Studierende gegen das Hörsaal-Monopol

WU-Rebellen: Benedikt Göhmann und Franziska Disslbacher haben die "Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien" gegründet
WU-Studierende fordern mehr Ökonomie-Theorien in der Lehre – und stoßen auf Widerstand.

In unserem Studium stimmt etwas nicht." Das dachten sich die Mitglieder des internationalen Studentennetzwerkes "ISIPE". Sie veröffentlichten am 5. Mai ein Manifest, in dem sie Pluralismus in der Ökonomie-Lehre fordern. Aus Österreich ist die "Gesellschaft für Plurale Ökonomik Wien" beteiligt – 15 Studierende der WU treffen einander seither während des Semesters jede Woche, um an der "Revolution" der Lehre zu arbeiten. Ihre Facebook-Seite bekam in den ersten drei Tagen 590 Likes – fast alle von WU-Studierenden. Im Interview mit dem KURIER erzählen Franziska Disslbacher und Benedikt Göhmann, beide Gründungsmitglieder der Wiener Gruppe, was sich seit der Veröffentlichung des Manifests getan hat.

KURIER: Was wollt ihr mit eurer Gruppe erreichen?

Franziska Disslbacher: Wir wollen, dass sich die Volkswirtschafts-Lehre an den Unis verändert. Wir wollen, dass die Leute sehen, dass es nicht nur die neoklassische Theorie gibt, sondern auch andere.

Benedikt Göhmann: Es soll die Vielzahl der Theorien, die es gibt, auch gelehrt werden.

Welche sind das?

Disslbacher: Da gibt es sehr viele, etwa die post-keynesianistische, die feministische, die marxistische oder die institutionelle Theorie.

Wie erfolgte der Aufbau des weltweiten Netzwerkes?

Disslbacher: Die Organisation erfolgte über Internetplattformen. Ein erstes reales Treffen aller beteiligten Gruppen aus der ganzen Welt findet im September in Tübingen statt.

Sind die Professoren bereit, mehrere Theorien zu unterrichten?

Disslbacher: Nicht alle. Die älteren Professoren haben mehr Verständnis für unsere Forderungen als die jüngeren. Letztere kennen nämlich meist nur mehr die neoklassische Theorie. Manche sind uns sehr dankbar für unser Manifest. Andere verteufeln uns und stempeln uns als "linkslinken" Haufen ab. Die Leiterin des VWL-Instituts etwa hat sich bis heute nicht mit uns getroffen. Man muss sich vorstellen: Es hat unsere Gruppe gebraucht, damit die Professoren überhaupt beginnen, untereinander über Pluralismus zu reden. Zudem werden wir nur von außerordentlichen Professoren unterstützt, haben keinen ordentlichen auf unserer Seite.

Warum nicht?

Göhmann: Weil Professuren nach den Publikationen in wichtigen Journalen besetzt werden. Es ist fast unmöglich, abseits des Mainstreams zu publizieren – zumindest nicht in den wichtigen Journalen. Und nur sie fließen in die Bewertungen ein. So hat sich eine Dynamik entwickelt: Will man im wissenschaftlichen Bereich Karriere machen, wird man zu Konformität gezwungen und kann nicht groß abweichen.

Wie hat sich eurer Leben seit dem Manifest verändert?

Dissbacher: Wir sind bewusst Streber geworden. Niemand würde uns ernst nehmen, wenn wir schlechte Noten hätten und gleichzeitig eine Veränderung der Lehre fordern würden.

WU-Rektor Badelt sagte, dass es an der WU bereits Initiativen wie das Sozioökonomie-Institut gebe, die eure Forderungen bereits umsetzen.

Göhmann: Ich verstehe Badelt in seiner Funktion als Rektor. Es ist auch lobenswert, dass er mit dem Sozioökonomie-Institut eine Stelle schafft, in der kritisch denkende Ökonomen eine Anlaufstelle haben.

Disslbacher: Genau das ist aber das Problem. Denn alles, was als "kritisch" eingestuft wird, wird wieder aus dem VWL-Institut ausgegliedert. Wir wollen aber nicht vom VWL-Institut verdrängt werden, sondern es verändern.

Ihr fordert auch philosophische Aspekte der VWL. Welche sind das?

Göhmann: Zum einen Wissenschaftstheorie an sich. Zum anderen muss diskutiert werden, was überhaupt die Aufgabe der Volkswirtschaft ist. Das ist eine hoch philosophische Frage, der man sich stellen müsste.

Laut Wikipedia ist ein Merkmal der "Neoklassischen Theorie" der Glaube an die unsichtbare Hand. Das klingt religiös. Ist es das?

Göhmann: Schon John Kenneth Galbraith hat geschrieben: "Economics is a system of beliefs". Und genau das ist es auch. Es gibt Dogmen, an denen nicht gerüttelt werden darf. Das Gefährliche ist auch, dass unser gesellschaftliches Denken von dieser Neoklassischen Theorie geformt wird. Wenn man sich aber mit anderen Theorien beschäftigt, nimmt man die Welt aus einem völlig anderen Blickwinkel wahr. Wenn du dann den Wirtschaftsteil einer Zeitung aufschlägst, wirst du wahnsinnig. Alles, was dort steht, basiert letztendlich auf der Neoklassischen Theorie.

Im Mai 2014 veröffentlichte das internationale Studentennetzwerk „International Students Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE)“ im Internet ein Manifest. Darin fordern sie Pluralismus in der Lehre der Ökonomie. Sie kritisieren die fehlende intellektuelle Vielfalt der ökonomischen Lehre – dadurch werde der Umgang mit den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts behindert. Nicht nur die Wirtschaft stecke in der Krise, sondern auch „die Art, wie Ökonomie an den Hochschulen gelehrt wird“. Derzeit würden die Lehrpläne den Stand der Wissenschaft meist nicht abbilden. Das Netzwerk will „die Realität wieder zurück in den Hörsaal holen“.
Dem Netzwerk gehören Wirtschaftsstudenten aus 19 Ländern, darunter auch die Gruppe der WU Wien, an.
Unterstützung erhalten die Studenten von über 230 Forschern weltweit – darunter auch Thomas Piketty, der vor Kurzem mit seinem Buch „Capital in the 21. Century“ für Aufsehen sorgte.

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