Veraltet
Wie so oft lautet die Antwort: „Es kommt darauf an.“ Dirk Hartel, deutscher Autor des Buches „Consultant-Knigge“, fügt jedoch einen weiteren Aspekt hinzu: „Ich weiß nicht, ob wir weniger professionell oder bewusst lockerer sind. Es ist eine andere Form der Professionalität.“ So findet Hartel gewisse Etikette-Regeln der Job-Welt tatsächlich veraltet: „Die Definition hat sich im Laufe der letzten Jahre verschoben. Duz-Kulturen sind in vielen Unternehmen zum Beispiel Norm.“ Auch mit Tattoos, Piercings oder einem „flippigen Aussehen“ würde man in vielen Unternehmen nicht mehr auf schockierte Mienen treffen.
Diese Etikette bleibt
Für Sozialarbeiterin und Autorin Jaqueline Scheiber (besser bekannt unter dem Pseudonym Minusgold) ist mittlerweile sogar die Grußformel „Mit freundlichen Grüßen“ überholt: „Von ’Hochachtungsvoll’ ganz zu schweigen.“
Wobei sie bei gewissen Etikette-Regeln vorsichtig bleibt. Beim Händeschütteln und Siezen etwa: „Der Unterschied ist hier je nach Branche sehr groß. Im Werbebereich ist das Siezen nur mehr ein Relikt. Im Literatur- und Kunst-Bereich wäre es aber eine Übertretung jemanden zu Duzen“, sagt Scheiber.
Professionalität ist mehr
Sprache und Äußerliches müssen also je nach Kontext bewertet werden. Als Beispiel nennt Hartel Mitarbeitergespräche: „Über die Kleidung signalisiere ich, dass der Termin Relevanz hat und nicht wie jeder andere Tag ist.“
„Man könnte jetzt sagen, dass es Professionalität nicht mehr gibt. Dass das Thema Schnee von gestern ist. Aber so einfach ist es nicht“, bestätigt Hartel. Die Vorbereitung auf Meetings, das Einhalten von Terminen und aufmerksames Arbeiten seien Indikatoren, die auf Professionalität hinweisen: „Nur 80 Prozent beim Arbeiten zu geben, reicht nicht. Man bekommt 100 Prozent Gehalt, also sollte man auch 100 Prozent liefern.“
Diese Wertschätzung brauche es auch in der Umgangsform. So sollte man sich nicht zu sehr von Emotionen leiten lassen, vor allem, wenn man einen schlechten Tag hat: „Das heißt natürlich nicht, dass wir wie Roboter arbeiten sollen. Aber aus persönlichen Gründen schlecht gelaunt zur Arbeit zu kommen und entsprechend mit Kollegen und Kunden umzugehen, sehe ich als unprofessionell“, sagt Hartel.
Eine Abgrenzung
Besonders klar wird hier der eigentliche Grund für den bestehenden Wunsch nach Professionalität: Die Abgrenzung zwischen Beruf und Privatleben.
Zum Beispiel: Als Jaqueline Scheiber begonnen hat, sich online eine Reichweite aufzubauen und das noch nicht als potenziellen Beruf gesehen hat, waren Grenzsetzungen für sie nicht wirklich Thema, erzählt sie. Also teilte sie auch Einsichten in ihr Privatleben. Seitdem sich daraus aber ein Job entwickelt hat, verzichtet sie vermehrt darauf. „In dieser Hinsicht finde ich Etikette-Codes hilfreich. Sie geben einen Rahmen vor, an dem man sich orientieren kann“, sagt die Autorin. „Wenn ich an meine Zeiten als Berufsanfängerin zurückdenke, war es zum Beispiel eine große Hilfe, Formulierungsvorgaben zu haben. Das hat auch die professionelle Rolle gestärkt.“
Die Wichtigkeit dieser klaren Rollenverteilung bemerkte Scheiber besonders als Sozialarbeiterin: „Ich habe in einem sehr vulnerablen Bereich gearbeitet. Professionalität ist nicht nur das Einhalten von Distanz, sondern im besten Fall auch ein Zeichen von Sicherheit und Kompetenz.“
Keine Normen
Bevor man das Konzept der Professionalität also als veraltet abstempelt, gibt es einiges zu bedenken. Dennoch stehe ein Wandel bevor: „Die Ordnung, die wir in den letzten 60 Jahren für ’normal’ gehalten haben, gibt es langsam nicht mehr“, sagt Scheiber. „Und das ist auch gut so.“
Bei einem solchen Wandel sollte man laut Dirk Hartel jedoch „immer nur einen Schritt nach dem anderen machen und schauen, wie es beim Gegenüber ankommt“.
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