Unis: Die Ankunft der Anders-Gleichen
Bereits 2006 titelte Der Spiegel "NC-Flucht. Deutsche Studenten überrennen Ösi-Unis". Damals war das Studieninteresse aus dem Nachbarland aber noch relativ zurückhaltend. Diesen Herbst dürften laut dem deutschen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) statt zuletzt 7000 deutschen Studienanfängern 10.000 gen Österreich aufbrechen. Aktuell gibt es rund 24.000 deutsche Studenten in Österreich, Schätzungen des CHE zufolge könnte der Anteil der Deutschen an österreichischen Unis heuer um bis zu 50 Prozent steigen. Grund dafür ist der doppelte Abiturjahrgang in Bayern und Niedersachsen und der Wegfall der Wehrpflicht.
Besonders betroffen sind aufgrund ihrer geografischen Lage die Unis im Westen: An der Uni Salzburg kommen beispielsweise rund 75 Prozent der Voranmeldungen für Psychologie aus dem Nachbarland. Vizerektor Rudolf Mosler betont aber, dass in Zeiten des europäischen Hochschulraumes internationale Studierende stets willkommen seien, natürlich auch die Deutschen. Gleiches gilt für die
Uni Wien, die jedoch weit weniger im Fokus deutscher Studienanfänger liegt: Von 29.000 Anträgen auf neue Studien kommt etwa ein Fünftel (2010: 13%) aus Deutschland. An der Wirtschaftsuni haben sich die Voranmeldungen für Bachelorstudien aus der Bundesrepublik auf rund 16 Prozent verdoppelt.
Insgesamt steigt das Studieninteresse. Und das könnte aufgrund des Ressourcenmangels der Unis zum Problem werden. Das meint auch Daniel, 26, der an der Uni Wien Internationale Entwicklung studiert und in Deutschland aufgewachsen ist: "Das eigentliche Problem ist die chronische Unterfinanzierung der Unis. ,Die Deutschen` werden erst durch politische Propaganda zum Problem gemacht."
Wie stehen die österreichischen Studenten der geballten Ladung nachbarschaftlichen Austauschs gegenüber? Bei einem Lokalaugenschein an der WU und der Uni Wien ist nicht spürbar, dass sie Probleme mit dem in den Medien immer wieder propagierten
Zustrom der Deutschen hätten: Im Innenhof der WU genießt ein wissenschaftlicher Mitarbeiter seine Zigarette in der Mittagssonne. Er kommt aus
Bayern, seine Sitznachbarin ist Österreicherin. Gelebte Völkerverständigung.
Auch die deutsche Lehramtsstudentin Miri, 25, die vor der Hauptuni steht, erzählt, dass sie von Ressentiments gegen deutsche Kommilitonen zwar schon gehört habe, aber noch nie selbst davon betroffen gewesen sei. Der 22-jährige Jus-Student Sasan ist Österreicher und befürwortet die Möglichkeit zum Studium im EU-Ausland: "So entkommen die Deutschen der Zwangsjacke des Numerus clausus. Andererseits verstehe ich aber auch die Wut mancher Studenten, die sich aber nicht gegen die Deutschen, sondern gegen die Regierung richten sollte, die die Unis aushungert."
Darf man also den Aussagen der Studierenden glauben, so ist der europäische Gedanke von Austausch und Brüderlichkeit weit verbreitet. Mit Kommilitonen, die sich in bundesdeutschem Idiom unterhalten und in der Mensa Apfelschorle ordern, dürften sich die meisten längst arrangiert haben.
Katharina Gschwendner, 25, Übersetzen und Dolmetschen, aus Österreich: "Zwischenmenschlich habe ich überhaupt keine Probleme mit Deutschen. Für mich zählen Menschen, nicht Nationalitäten. Und da bin ich sicher nicht die große Ausnahme." Sie könne aber verstehen, dass der Ansturm der Deutschen für manche ein Problem sein könne, vor allem dann, wenn man im Deutschen nur den Studienplatzräuber sehe.
Johannes Bauer, 20, Publizistik, aus Österreich: "Ich habe gerade erst an der Uni Wien inskribiert und kann daher die Lage hier noch nicht richtig einschätzen." Davor habe er in Graz studiert. Er könne sich aber nicht vorstellen, dass er jetzt in Wien einen Hass auf deutsche Kommilitonen entwickeln werde. "Wenn ich Medizin studieren würde, hätte ich wohl eher ein Problem mit den Deutschen. So bin ich aber nicht wirklich betroffen."
Marisa Delgado, 27, Internationale Entwicklung, aus Deutschland: "Ich habe viele österreichische Freunde, auch mein Mann ist Österreicher." Ihre Erfahrungen seien überwiegend positiv, sie sei aber aufgrund ihrer Nationalität auch schon auf Ablehnung gestoßen: "Allerdings weniger an der Uni. Es sind vielmehr ältere Menschen, die mich als ,Piefke` beschimpft haben. Es ist schade, wenn man aufgrund der Sprache stigmatisiert wird."
Christopher Neuberger, 25, Transkulturelle Kommunikation, aus Deutschland: "Ich hatte Zusagen aus Leipzig und Mainz, habe mich aber für Wien entschieden, weil ich die Stadt schon immer mochte und es eine Weltstadt ist, die wichtige internationale Organisationen beherbergt." Nun hat er sein Studium abgeschlossen. "Ich war nie mit Vorurteilen konfrontiert. Immerhin bin ich aus Bayern", lacht Christopher. "Da sind die Unterschiede nicht so groß."
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