Welche Einkaufsstraßen eine Renaissance erleben
In der Wiener Innenstadt herrscht hektisches Treiben. Da hasten die Geschäftsleute zu Terminen, schieben sich die Touristen von ihren Reisebussen zu den Sehenswürdigkeiten. Einige U-Bahnstationen stadtauswärts beruhigt sich die Lage, ändert sich das Tempo. Hier nimmt man sich Zeit: Der Student liest im Schanigarten der Bäckerei Felzl Zeitung, die Jungmutter mit Hund an der Leine schiebt den Kinderwagen in den Weltladen, vor dem Deko-Geschäft trinken Stammkunden Kaffee. An diesem Vormittag ist die Lerchenfelder eine kleine Oase mitten in der brummenden Stadt – mit allem, was man braucht und gerne genießt, alles auf einer Einkaufsstraße, in Gehweite. Eine Besonderheit.
Virtueller Warenkorb vs. echter Warenkorb
Denn eigentlich geht der Trend in eine andere Richtung: „Bisher hatten die Einkaufsstraßen und Shopping Center die exklusiven Rechte, dem Kunden Waren anzubieten. Das Internet ermöglicht es den Menschen heute, nicht mehr rauszugehen. Sie haben andere Beschaffungsmöglichkeiten“, sagt Wolfgang Richter, Geschäftsführer des Standortberaters RegioPlan.
13 Prozent der Konsumausgaben der Österreicher fließen heute bereits in den Onlinehandel. Im Bekleidungsbereich ist es sogar ein Viertel der Umsätze. „Der Onlinehandel wächst heute acht bis zehn Mal so schnell wie der stationäre“, vergleicht Rainer Will, Chef des Handelsverbands.
„Die Unterschiede reichen von Öffnungszeiten über Sommerpausen bis zu Weihnachtsbeleuchtung. Wenn Einkaufsstraßen Kunden wollen, müssen sie attraktiver werden.“
Eine Herausforderung für gute alte Shopping-Meilen: Laut RegioPlan sinken die Passantenfrequenzen pro Jahr um vier bis sechs Prozent. In Wien ist die Frequenz vergleichsweise sehr hoch. Die meisten flanieren am Graben und auf der Kärntnerstraße, auch die Mariahilfer Straße und die Favoritenstraße sind gut besucht – laut Otto Retailmarktbericht 2019 sind an einem Samstag in der Mariahilfer Straße 80 bis 85 mehr als 70.000 Menschen unterwegs - siehe Grafik mit den Top-10 Wiener Einkaufsstraßen:
Generell drücken Amazon & Co. aber auf Laufkundschaft und Umsätze, manche müssen ihr Geschäft zusperren, in ein Einkaufszentrum oder eine günstigere Lage umziehen. Viele zieht es an den Stadtrand – die Zahl der Fachmarkt-Zentren da hat sich in den vergangenen Jahren auf 264 mehr als verdoppelt.
Viele Leerstände
Dieser Entwicklung ist es geschuldet, dass innerstädtische Handelszonen heute teilweise bis zu 25 Prozent Leerstände haben – seit fünf Jahren gehen die Verkaufsflächen in Österreich, ausgenommen im Lebensmittel- und Drogeriehandel, jährlich um zwei Prozent zurück. Punktuell wird viel in die Belebung von Einkaufsstraßen investiert. Vielerorts aber verwaisen ganze Grätzl oder die Straßen bieten nur mehr Nahversorgung.
Eine Einkaufsstraße ist auch eine Straße mit ganz vielen Akteuren – schwer zu koordinieren, jeder hat seine eigenen Interessen: „Da gehört ein Haus der Bank, das andere der Oma“, sagt Richter. „Die Unterschiede reichen von Öffnungszeiten über Sommerpausen bis zu Weihnachtsbeleuchtung. Wenn Einkaufsstraßen Kunden wollen, müssen sie attraktiver werden.“ Aber wie?
„Der Kunde muss in der Einkaufsstraße als Gast verstanden werden."
Es muss menscheln
Zum Teil passiert das von ganz allein, meint Rainer Will. „Bei jedem Trend gibt es auch einen Gegentrend: Die Digitalisierung bringt auch eine Anonymisierung mit sich. Die Menschen sehnen sich plötzlich wieder nach einem sozialen Miteinander, man möchte beraten werden, sich austauschen.“
Das andere ist das Angebot, mit dem man als Straße lockt. Idealerweise ist das eine Mischung aus Parkflächen, guter öffentlicher Anbindung, Grünzonen, Gastronomie – diese wird immer wichtiger – und Möblierung der Einkaufsstraße. Große Ketten wechseln sich mit kleinen, individuellen Läden und Cafés ab. Besonders nett: Wenn man mit den Nachbarn die Öffnungszeiten abstimmt. „ Dann haben Kunden so viel wie möglich vom Besuch der Einkaufsstraße“, so Will.
Gemeinsam stärker
Ein Konzept, wie ein Einkaufszentrum also – nur im Freien. „Der Kunde muss in der Einkaufsstraße als Gast verstanden werden, eine gute Mischung aus den genannten Punkten führt auch zu einer längeren Aufenthaltsdauer – da werden auch die Warenkörbe voll“, sagt der Handelsverband-Chef. Und man muss als Einkaufsstraße ein Alleinstellungsmerkmal, eine eigene DNA kreieren. Das können Straßenfeste, Konzerte oder vielleicht auch gemeinsame Rabatt-Tage sein. Jedenfalls müsse man aktiv werden, so Will. „Nur im Kollektiv kommt man zu mehr Relevanz.“
Diese sechs Einkaufstraßen haben sich etwas Besonderes für ihre Kunden überlegt - sie erleben eine Renaissance.
Die Rotenturmstraße - Wiens nächste prominente Begegnungszone
Am Schwedenplatz bleibt leider alles beim Alten, aber die Rotenturmstraße, die Verbindung zwischen Donaukanal und Stephansplatz, wird zur nächsten Begegnungszone in Wien. Rund 400 Meter lang ist der Abschnitt, an dem gerade heftig gebaut wird. Entstehen soll eine Fahrspur in der Mitte, Parkstreifen links und rechts (für Taxis und Lieferanten) sowie davon abgesetzte Gehsteige, auf denen im Sommer Schanigärten platziert sind.
Innerhalb der nächsten Wochen wird die Fläche auf ein Niveau gehoben. Der gesamte Bereich wird – bis auf den vier Meter breiten Fahrstreifen in der Mitte – mit rund 6.000 Quadratmetern Granitplatten gepflastert. Parkplätze gibt es künftig keine mehr, dafür Schanigärten und viel Begegnungszone. Kosten: 11,1 Million Euro.
Für die Geschäfte in der Rotenturmstraße könnte das neue Konzept ein Vorteil werden: Gastronomie zieht Kundschaft an, Geschäfte wie Snipes (urbane, junge Mode), Marc O’Polo, Turek, die Juweliere, Drogerien, Handy- Läden, Bäckereien und Boutiquen werden davon profitieren. Und auch die täglich rund 40.000 Fußgänger werden die Verkehrsberuhigung wohl mögen. Die Begegnungszone soll noch vor dem Weihnachtsgeschäft fertig werden.
Die Lerchenfelder Straße - Eigene Initiative forciert eine lebendige Einkaufsstraße
Die Lerchenfelderstraße gehört trotz ihrer Größe und Länge zu jenen Straßen in Wien, in die sich vergleichsweise wenige Passanten verirren. Vielleicht liegt es an ihrer Verbindungsfunktion zwischen dem ersten Bezirk und dem Gürtel – sie ist stark befahren, auch eine Straßenbahn zischt alle paar Minuten durch. Dennoch steppt hier gefühlt der Bär: Alle paar Meter lädt ein Schanigarten zum Verweilen ein. Da wäre der Vietnamese „Nguyen’s Pho House“; das „Konoba“, ein dalmatinisches Fischbeisl; das deftige neue „Schlipf & Co.“ (Osttiroler Schlipf-Krapfen!); die urige „Hausmairs Gaststätte“ oder das „Goldfisch“, das mit reduziertem Design und bestem Fisch und Wein lockt. Zwischendrin der Hipster-Eissalon Schelato, am Ende das 25hours Hotel. Flankiert wird die Gastronomie hier von Nichtalltäglichem: alten Buch- und Möbelläden, Secondhand-, Elektronik- und Plattenshops und einem Gummistiefelshop. Mit der Initiative „Lebendige Lerchenfelder Straße“ versucht die Einkaufsmeile mehr Touristen aus der Innenstadt hierher zu ziehen. Jeden Freitag findet hier außerdem ein Bauernmarkt statt, das Grätzl lockt aber auch mit vielen Festen – so wie heute, ab 10 Uhr, mit dem „lerchenfeld fest schräg“.
Seestadt Aspern - Im Seeparkquartier entstehen 14 neue Geschäfte
Die Seestadt, Wiens aufstrebender Stadtteil, ist im Aufbau und ständigem Wandel. Der Handels- immobilienentwickler SES, der eigentlich auf Einkaufszentren spezialisiert ist, managt hier seit vier Jahren 14 Geschäfte. Nun sollen 14 weitere dazu kommen – insgesamt 3.500 Quadratmeter Fläche. Gemanagt heißt: SES kümmert sich als Generalmieter um die Auswahl der Shop- und Gastro-Angebote, kann Angebotslücken rasch schließen, verhandelt mit Handelsketten, administriert die Einkaufsstraße in puncto Öffnungszeiten, Festen oder Weihnachtsbeleuchtung. „Wir fragen uns: Was ist für den Menschen wichtig?“, sagt Marcus Wild, SES-Geschäftsführer. „Der Einzelhandel steht unter Druck, Filialkonzepte haben zugenommen. Einkaufsstraßen, die eine eigene Markenidentität entwickeln können, werden vom Kunden besser wahrgenommen“, so Wild. Städte bräuchten in Zukunft mehr Unterstützung beim Einführen von gemanagten Einkaufsstraßen durch Partner, die aus dem Handel kommen. „Um hier richtig aufgestellt zu sein.“
Währinger Straße - Das neue Konzept: grüner, ruhiger, hipper
Seit einem Jahr ist die Währinger Straße umgebaut. Neben futuristischen Möbeln bekam sie im Sommer 2018 zwischen Gürtel und Aumannplatz 14 neue Bäume, breitere Gehsteige und erhöhte Fahrbahnen an den Kreuzungen. Dafür mussten 13 von 217 Parkplätzen weichen. Es wäre nicht Wien, hätte man darüber nicht wochenlang heftig diskutiert. Heute ist die Währinger Straße im 18ten fußgängerfreundlicher, die Umbaukosten von 3,8 Millionen Euro haben sie zu einer Vorzeige-Vorstadt-Straße gemacht.
Das hat auch mit der Sogwirkung des Kutschkermarktes zu tun. Hier hat sich rund um Takan’s Fisch oder Hüseyin Tanis Kebab eine lässige Gastronomieszene entwickelt, Standln wie Pöhl & Mayr ziehen die qualitätssuchende Kundschaft an. Auch abseits des Marktes bietet die Straße ein buntes Spektrum an Geschäften, und kommt völlig ohne Konzernketten aus: Bäckereien und Delikatessen-Geschäfte, Kindergeschäfte (Mina und Lola, Augenstern), Konditoreien und Drogerien, Parfümerien Nägele & Strubell und Topsi, das Haushaltsgeschäft Binder-Schramm (seit 1919), Uptown Interiors, Gans Bettwaren, Papier- und Buchläden wie Hartliebs, Friseure und das Bart-Geschäft Hairbase, und sehr schöne Boutiquen wie Splendid oder das Wiener Papier und Kindermodengeschäft Herzilein.
Grüner, beruhigter, einladender: die Währinger Straße macht aus Kundensicht alles richtig.
Ein Blick in die Bundesländer
Eisenstadt - Kleine Einkaufsstraße mit viel Familiensinn
Klein und fein ist die Fußgängerzone in Burgenlands Hauptstadt. Im historischen Stadtkern mit seinen barocken Bürgerhäusern laden die Geschäfte zum Bummeln. Alles ist hier sehr persönlich. Wöchentlich findet hier ein großer Markt statt, saisonal gibt es immer wieder Veranstaltungen, die Frequenz und Stimmung bringen: etwa die Wein- und Genusstage im August oder der Weihnachtsmarkt im Dezember.
„Den liebe ich besonders, weil es regionale und ausgefallene Kleinigkeiten gibt – aber zum Glück keine Hektik und übertriebene Weihnachtsdramatik“, sagt Julia Müllner, die hier öfter herkommt. „Unsere Fußgängerzone hat Charme und eine große Anziehungskraft in der Region“, sagt Lisbeth Kröpfl vom Stadtmarketing Eisenstadt. Große Bäume und viele Bänke dominieren die Fußgängerzone und schaffen ein gutes Klima.
Der Geschäftemix ist gut: vom Handyshop bis zu Modegeschäften, Juwelieren und Boutiquen findet man hier vieles, auch Supermärkte und Drogeriemärkte, Bäckereien und viel Gastronomie sind zu finden. „Die Fußgängerzone ist besonders kinderfreundlich. Es gibt einen kleinen Spielplatz und viele Einkehrmöglichkeiten, die teilweise sogar Indoor-Spielplätze haben“, erzählt Müllner. Die Fußgängerzone nächst Schloss und Schlosspark sind das kleine, feine Gegenstück zur großen Einkaufswelt am Rand von Eisenstadt.
Wiener Neustadt - 300 Unternehmen in der Innenstadt
Die malerische Innenstadt in Wiener Neustadt hat gleich mehrere Einkaufsstraßen zum Flanieren, 300 Unternehmen arbeiten im Zentrum – das „mit Abstand größte Einkaufszentrum der Region“, sagt Judith Hönig, Obfrau des Unternehmervereins die Innenstadt. Da wäre die Wiener Straße, die vor knapp einem Jahr generalsaniert wurde – 3,2 Millionen Euro steckte die Stadt in die Fuß- gängerzone. Zu erwähnen ist auch die Fuzo Herzog-Leopold-Straße, die 2017 ebenfalls um drei Millionen rundum erneuert wurde. Für beide Zonen gilt: Sie sind breit, hell, modern gepflastert, das Facelift hat dem Stadtbild gutgetan.
„Die Gastro-Anteile sind in den vergangenen zehn Jahren mehr geworden“, sagt Thomas Iwanschitz, Pressesprecher des Bürgermeisters und der Statutarstadt Wiener Neustadt. Wenngleich viele Geschäfte leer stehen – ein Problem, dem man etwa mit Zwischennutzung als Galerie oder Pop-up-Store begegnet. Trotz der hohen Investitionen in die Einkaufsstraßen strauchelt der Einzelhandel nämlich. Das Abwandern des Kaufhauses Müller aus der Innenstadt in einen Einkaufstempel am Stadtrand hat das Zentrum getroffen. Die Straßen wirken daher mit Festen und Events entgegen. „Die Innenstädte sind unter Druck – das hat die verschiedensten Gründe“, so Iwanschitz. „Wir haben seit einem Jahr einen Beauftragten, der mit Expansionsmanagern größerer Ketten in Kontakt tritt, um sie anzuwerben und um das Abwandern in die Peripherie zu verhindern.“
Kommentare