Warum ein Wiener Kultlokal nach 119 Jahren für immer schließt
Die ersten Stammgäste waren Kutscher, denn Gastgeber Leopold Amon I. liebte Pferde. Er baute ihnen nach Eröffnung seines Wirtshauses im Jahr 1904 eine Tränke und eine Hufschmiede. Später kamen die Straßenbahner, die in der Remise gleich ums Eck die 18er-Bim und den J-Wagen in die Endstation führten. Heute ist die Remise ein Museum, „Amon’s Gastwirtschaft“ aber ist geblieben.
Seit 119 Jahren bewirtet die Familie Amon ihre Gäste in der Schlachthausgasse 13 im dritten Wiener Bezirk. Fast so lange, wie das Haus steht. 1875 wurde es erbaut. Auf Holzstelzen, denn der Donaukanal war noch nicht reguliert. „Fast wie in Venedig“, erzählt Gastgeber Leopold Amon IV. Er und seine Frau Doris führen heute das Lokal in vierter Generation, Tochter Melanie ist bereits an Bord.
„Dieser Beruf ist für uns eine Berufung. Für uns alle, auch für unsere Vorfahren“, erzählt Doris Amon. 1990 heiratete die Hotelierin in die Familie ein. Ihr Schwiegervater, Leopold III., galt als der „beliebteste Wirt vom Dritten“ und lebte früher mit der gesamten Familie im ersten Stock. Auch Leopold IV. ist mit seiner Schwester noch über dem Wirtshaus aufgewachsen. „Das war damals so“, blickt er zurück. „Das Leben hat im Wirtshaus stattgefunden.“ Und nicht nur das der Inhaber, sondern auch jenes der Gäste.
Das Schwarz-Weiß-Fernsehen hielt nur zwei Sender bereit, am Wochenende wurde im Lokal „frühgeshoppt“. „Es wurde geschnapst, es gab Sauohren und Sauschwanzerl und unsere Köchin, die die besten gebackenen Fleischlaberl gemacht hat, hat sonntags ein ganzes Blech serviert mit Erdäpfelsalat dazu“, berichtet Leopold IV. mit funkelnden Augen. „Die Leute haben getrunken, gegessen und das war ihr Wohnzimmer.“
An der Stehschank versammelten sich täglich vierzig Personen, um sich auszutauschen und ihre Vierterl zu trinken. Im Sommer, wenn die Menschen nach einem sonnigen Tag im Stadionbad in das Gasthaus im Dritten pilgerten, wurden sie von Quetschnspielern und Brezelbuam in Empfang genommen. Dass sich der Zeitgeist im Laufe der Jahre änderte, hielt die Gastgeber-Familie nicht auf. Stets investierte sie, steckte viel Liebe in das alte Haus, richtete ihre Räumlichkeiten auf die Bedürfnisse der Gäste aus. Aus der Kegelbahn wurde ein Kinderspielraum, aus dem Eingangsbereich die „Austeria“, wo auf Hochtischen ein schnelles Achterl getrunken wird.
Die vierte und fünfte Gastgeber-Generation: Doris, Leopold IV. und Melanie Amon (von links)
Die größte Herausforderung war bestimmt die Pandemie erzählt die Familie. Doch sie hat die Zeit gut genutzt und ihre Familiengeschichte der Gastgeber-Dynastie in einem Buch festgehalten
Auch jetzt wäre es wieder an der Zeit für einen neuen Anstrich gewesen. Melanie Amon holte sich zu Beginn des Jahres eine Vielzahl an Professionisten ein. Das Ergebnis ließ sie zunächst sprachlos zurück. Die notwendigen Renovierungsarbeiten rechnen sich nicht mehr. Es ist ein „Fass ohne Boden“, stellt die Familie fest. Im Juni wurden die Gäste informiert. „Amon’s Gastwirtschaft“ in der Schlachthausgasse wird nach 119 Jahren heute, am 15. Juli 2023, schließen.
Die Mitarbeiter wussten schon davor Bescheid. „Alle, das geschlossene Team, geht bis zum letzten Tag mit uns mit“, sagt Doris Amon gerührt. Man ist zu einer Familie zusammengewachsen. Der Dienstälteste ist seit 26 Jahren hier. Küchenchef und Sous-Chef haben als Lehrlinge im Amon begonnen. Doch wenn es bei Gewitter wieder an fünf Stellen ins Lokal regnet, hat auch das Team Verständnis, dass es an der Zeit ist, eine neue Heimstätte zu finden.
Amon's Gastwirtschaft heute
"Amon's Gastwirtschaft" in der Schlachthausgasse hat Tradition. Stammgäste verabschieden sich nur schwer von ihrer Lieblingsadresse
Amon's Gastwirtschaft damals
Eröffnet wurde das Lokal 1904 von Leopold Amon I. (im Bild mit Gästen und einem Kellner)
Amon's Gastwirtschaft damals
Im Gastgarten versammelten sich früher Gäste des Stadionbads, um bei Quetschnmusik den Abend feuchtfröhlich ausklingen zu lassen
Amon's Gastwirtschaft heute
Das Restaurant wurde regelmäßig renoviert - im Eingangsbereich entstand die sogenannte "Austeria"
Amon's Gastwirtschaft damals
Auch der Innenraum wurde großzügig umgestaltet und immer den Bedürfnissen der Kundschaft angepasst
Amon's Gastwirtschaft heute
Heute speist man in lichtdurchfluteten Räumen, gleich nebenan befindet sich der verkleinerte Gastgarten
Die Stammgäste kommen in Scharen, um sich von der Familie, ihren Lieblingskellnern und Leibgerichten zu verabschieden. „Wir gehen erhobenen Hauptes“, sagt Doris Amon stolz. Erinnerungen wie Kindergeburtstage und Hochzeiten, die hier groß gefeiert wurden, bleiben ohnehin. Und nach einer neuen Adresse – vorzugsweise im Dritten – wird bereits gesucht.
„Das richtige Mäntelchen ist noch nicht gefunden“, sagt Melanie Amon, die künftig die Leitung übernehmen wird. „Aber wir werden so viel wie möglich mitnehmen.“ Die Amon-Manier, das Gemütliche, die gute Küche und natürlich der Name werden bleiben, sagt Melanie Amon. „Daran wird man uns erkennen.“
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