Wenn die Leidenschaft siegt

Wenn die Leidenschaft siegt
Die Berufung ruft: Drei Karrieristen haben Status, Geld und Ansehen gegen eine Tätigkeit mit mehr Sinn getauscht.

Die Mär vom Tellerwäscher zum Millionär ist bekannt: Der perspektivenlose Geringverdiener wird dank harter Arbeit,  Leidenschaft und einem Fingerhut voll  Glück reich.  Was, wenn die Geschichte andersherum lauten würde? Der hart arbeitende Spitzenverdiener mit Perspektiven ohne Ende schmeißt alles hin, um sein Leben für seine Leidenschaft –  das Schauspiel, den Wein, den Sport – zu opfern. Er muss verrückt sein, würden die Leute sagen.

Status, Geld und Sicherheit aufgeben, um bei null zu beginnen. Weg vom Start, wo man doch schon so weit war. Warum sollte man das tun? Weil Status und Geld nicht glücklich machen, wie eine aktuelle Langzeitstudie  zeigt, die australische und deutsche Wissenschaftler  des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA)  durchgeführt haben. Eine Beförderung hätte weder auf die psychische Verfassung noch auf die Lebenszufriedenheit einen  positiven Effekt. "Ein Mehr an Geld und Status bringt langfristig nichts", so IZA-Sprecher Mark Fallak. Im Gegenteil: Mit der  höheren Verantwortung nehmen auch Arbeitszeit und Stress zu,  die Jobzufriedenheit sinkt. Spätestens nach drei Jahren sei die anfängliche Karriere-Euphorie verflogen.

Wie wichtig es ist, Sinn in seiner Tätigkeit zu finden, haben Thomas Höge und Tatjana Schnell, Wissenschafter am Institut für Psychologie an  der Universität Innsbruck, mit ihrer Studie gezeigt: Ohne Sinnerfüllung gibt es auch kein Engagement im Job. "Die Arbeitspsychologie ist bisher  davon ausgegangen, dass organisatorische Faktoren wie Aufgabenvielfalt und Entscheidungsspielräume für die Motivation ausreichen", sagt Höge,  " aber  die Arbeitsaufgabe selbst ist entscheidend". Vor allem, wenn die eigene Arbeit als für andere Menschen nutzbringend erlebt werde, steige das Arbeitsengagement. Hoch qualifizierte Menschen hätten es da einfacher, nach dem Sinn zu suchen, räumt Höge ein, und rät: "Der Manager,   der lieber  Wein anbauen will, sollte die Möglichkeit, das zu tun, auch nutzen." Im  niedrigqualfizierten Sektor sei der Handlungsspielraum geringer. "Hier bringt es  viel, zu reflektieren: Wem nützt das, was ich tue", so der Psychologe. Eine Putzfrau im Krankenhaus könne in ihrer Arbeit Sinn finden, "wenn sie sieht, dass sie nicht nur Schmutz wegmacht, sondern dazu beiträgt, dass die Patienten sich wohlfühlen".

Andererseits könnten  Menschen auch ihre Motivation verlieren, wenn  Strukturen sie behindern: "Ein Krankenhausarzt, der ja den Menschen hilft,  sieht möglicherweise wenig Sinn in seiner Tätigkeit, wenn er wegen organisatorischer Schwierigkeiten nicht so tun kann, wie er  gern würde. " Wird die  Arbeit einmal als sinnlos erlebt, verhelfe auch die Aussicht auf mehr Gehalt nicht zu mehr Engagement im Job.   "Monetäre Anreize allein bringen da wenig",  so Höge.

Die gute Nachricht für jene, denen der Mut fehlt, den Top-Job für ihre Leidenschaft   an den Nagel zu hängen, verkündete soeben das deutsche Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa), das 500 Unternehmen befragt hat: Vor allem kleine Firmen setzen immer mehr auf die Jobzufriedenheit ihrer Mitarbeiter. 

Flo Staffelmayr: „Das war für meine Begriffe kein Leben“

Wenn die Leidenschaft siegt

Er dachte bei sich:  "Das Leben  will ich nicht" –  und kündigte seine Bilderbuchkarriere  bei Siemens, um Autor zu werden.    

Flo Staffelmayr wurde in Frankreich geboren,  lebte   in Marokko, zog  mit 14 Jahren nach Wien. Er studierte im Eiltempo an der WU und arbeitete danach bei der  damaligen Post und Telekom.   Bald   wechselte  Staffelmayr  zu Siemens ins Beteiligungsmanagement.   Er arbeitete hart und  war zufrieden, wurde vom Chef aufgebaut und gefördert. "Ich war in einem super Umfeld.  Und ich habe viele  Manager getroffen, die den Weg, den ich vor mir hatte, bereits gegangen sind."  So  leben wie sie wollte er nicht.  

Staffelmayr sprach  mit einem befreundeten Coach, besuchte   ein Seminar.  Plötzlich war  ihm sonnenklar: Schauspieler – das ist es.

Er wechselte in Teilzeit und besuchte eine Schauspielschule.   Bald hatte er   erste Engagements.    Und kündigte bei Siemens. Brigitte  Ederer, damalige Siemens-Österreich-Chefin, wollte ihn  nicht gehen lassen, versuchte ihn zu halten.  Unmöglich, er hatte sich entschieden.  Reue?  "Keinen einzigen Tag", sagt er.  "Ich habe meinen Lebensstandard zurückgeschraubt,  Abos gekündigt, ausgemistet, ich habe kein Auto.  Dann ist der  Druck geringer und man kann eher tun, was man will."

Inzwischen ist Flo Staffelmayr Bühnenautor –  mittlerweile erfolgreich. Vor Kurzem gewann er   für  den Text "Pietro Pizzi"  den Förderpreis Jungwild.    Schaffen und Umsetzen war schon immer sein Ding.  "Schon als Betriebswirt war es für mich das Spannendste, den Kahn aus dem Dreck zu ziehen oder ein Unternehmen aufzubauen." 

Winzerin: „Das innere Erfülltsein hat gefehlt“

Wenn die Leidenschaft siegt

Kennen Sie Breitenwaida?", fragt Ingrid Groiss.  "Niemand tut das." Ihre Eltern wollten, dass sie den Familien-Heurigen übernimmt. Für die  Neo-Absolventin der Wirtschaftswissenschaft  war das im Jahr 2005  "ein Albtraum". Sie flüchtete aus der dörflichen Enge des Weinviertels. Und landete schließlich in Berlin bei Coca-Cola im Marketing, dann im Trainee-Programm beim weltgrößten Bierbrauer Anheuser-Busch InBev in Bremen. "Ich hatte plötzlich einen Job, der mir Spaß machte, viel Geld, ein Firmenauto, eine bezahlte Wohnung, tolle Freunde." Nach und nach merkte Groiss, dass sie "unzufriedener und grantiger" wurde. 2008 bot man ihr eine gut dotierte Stelle im Vertrieb an. Groiss lehnte ab:  "Das innere Erfülltsein hat gefehlt."  Um nicht "für den Rest meines Lebens unglücklich zu sein", kehrte sie 2008 nach Hause zurück, arbeitete im elterlichen Heurigen mit und studierte nebenbei Weinbau an der BOKU Wien – "das Studium wurde damals ganz neu angeboten, für mich ein Zeichen", meint Groiss.

Statt in Kostüm und Pumps  im Büro zu sitzen,  schleppt die zierliche 31-Jährige heute Weinpumpen, arbeitet von frühmorgens bis Mitternacht im Weingarten.  Weingut und Vertrieb hat sie vor zwei Jahren von null aufgebaut. Die Mühe lohne sich: "In der Marketing-Abteilung habe ich nur heiße Luft produziert." Nun macht Groiss "was Konkretes", hält  ihre "Babies", die Flaschen,  in Händen. "Mit dem Marketingjob hätte ich es leichter gehabt", sagt sie,  aber: "Du musst machen, was dein Herzenswunsch ist."

Unternehmer: „Sicherheit gibt es ohnehin nicht“

Wenn die Leidenschaft siegt

Nach acht Jahren als geschäftsführender Gesellschafter  von PKP BBDO  hatte   Josef Mayerhofer  seine Tätigkeit für die Agentur  im Mai  endgültig satt.    Er ging. Seither ist das Laufen sein Leben.  Im Juni fand  zum ersten Mal der 100-Kilometer-Lauf "Mozart 100"  in Salzburg statt. Sein Verdienst.

Mayerhofers Leben war immer bewegt: Er studierte an der  WU,   verließ Österreich  eineinhalb  Jahre  für Australien, kam zurück, um sich in der Automobilbranche einen Namen zu machen, führte Smart in den Markt ein. Er wechselte in die New Economy – erfolglos. Und pendelte ein  dreiviertel Jahr um die Welt.   Dann kam die Agentur.   

Vor eineinhalb Jahren begann sich das Umfeld zu ändern. "Der Respekt und die Wertschätzung vor dem, was andere leisten und tun und vor der Person an sich hat stark abgenommen", sagt er.  Die Finanzkrise sei ein  Verstärker gewesen.  Er wollte verändern. Da die  Agentur Teil eines internationalen   Netzwerks ist,  war seine  Handlungsfähigkeit eingeschränkt. "Entscheidungen wie 100 Euro Gehaltserhöhung  mussten mit New York abgeklärt werden.   Ich lebe nach dem einfachen Prinzip: Love it, change it or leave it.  Ich  konnte nicht verändern, also  bin  ich gegangen."  

Zu laufen begann Josef Mayerhofer im Herbst 1996 – seither ist es seine Leidenschaft.  Während seiner Zeit bei der Agentur hat er nebenher  den 100-Kilometer-Lauf geplant.  300 Läufer nahmen im Juni teil,  in fünf Jahren sollen es 3000 sein. Die Anerkennung fehle ihm nicht, die Sicherheit auch nicht. "Es ist ohnehin eine Scheinsicherheit, es gibt sie nicht."

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