Wie Geschwister Karriere machen
„Wir können sie lieben, verachten, bewundern, manchmal alles gleichzeitig. Sie lehren uns, wie man teilt, sowohl einen Kuchen als auch die Aufmerksamkeit der Eltern.“ Corina Schomaker ist sich sicher, dass der Platz in der Geschwister-Reihenfolge so bedeutsam ist, dass er die berufliche Laufbahn beeinflusst. Wie genau, so verspricht die eMail, klärt Expertin Schomaker gerne in einem Interview auf. Allerdings: Auf die Fragen – „Wie gut sind diese Annahmen wissenschaftlich belegt? Wie werden sie untersucht? Was sind die Einwände gegen diese Theorien?“ – folgt die Interviewabsage.
Der Mythos
Karrierebezogene Alltagsmythen à la „die große Schwester wird Führungskraft, das Nesthäkchen AbenteurerIn, das mittlere Kind DiplomatIn“ gibt es viele und sie halten sich hartnäckig. Vor allem, da fast jeder ein Beispiel kennt, das wunderbar ins Schema passt.
Außerdem ist die Idee, dass die Geschwisterposition den Charakter beeinflusst, nicht neu: Schon vor 100 Jahren versuchte Entwicklungsforscher Alfred Adler in seinem Buch „Menschenkenntnis“ der Theorie ein tragfähiges Fundament zu geben. Wissenschaftlich nachweisen lassen sich systematische Wesensunterschiede aber bis heute kaum.
Nichts dran also?
„Die Rolle, die man als älteres oder jüngeres Geschwisterchen einnimmt, hat definitiv Einfluss auf unseren Charakter. Einerseits ist da die Verantwortung, die man gegenüber den Jüngeren einnimmt. Andererseits lernt man das Durchsetzen gegen Konkurrenten“, meint dazu Unternehmer Franz-Peter Bogner.
Eine Beobachtung, die auch PsychologInnen machen: So manches karrierebestimmende Verhaltensmuster wie Verhandlungskompetenz, Durchsetzungskraft oder Streitkultur trainiert man bereits als Kind mit den Geschwistern. Viele Eltern weisen dem Nachwuchs auch früh spezifische Rollen zu, und legen so den Grundstein für Neid oder Kollegialität.
Bogner jedenfalls weiß, wie geschwisterliche Zusammenarbeit funktionieren kann, führt der 47-Jährige doch mit Schwester Juliane (36) das legendäre und vielfach ausgezeichnete Festivalgelände Wiesen.
Der ältere Bruder ist Geschäftsführer der Bogner Veranstaltungsges.m.b.H, die jüngere Schwester Projektmanagerin. „Zwischen uns liegen elf Jahre, das ist viel. Er wusste, wie er die Schwester mit einfachen Sätzen außer Rand und Band bringt“, erinnert sich Juliane Bogner an das gemeinsame Aufwachsen.
Doch genau dadurch lernten sie, zusammen statt gegeneinander zu arbeiten: „Kräftemessen war unangebracht, da lag der Bruder klar im Vorteil.“ Und obwohl sie ein Studium an der Universität Wien absolvierte, während ihr Bruder die Fachschule für Elektrotechnik wählte, sind sie heute KollegInnen.
Das Positive
Was Vorteile hat: „Man kennt einander so gut, dass man die Stärken und Schwächen nicht überspielen kann. Wir wissen ganz genau, was wir gemeinsam stemmen können und wer welchen Bereich zu übernehmen hat“, so Franz-Peter Bogner. Beruflichen Neid gibt es zwischen Bruder und Schwester nicht: „Wir können nur gemeinsam erfolgreich sein – das hört sich zwar kitschig an, ist aber tatsächlich so“, erklärt das Geschwisterpaar.
Rivalen
Ein gesundes Maß an Konkurrenz und Nacheifern prägte hingegen die Karriere von Fritz (37) und Tamino (29) Grampelhuber vom Steegwirt aus Bad Goisern.
„Die Erfolge meines Bruders haben mich beruflich schon extrem motiviert: Er hatte mehr Erfahrung, war in sämtlichen Ländern und ich sah, dass ich Gas geben muss, wenn ich aufholen will. Gegenseitig pusht man sich“, erinnert sich Tamino Grampelhuber.
Dass der Bruder das Kochen von den Besten lernte – unter anderem bei den Ausnahmeköchen Karl und Rudolf Obauer (vier Hauben) – spornte Tamino an, hinsichtlich seiner Ausbildung auch auf Qualität zu setzen und bei Claus Peter Lumpp (drei Michelin-Sterne und vier Hauben) zu lernen.
Dass aus dem Nacheifern kein verbissener Neid wurde – gerade unter gleichgeschlechtlichen Geschwistern keine Seltenheit – liegt wohl auch am Elternhaus. „Manchmal sieht man schon, dass die ältesten Kinder strenger erzogen werden. Bei uns war das nicht so: Wir wurden gleich behandelt, sind beide abenteuerlustig und verlässlich“, erinnert sich Fritz Grampelhuber.
Da die Eltern berufstätig waren, musste er als Großer oft auf den Jüngeren aufpassen: „Aber das war nie ein Problem. Tamino ist da rein- und mitgewachsen“, so Fritz Grampelhuber.
Sein Einfluss auf die Karriere des Bruders ist ihm aber bewusst. „Ich habe ihn schon mit zwölf Jahren in die Arbeit mitgenommen. Denn es war mein Traum, dass wir den Steegwirt einmal gemeinsam übernehmen – zu zweit ist alles leichter.“
Dass die beiden gut zusammenarbeiten, zeigt ein Blick auf die gemeinsamen Erfolge: Die Brüder kochen auf Haubenniveau, für die österreichische Fußball-Nationalmannschaft und wurden von der Jungen Wirtschaft OÖ mit dem der Jungunternehmer-Preis ausgezeichnet. „Natürlich gibt es auch einmal Meinungsverschiedenheiten“, erzählt Tamino Grampelhuber: „Aber das geht schnell vorbei, denn an erster Stelle steht der Betrieb. Und der Vorteil an Geschwistern ist, dass man sich auf seinen Bruder zu 100 Prozent verlassen kann.“
Zum Thema Geschwisterposition gibt es eine ganze Palette von Studien: Laut einer US-Studie von 2015 etwa sind Erstgeborene gewissenhafter, emotional stabiler und führungswilliger.
Doch vergleicht man unterschiedliche Familien, verschwindet der Effekt fast vollständig.
Eine Studie des deutschen Forschungszentrums für Demografischen Wandel von 2018 zeigt, dass die Nesthäkchen emotional labiler und furchtsamer sind, schneller nervös werden und schlechter mit Stress umgehen. Einzelkinder und Kinder mit mindestens einem jüngeren Geschwisterkind hätten hingegen eine lebhafte Fantasie und originelle Ideen. Allerdings mussten sich die Forscher gröbere methodische Mängel vorwerfen lassen.
Als relativ gesichert gilt im Grunde nur, dass Erstgeborene im Schnitt einen etwas höheren IQ haben – aber auch der Vorsprung ist so gering, dass er im Berufsalltag nicht spürbar ist. In 40 Prozent der Fälle hat das später geborene Kind den höheren IQ.
Wie der berufliche Erfolg der Geschwisterkinder die eigene Karriere beeinflusst, inspiriert oder verunmöglicht.
Es ging schon bei den Kindern von Adam und Eva schief: Kain ermordete seinen Bruder Abel aus Eifersucht, weil dessen Opfer von Gott vorgezogen wurde. Und auch abseits der biblischen Geschichten gilt: „Rivalität unter Geschwistern ist weit verbreitet“, so Sozialwissenschafter Ingmar Vriesema. Denn welche Karrieren Geschwister wählen, wie erfolgreich sie damit sind und wie die Eltern auf die unterschiedlichen beruflichen Wege reagieren, beeinflusst meist auch die Zielstrebigkeit und Zufriedenheit im eigenen Job.
Besonders schwierig ist es für jene, deren Geschwister beruflich uneinholbar erfolgreich sind. Genau mit diesen hat sich Vriesema in einem Buch beschäftigt. Er definiert darin fünf mögliche Konstellationen: Geschwister, die konkurrieren, da sie eine ähnliche Tätigkeit ausüben. Geschwister, die sich wie Tag und Nacht voneinander unterscheiden. Nutznießer, die aus dem Ruhm ihrer Geschwister einen persönlichen Gewinn zu schlagen versuchen, große Brüder und Schwestern, die als Inspirationsquelle dienen und Geschwister, die – gerade wegen des Erfolgs – noch enger verbunden sind.
Die Rivalen
Im gleichen Beruf zu sein,ist ein Risiko
Um sich zu unterscheiden, suchen Geschwister meist eine berufliche Nische, in der jeder Einzelne brillieren kann. Nicht so der Typ „Rivale“. Er sucht Konkurrenz, indem er den gleichen Beruf wie Schwester oder Bruder wählt. Bekannte Rivalinnen sind die Tennis-Schwestern Williams. Dass es auch der Bruder von Diego Maradona als Fußballer versuchte, wissen die wenigsten: Denn meist schadet zu große Konkurrenz unter den Geschwistern der Karriere mehr, also sie nutzt.
Die Gegenpole
Einen anderen Weg zu gehen, lohnt sich
Der Typ „Gegenpol“ versucht als Gegenstrategie des dauerenden Vergleichs, sich beruflich deutlich vom Familienmitglied zu differenzieren. Yeslam bin Ladin etwa ist Vorsitzender der SICO mit Sitz in Genf und distanziert sich seit Langem von Bruder Osama bin Laden. Steve Jobs traf seine jüngere Schwester Mona Simpson erst im Erwachsenenalter, da er zur Adoption freigegeben wurde. Mona selbst wählte als Schriftstellerin eine völlig andere Karriere als der berühmte große Bruder.
Die Nutznießer
Die Bruder-Schwester-Rolle als Berufung
Natürlich kann es auch Vorteile bringen, wenn der eigene Bruder oder die Schwester auf der Karriereleiter ganz oben steht. Das weiß auch die Geschwister-Kategorie „Nutznießer“, die den Windschatten ihrer erfolgreichen Geschwister geschickt ausnutzen: Ob aus purer Gehorsamkeit, aus Opportunismus oder weil sie einfach auch etwas Ruhm wollen und quasi im Windschatten Karriere machen. So wie Madonnas Bruder, Tänzer und Autor Christopher Ciccone.
Die Vorbilder
Ältere Geschwister steigern den Ehrgeiz
In den ersten Lebensjahren sind die älteren Geschwister das große Vorbild. Die Jüngeren sind unermüdlich im Nacheifern, doch bleiben die Großen stets schneller, klüger und besser. Ein Ärgernis, das auch Einfluss auf die Karriere haben kann. Im Bestfall spornt der Neid zu beruflichen Höchstleistungen an, doch er kann auch schaden: Lady Diana etwa litt sehr an den Erfolgen ihrer Schwester. Maria Callas war so eifersüchtig auf ihre ältere Schwester Jackie, dass sie ihr sogar das Singen verbot.
Die Vertrauten
Geschwister als Vertraute und Kraftquelle
Trotz Neid und Streit zwischen Geschwistern sind die Begriffe „schwesterlich“ und „brüderlich“ positiv besetzt. Die „Vertrauten“ schaffen es, dieses Ideal auch beruflich zu nutzen: Maja Einstein etwa wurde eine Lebensgefährtin von Albert – aus Notwendigkeit und Vergnügen. Franz Kafka war für seine kleine Schwester Ottla einer der wenigen Lichtblicke. Gerade, wenn man auf der Karriereleiter ganz oben ist, bleiben solche Geschwister ein wichtiger Anker im hektischen Berufsalltag.
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