Von Konsum bis Salamander: Warum es schmerzt, wenn Marken verschwinden
Ein dickes Blatt Extrawurst geht über die Feinkost-Theke. Ausgehändigt von einer Mitarbeiterin der Einzelhandelskette Konsum. Die Autorin dieses Artikels nimmt es – damals – freudig entgegen. Die geschenkte Delikatesse ist immer der Höhepunkt des Einkaufs, den sie gemeinsam mit der Großmutter am Filial-Standort Ruthnergasse in 1210 Wien erledigt. Bis 1995, dann schlittert Konsum mit rund 1,9 Milliarden Euro Schulden in die Insolvenz. Es ist die größte Pleite der österreichischen Geschichte, wenn es nach Dienstnehmern geht. 22.000 Personen sind betroffen, auch die freundliche Feinkost-Mitarbeiterin.
Den Filial-Standort des „roten Riesen“ übernimmt zunächst Zielpunkt. 2016 verschwindet auch diese Marke aus Österreich, wird einmal kurz von neuen Eigentümern in Wien-Brigittenau wiederbelebt, und dann, 2017, für immer geschlossen.
Eine Art von Trauer
Die Lücke, die „der Konsum“ bei der Autorin hinterließ, konnte der Nachfolger nicht mehr schließen. „Es ist eine Art von Trauer“, erklärt Marketing- und Kommunikationspsychologe Josef Sawetz. Verschwindet eine Marke, schlägt das auf einen bestimmten Bereich unseres Gehirns: das Schmerzzentrum.
„Etwas, das mir sehr nahe war, ist weggebrochen. Damit ist auch ein Teil meiner Geschichte und Identität verloren gegangen. Es wird einem vor Augen geführt, wie vergänglich alles ist.“ Außerdem müsse der Mensch „umparken“, seine Routine aufgeben. „Das ist ein Aufwand und ein gewisses Risiko“, erklärt Sawetz. Ein Risiko, das der Mensch mit zunehmendem Alter nur selten freiwillig in Kauf nimmt. Und doch kommt man aktuell nicht daran vorbei.
1995: Konsum
Der „rote Riese“ Konsum schlittert in die Pleite. 22.000 Dienstnehmer verlieren ihre Jobs
2012: Schlecker
Der Niedergang des Drogerie-Imperiums Schlecker schlug große Wogen. 2022 gab es Neustart-Gerüchte
2013: Niedermeyer
Als „wenig überraschend“ beschrieb der Niedermeyer-Chef die Pleite des eigenen Elektrokonzerns
2017: Zielpunkt
Neue Betreiber versuchten Zielpunkt nach der Pleite im Jahr 2016 am Leben zu halten. Und scheiterten
2020: Saturn
Geiz war doch nicht so geil. Saturn fusionierte mit Media Markt aufgrund der geänderten Marktsituation
2023: Salamander
Noch prägt die Marke Salamander Wiens Stadtbild, hier auf der Mariahilfer Straße. Nach 54 Jahren folgt jetzt das bittere Aus
Ein Viertel mehr Firmeninsolvenzen gab es laut Statistik Austria im ersten Quartal 2023. Auf Unternehmen, die während der Pandemie künstlich am Leben gehalten wurden, sei das nicht ausschließlich zurückzuführen, erklärt Wifo-Ökonom Marcus Scheiblecker. „Wir sind in einer Rezession und da steigt die Zahl der Insolvenzen. Ist unsere Prognose richtig, kommt es nächstes Jahr zu einer Entspannung und die Pleiten sollten zurückgehen.“
(Un)rühmlicher Abgang
„Sale“ schreit es indessen von den Schaufenstern der Salamander- und Delka-Filialen. Der endgültige Räumungsverkauf in Österreich hat gestartet. Die Betroffenheit ist da, der Rückzug aber nicht unerwartet. Die Schuhbranche leidet – an Umsatzeinbußen und den Nachwehen eines Strukturwandels, den Marcus Scheiblecker nicht zwingend als negativ betrachtet. „Ein normaler Strukturwandel ist zu begrüßen, so bedauernswert er auch für die Beschäftigten ist“, erklärt der Ökonom.
Außerdem gibt es noch weit unrühmlichere Abgänge von Marken, die einst Österreichs Stadtbild prägten. Vorne mit dabei: die burgenländische Commerzialbank Mattersburg, die 2020 nach einer Zwangsschließung mit 800 Millionen Euro zum drittgrößten Insolvenzfall wurde. Und deren unschlüssige Bilanzen bis heute die WKStA beschäftigen.
Den guten Ruf büßt man nicht nur bei strafrechtlichen Vergehen ein, erklärt Karl-Heinz Götze, Insolvenz-Leiter des Kreditschutzverbands KSV 1870: „Unrühmlich wird es dann, wenn es unerwartet ist. Wenn es rasch geht, dass Angestellte ihren Arbeitsplatz verlieren und die Schulden hoch sind.“ Noch unrühmlicher wird es, wenn die Politik zuvor intervenierte, jemanden als Retter darstellte, der womöglich nie vorhatte, die Marke am Leben zu halten, sagt Scheiblecker. „Das entzündet den meisten Zorn.“
Besser sei es, bei Anzeichen einer Insolvenz sofort erste Schritte einzuleiten. „Das Positive an unserem Insolvenzrecht ist, dass es Sanierungen möglich macht“, sagt Karl-Heinz Götze. Wie sehr, zeigt sich (wiederholt) am Fall Forstinger. Eine Marke, die zum dritten Mal tot geglaubt ist und sich durch erneute Reduktion des Filialnetzes über Wasser halten will. Wenn auch das Feld der Wiederholungstäter hierzulande ein einsames ist: gerade einmal sechs Prozent gehen mehr als einmal insolvent, erhebt der KSV.
Sag beim Abschied ...
An vielen Beispielen – Kleiderbauer, Libro, Vapiano – zeigt sich immerhin, dass nicht jede Pleite auch das Aus einer Marke bedeuten muss. „Es ist oft so, dass Marken zusammengelegt oder aufgekauft werden. Sie verschwinden nicht, aber die Eigentümer wechseln“, erklärt Marcus Scheiblecker. „Man versucht oft, wenn eine Marke eine gewisse Reputation hat, diese aufzukaufen und am Markt zu belassen.“
Ganz abgesehen davon: Nicht hinter allen schmerzlichen Abschieden lauern bittere Pleiten. Bewusst wird uns das, wenn wir durch die Regale des Billa Plus streifen und daran denken, wie sie uns vor zwei Jahren noch türkis entgegen leuchteten. Oder wenn wir die 0676 wählen. Einen Telefon-Anbieter, der sich heute Magenta nennt, zwischenzeitlich T-Mobile war, und in den 1990ern als max.mobil an den Start ging.
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