und steigt im September wieder in der Unternehmensberatung ein.“ Auf Betreuung von Oma und Opa können die Slowakin und der Finne nicht zählen – sie leben in anderen Ländern. Die Familie hat sich also wieder für eine Kinderkrippe entschieden.
Die 35-jährige Mutter möchte ihr Arbeitspensum durch diese Betreuung dann wieder auf 30 Wochenstunden erhöhen. Und warum das private Angebot? „Bei Iida habe ich damals keinen Platz in einer öffentlichen Krippe bekommen. Ich kenne aber Mütter, die sich einen öffentlichen Platz regelrecht erkämpft haben.“ Sie hat das Gefühl, Betreuung für unter Dreijährige sei schwierig zu arrangieren. „Ab drei Jahren sieht das Angebot schon besser aus.“
Im „das Fritz“ am Neusiedler See ist viel los. Auch Jungeltern sind gekommen, um das Frühstücksbuffet auszukosten. In der Linken das Baby, in der Rechten das Kipferl. Architektin Verena Bernardi, 32, ist eine von ihnen. Das Kipferl hat aber ihre 16 Monate alte Margarete im Mund – zumindest das Stückchen, das sie nicht glucksend vor Lachen immer wieder auf den Boden wirft.
Die Einstellung „Mein Mann und ich wollen so lang es geht, so viel wie möglich von ihr haben. Mir ist aber auch wichtig, dass sie sozialen Kontakt bekommt und die Krippe besucht. Einen Platz zu finden ist in Neusiedl aber ein großes Thema.“ Schon in der Schwangerschaft wollte sie sich einen sichern. Das kann man aber erst im März für den kommenden September. Rund 300 Euro pro Monat wird die Jungfamilie dann für die Betreuung aufbringen.
Die Betreuung Noch ist die Tochter stets an Mamas Seite. Omas und Opas wohnen zu weit weg, als dass sie Babysitten könnten und in die Krippe kommt Margarete erst nächstes Jahr. Bis dahin reduzieren beide Elternteile ihre Stunden und teilen sich die Betreuung auf. Montag bis Mittwoch ist sie zu Hause, Donnerstag und Freitag er.
Obwohl das finanzielle Einbußen mit sich bringt, sei das die beste Lösung. „Woanders bleibt die Mutter ja komplett zu Hause. Wir haben nicht geschaut, was sich rentiert. Wir wollen einen Mehrwert fürs Kind schaffen.“ Damit dieses Lebensmodell umgesetzt werden kann, musste die Jungmutter aber den Job wechseln. Bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber konnte sie die Stunden nicht reduzieren, Anspruch auf Elternteilzeit hatte sie wegen der Betriebsgröße auch keinen. „Durch Mundpropaganda hat es dann funktioniert, dass ich schnell einen neuen Job gefunden habe.“
An ihren zwei betreuungsfreien Tagen wird die Architektin 16 Stunden arbeiten gehen. „Mir war wichtig, dass es ganze Tage sind. Halbe Tage sind furchtbar für die Einteilung – für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.“ Ob sie sich aufs Arbeiten freut? „Ich habe studiert und möchte nicht ewig daheim bleiben. Auf der anderen Seite möchte man sein Kind aber nicht sofort abgeben. Ich glaube aber, dass man beide Seiten – die Arbeit und das Familienleben – mehr schätzt, wenn man sie nicht den ganzen Tag hat.“
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