Kein Geld, keine Werte: Wo Firmen jetzt sparen

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Zählt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nur noch die Bilanz? Und welche Themen sind „Kirschen auf der Torte“?

Ganz oben steht die Unsicherheit, antwortet Zukunftsforscher und Arbeitsexperte Franz Kühmayer auf die Frage, wo aktuell die Prioritäten von Unternehmen liegen. „Wir erleben das Paradoxon, dass mehr als die Hälfte der österreichischen Betriebe unter Personalmangel leidet – aber gleichzeitig rund 70 Prozent nicht alle offenen Stellen besetzen“, erklärt er. „Das zeigt: Wir haben kein reines Personalproblem, sondern ein Zuversichtsproblem.“ 

Der Grund für diese verunsicherte Einstellung liegt auf der Hand: Kostenexplosionen, Strukturwandel, neue Technologien, geopolitische Krisen und schwaches Wirtschaftswachstum sorgen dafür, dass Firmen sich nur zögerlich vortasten, sparen und kürzen, wo es geht.

Dieses Verhalten zeigt sich auch in der strategischen Ausrichtung vieler Betriebe. „Der Fokus auf Diversität und Nachhaltigkeit hat stark abgenommen, das ist nicht zu leugnen“, bestätigt Gunther Reimoser, Country Manager des Unternehmensberaters EY Austria. „Vor drei Jahren war Nachhaltigkeit bei vielen Firmen ganz oben auf der Liste.“ Heute schafft sie es oft nicht einmal mehr unter die Top drei. 

Das überrascht nicht: Diese Themen würden Zeit, Geld und Personal kosten – Ressourcen, die in wirtschaftlich angespannten Zeiten knapp sind, erklären die Experten.

Was also bleibt von Diversität, Familienfreundlichkeit, Inklusion, sozialem Engagement, Klimaschutz und Gleichstellung – kurz: jenen Themen, die vor wenigen Jahren noch als unverzichtbar galten? Werden sie als Sparmaßnahme gekürzt? Hintangestellt? Komplett gestrichen?

Welche Themen jetzt liegen bleiben

Gunther Reimoser lenkt hier wieder ein: Die Prioritäten hätten sich zwar verschoben, aber nicht so, wie man annehmen würde. „Wenn man genauer hinsieht, zeigt sich, dass viele Entscheidungen weiterhin im Zeichen der Nachhaltigkeit getroffen werden“, sagt er. „Es gibt kein Unternehmen, das wir beraten, das diesen Gedanken völlig ausblendet.“ Nachhaltigkeit bleibt also eine wesentliche Säule der meisten Geschäftsmodelle. Auch die Nachfrage im Beratungsbereich ist hier stabil geblieben.

Wovon man sich abwendet, ist die Überbürokratie, so der EY-CEO. „Überbordende Regulatorik und zu strenge Vorgaben sind ineffizient. Auf diesem Weg werden Ziele nur zu einem sehr hohen Preis erreicht.“ Wenn diese Vorschriften wegfallen, entstehen wieder Spielräume – Ressourcen und Energie, die in Projekte fließen können, die tatsächlich etwas bewegen, ist er sicher. Dementsprechend sieht er auch keine Rückschritte bei sozialen Themen.

Genauere Einblicke hat jedoch Astrid Weinwurm-Wilhelm. Als Präsidentin der Queer Business Women* sowie Vizepräsidentin von Pride Biz Austria setzt sie sich ehrenamtlich für die Sichtbarkeit von LGBTIQ+-Personen im Arbeitsleben ein. Erst vergangene Woche präsentierte sie dazu eine neue Studie – mit einem auf den ersten Blick erfreulichen Ergebnis: „Diversität ist nach wie vor sehr wichtig für Unternehmen. Sechs von zehn bekennen sich zur Vielfalt ihrer Belegschaft“, berichtet Weinwurm-Wilhelm. 

Gräbt man tiefer, stößt man jedoch auf Zement: Nur 38 Prozent setzen aktiv Maßnahmen für mehr LGBTIQ+-Diversität. „Man findet Regenbogenfahnen im Pride-Monat Juni, aber in den Richtlinien, im Recruiting, in den Führungsetagen und in der strukturellen Verankerung bleiben sie oft unsichtbar.“ Begründet wird das (wie so oft) mit fehlenden Ressourcen, Wissen und Zeit.

Trotzdem bleibt Weinwurm-Wilhelm optimistisch und bezieht sich auf eine Umfrage. Die wenigsten Firmen würden sich demnach von der wirtschaftlichen Situation und polternden Stimmen aus den USA beeindrucken lassen – sie machen weiter. „Diversity-Management ist etabliert und lässt sich nicht einfach wegwischen“, ist sie überzeugt. „Gründe, Diversität nicht weiter auszubauen, wirken auf mich wie eine Ausrede.“ Unterstützung und erste Richtlinien gäbe es immerhin genug.

„Es ist fatal sich dem Thema erst zu widmen, wenn es wirtschaftlich bergauf geht. Das ist viel zu spät. Die potenziellen neuen Arbeitnehmenden sind dann schon verloren.“ Vor allem junge Menschen hätten andere Ansprüche und sehen Wertschätzung sowie Diversität als selbstverständlich. Deshalb betont Weinwurm-Wilhelm: „Vielfalt ist kein Risiko, sondern Kapital.“

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Worauf Unternehmen setzen sollten 

Laut Franz Kühmayer steht Wirtschaftlichkeit immer im Zentrum. Deswegen würden Diversität und Nachhaltigkeit in „harten Zeiten“ vermeintlich in den Hintergrund treten. Entscheidend sei, ob der Erfolg kurzfristig oder langfristig gedacht ist: Kurzfristige Verbesserungen wirken zwar verlockend, so der Zukunftsforscher, aber sie gehen auf Kosten langfristiger Chancen. 

Gerade konservativ denkende Führungskräfte, die mit „soften“ Themen nichts anfangen können, würden wirtschaftlich herausfordernde Zeiten zum Anlass nehmen, um sie von der Agenda zu streichen – oder „als Zierleiste zu brandmarken, die man sich eben aktuell nicht leisten kann.“ Klar sei für Kühmayer jedoch, dass man sich aus einer Krise nicht „heraussparen“ kann.

„Wirklich erfolgreiche Unternehmen setzen gerade jetzt auf Inklusion und Umwelt“, sagt er. Und ihre Motivation sei dabei eben nicht nur idealistischer, sondern wirtschaftlicher Natur: „Heute müssen alle Themen ihren wirtschaftlichen Nutzen knallhart belegen – Bauchgefühl, moralisches Selbstverständnis oder Weltverbesserungsdenken reichen nicht mehr“, so Kühmayer. Die Vorteile „softer“ Themen sind vielfach belegt: Wer Diversität lebt, hat Zugang zu einem größeren Talentepool, ist am Arbeitsmarkt besser positioniert und schafft resilientere Teams; wer Nachhaltigkeit ernst nimmt, senkt wiederum seine Energiekosten, bringt innovative Produkte auf den Markt und „sichert sich Märkte von morgen“, zählt er auf.

Wenn der Nutzen unklar bleibt, schrumpft das Budget: „Orchideenthemen, die nur auf das Image und nicht auf echte Wirkung ausgerichtet waren, werden hintangestellt. Es ist ein Moment der Wahrheit, und das muss ja nicht unbedingt etwas Schlechtes sein.“ 

Umso wichtiger ist es seiner Meinung nach, dass Strategien und Aktivitäten der HR in einen wirtschaftlichen Kontext gesetzt werden und ihre Wirkung mit Fakten belegt werden können. „Man sollte nicht mehr nur über Kultur und Zufriedenheit sprechen, sondern über Produktivität, Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit. Wer HR strategisch denkt, erkennt, dass Themen wie Employer Branding oder Qualifizierung keine Nebenschauplätze sind, sondern die Basis wirtschaftlicher Resilienz“, betont er.

Ob Klimaschutz, Diversität, Familienfreundlichkeit und Inklusion mehr als bloß Kirschen auf der Business-Torte sind, ist somit geklärt: „Wer nur auf die Kirsche oder die schöne Glasur achtet, aber am Ende ohne Substanz dasteht, hat auch keine Torte gebacken“, so Kühmayer.

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