Überlebenskampf der Gastro: Wenn der Koch aufs Fahrrad steigt

Überlebenskampf der Gastro: Wenn der Koch aufs Fahrrad steigt
Erneut muss die Gastro schließen, Umsatz-Ersatz und Gassenverkauf sowie Lieferservices sollen den Lockdown abfedern. Aber wie sieht das praktisch aus und was hilft wirklich?

Diese letzte Nacht vor dem November-Lockdown haben sich die Wiener Gäste in den Restaurants, Bars und Kaffeehäusern sicherlich anders vorgestellt. Die Schanigärten und Gasträume der Wiener Lokale sind an diesem Abend besonders voll.

Viele hatten den Wunsch, noch einmal auswärts zu essen, an diesem besonders lauen Novemberabend noch einmal nach 20 Uhr draußen zu sein. Denn ab Mitternacht galt der Lockdown, inklusive Schließung aller Gastronomiebetriebe und nächtlicher Ausgangssperren von 20 bis 6 Früh.

Neun Minuten Hass

Um etwa 20 Uhr eröffnete ein terroristischer Attentäter das Feuer und schoss wahllos auf Zivilisten in und vor den Gastgärten der Wiener Innenstadt. Fünf Todesopfer, darunter der Täter und etliche Verletzte sind das Ergebnis von neun Minuten Hass. Unzählige Gäste verbrachten die Nacht verbarrikadiert in den Kellern, Hinter- und Gasträumen der Lokale.

Auch im Restaurant "Fromme Helene“ in der Josefstädterstraße 15, im achten Wiener Bezirk, übernachteten Gäste und Personal gemeinsam. Die Sorge des Eigentümers vor einer wirtschaftlichen Misere wurden in diesen Stunden überschattet – aber nicht vergessen. Eigentlich sollte am Morgen des 3. Novembers das Team, wie jede Woche, einen Coronatest machen – das Testteam aber hat ihren Besuch an jenem Morgen abgesagt.

"Wir werden durcharbeiten"

Das Team wird in den nächsten Wochen trotz Schließung weiter getestet, denn die "Fromme Helene“ wird ihre Küche nicht stilllegen – zumindest nicht gänzlich. Alle Mitarbeiter sollen behalten werden, berichtet der Besitzer des Traditionslokal Michael Vogel im KURIER-Gespräch.

"Wir werden durcharbeiten. Wir versuchen das jetzt und werden weiter kochen und Essen zustellen“, erklärt Vogel seine Strategie. "Ich bin meinen Stammgästen und älteren Damen sehr dankbar, die jetzt schon Essen vorbestellen.“ Die Speisen aus der "Frommen Helene“ werden von einem Koch und einem Kellner auf zwei Fahrrädern innerhalb des achten Bezirks zugestellt.

Vogel versucht, allen Mitarbeitern eine Aufgabe zu geben. "Wir sind im September rückwirkend aus der Kurzarbeit rausgegangen. Meine Mitarbeiter und ich brauchen die Arbeit für unser Seelenleben. Ich will alle halten. Das sind Menschen mit Handschlagqualität“, erklärt Vogel.

Natürlich habe das Restaurant Geld verloren – schon im ersten Lockdown und man warte auch noch immer auf den längst bewilligten Fixkostenzuschuss, so Vogel. Im August und September war er hoffnungsvoll, doch dann brachen die Kulturstätten weg.

Österreich, das süßliches Operettenland

"Wir picken am Theater an der Josefstadt, am Burgtheater und am englischen Theater“, sagt Vogel. "Österreich ist im süßlichen Sinne ein Operettenland. Da gehören die Hotels, Restaurants und das internationale Publikum dazu.“ Die deutsche Reisewarnung für Österreich setzte einen weiteren schmerzhaften Stich und dann noch der Lockdown. "Die jetzige Situation geht an die Substanz.“

Regierung kündigt Unterstützung an

Am vergangenen Samstag kündigte die Regierung einen 80-prozentigen Umsatz-Ersatz sowie eine null-prozentige Kurzarbeit für betroffene Betriebe an. Laut WKO würden Umsätze von Liefer- und Abholservice nicht gegengerechnet. Allerdings fehlen Gastronomen immer noch endgültige Infos. Darunter leidet auch Viola Bachmayr-Heyda, die vor zwei Jahren das "Café Viola“ in der Strozzigasse 42 im achten Bezirk eröffnet hat.

Das kleine Café liegt nur ein paar Gehminuten vom Restaurant „Fromme Helene“ entfernt und ist in der Umgebung für seine hausgemachten Kuchen und Torten bekannt. „Die Situation ist jetzt schon bedrohlicher als im Frühjahr“, sagt Bachmayr-Heyda im KURIER-Gespräch. "Wir hatten vergangenes Jahr zwar einen starken Herbst und Winter aber dann kam der Lockdown. Die Sommerzeit ist keine starke Kuchenzeit – wenn ich jetzt keinen Gewinn mache, geht es sich nicht aus“, erklärt die Pâtissière.

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Natürlich wird man, wie schon im ersten Lockdown, den Gassenverkauf nutzen aber „auch meine Gäste sind in Kurzarbeit. Auch sie haben gerade andere Sorgen als Kuchen zu kaufen.“ Bachmayr-Heyda wird mit ihrer Lehrlingskraft weiterarbeiten. Andere Mitarbeiter aber in Kurzarbeit schicken müssen und in der Strozzigasse nur donnerstags und freitags von 13 bis 17 Uhr den Gassenverkauf öffnen. Sie ist froh, dass sie anstatt eines Winterschanigartens in ein Pop-up-Kuchenverkaufsgeschäft in der Schleifmühlgasse gesetzt hat.

Die Zukunft ist ungewiss.

Wenn die Hilfe nicht schnell kommt, dauere es nicht mehr lange, bis Bachmayr-Heyda Schulden machen wird. "Wenn ich in guten Zeiten schlechtes Geschäft mache, was erwartet mich dann in Schlechten?“, fragt sich die Gastronomin.

Auch für das "Paul und Vitos“ kam der Lockdown zu einem schlechten Zeitpunkt. Das Restaurant am Petersplatz in der Innenstadt hat erst am 8. Oktober eröffnet. Der Besitzer Christian Wukonigg, betreibt auch das „1010“ und das "Café Engländer“ in der Innenstadt. Insgesamt beschäftigt er 45 Mitarbeiter. Was nun mit ihnen passiert, weiß Wukonigg noch nicht. "Wir haben keine Ahnung, wie es weitergeht.“ Auch ob man in den Betrieben einen Liefer- oder Abholservice einrichten werde, ist offen.

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Wukonigg: "Ich weiß nicht, ob ich meine Mitarbeiter kündigen muss, sie in Kurzarbeit schicke oder weiter beschäftige. Man sagt uns Tage nach der Pressekonferenz immer noch nichts.“ Einen zweiten Lockdown würde der Großgastronom finanziell nicht überleben. Eine schnelle und unbürokratische Hilfe wäre für alle ein Rettungsanker, so richtig daran glauben, wollen sie aber nicht.

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