Warum es sich lohnt, unauthentisch im Job zu sein

Ein Mann, einmal im Anzug und einmal tätowiert mit Hut, steht mit verschränkten Armen vor grauem Hintergrund.
Gefühle zeigen war lange in der Arbeitswelt en vogue. Doch zu viel Authentizität kann auch Probleme schaffen.

Dem eigenen Wesen treu sein, sich nicht verbiegen, Emotionen zeigen – am Arbeitsplatz authentisch zu sein, klingt gut. Authentische Menschen, so liest man, sind glaubwürdiger, wirken selbstbewusster und kommunizieren aktiver. „Authentizität ist wichtig, das beginnt im Bewerbungsverfahren und zieht sich durch die gesamte Berufslaufbahn. Nur wer gemäß seiner eigenen Werte und Gefühle handelt, kann auch glaubhafte Entscheidungen treffen“, meint Katharina Wolf, Head of Corporate Human Resources Deloitte Österreich.

Und, so die HR-Expertin weiter: „Legt man das eigene Ich jedes Mal ab, sobald man das Büro betritt, hat das nachweislich negativen Einfluss auf die Zufriedenheit und das mentale Wellbeing.“ „Nachdem ich einen großen Teil meines Tages mit Arbeit verbringe, wäre es schlichtweg zu anstrengend, die gesamte Zeit eine „Maske“ aufzusetzen oder etwas darstellen zu wollen, was ich gar nicht bin“, sagt auch Sewan Mossessian-Takvorian, Leiterin der Marketing- und Kommunikationsabteilung des Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmens Mazars Austria.

Besser unauthentisch?

Doch so vorteilhaft Authentizität sein kann: Es gibt auch Situationen, in denen es professioneller ist, das eigene Ich samt seinen Überzeugungen und Zuständen zurückzuhalten. Ein zu breites Ausleben von falsch verstandener Authentizität am Arbeitsplatz kann sich nämlich auch negativ auswirken. Mossessian: „Ich kann durchaus echt sein, ohne jedem meine persönlichen Befindlichkeiten aufs Auge zudrücken. Keiner sollte etwa Angst haben, dass die Führungskraft mit schlechter Laune ins Büro kommt und das Arbeitsumfeld vergiftet. “

Damit trotz Authentizität Professionalität herrscht, gilt es, die richtige Balance zu finden: „Ich genieße es, dass wir im Team echt sind und miteinander offen sprechen können – auch über nicht berufliche Dinge. Aber alles mit Maß und Ziel“, so Mossessian-Takvorian. Problematisch findet sie – bei Führungskraft wie Mitarbeitenden – wenn man Authentizität mit Probleme-Mitnehmen verwechselt: „Meine Mitarbeiterinnen wissen, wer ich bin und wie ich bin – sie müssen sich jedoch nicht mit persönlichen Befindlichkeiten von mir aufhalten.“

„Professionalität und Authentizität schließen sich keinesfalls aus. Im Gegenteil: In den meisten Fällen komplementieren sie sich sogar. Problematisch kann es werden, wenn die Professionalität nicht gewahrt wird und persönliche Überzeugungen, wie etwa politische Sichtweisen, zu Provokationen oder Konflikten im Unternehmen führen“, meint auch Wolf. Von dem Ratschlag, eine Art berufliche Authentizität zu entwickeln, wenn es im Job gilt, in eine professionelle Rolle zu schlüpfen, hält sie eher wenig: „Ein gesundes Selbstwertgefühl und die Fähigkeit zur Selbstreflexion, sind für ein erfolgreiches Auftreten im Arbeitsumfeld eine wichtige Basis. Gespielte Authentizität ist dabei ein Widerspruch in sich. Verzichtet man jedoch darauf, Themen, wie etwa politische Überzeugungen, im Arbeitsumfeld preiszugeben, ist das durchaus eine legitime Entscheidung.“

Eine Rolle spielen

Mossessian-Takvorian sieht das Thema berufliche Authentizität anders: „Mal ehrlich, ich bin in meinem Leben doch so viel mehr als nur eine einzige Rolle. Ich bin Mutter, Freundin, Ehefrau, Chefin, Kollegin, Tochter, Schwester,“ erklärt sie. In jeder Rolle fühle und verhalte man sich ein wenig anders. Mossessian-Takvorian: „Daher ist für mich die Tatsache, dass wir ständig in andere Rollen schlüpfen, nicht negativ behaftet. Es schafft Orientierung für uns und unser Umfeld .“

Wie authentisch man am Arbeitsplatz sein sollte, hängt auch mit dem Faktor Alter zusammen. „Während die Generation X etwa gerne eine professionelle Distanz zu Chefin oder Chef wahrt, versteht die Generation Y eine Führungskraft oft als Mentorin oder Mentor und erwartet sich einen offenen Austausch“, weiß Wolf. Die Generation Z wiederum, so die HR-Expertin, ist mit Führungskräften gerne virtuell auf unterschiedlichen Plattformen verbunden, persönliche Begegnungen sind für sie weniger interessant.

„Die Generation, in der man aufwächst, prägt enorm“, stimmt Mossessian zu. Sie persönlich sei da oft in der Zwickmühle: „Ich gehöre zur Gen Y, habe meine Art zu führen von der Gen X gelernt, und führe Mitarbeiter der Gen Z. So finde ich mich oft als Vermittler zwischen den Welten wieder.“

Es in puncto Authentizität allen recht zu machen, ist nicht einfach: „Ich bin vermutlich offener und authentischer als ich es von meinen Führungskräften kenne, aber meinen Mitarbeiterinnen wiederum nicht genug.“

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