#Strategie: Was tun, Twitter-Chef?
Dank ihm konnten die Bilder vom Arabischen Frühling aus der Zensur in die Welt hinaus gelangen. Dank ihm wurden aus einem Hashtag ganze Bewegungen, wie etwa #Aufschrei. Dank ihm wissen wir, dass Chelsea Clinton heuer wieder Mama wird. Der Kurznachrichten-Dienst Twitter versorgt 310 Millionen Menschen auf der Welt mit dem, was sie bewegt. Jeder, der etwas auf sich hält, zwitschert: Die Politiker (@BritishMonarchy), die Stars (@Madonna oder @RealHansZimmer), vergangene Woche twitterte sogar der britische Geheimdienst GCHQ ein erstes "Hello world".
Die Idee von Twitter machte Jack Dorsey (@Jack), 39, reich. Der smarte Programmierer aus Missouri, USA, hat heute laut Forbes eine Milliarde auf der hohen Kante. Gründer werden wollte er aber nie. Als Kind interessierte er sich für Straßenkarten, Verkehrsnetze, das Kleinteilige in der großen Stadt. Weil er unter Sprachproblemen litt, verkroch er sich in seinem Zimmer und lauschte dem lokalen Polizeifunk. Name, kurze Nachricht, over – dieses Staccato in der Kommunikation faszinierte ihn. Manche meinen: So sehr, es hätte ihn zu Twitter viele Jahre später inspiriert.
Aus seinem Werdegang dazwischen lässt sich nur erahnen, wie Dorsey tickt: Er studierte erstmal an der Missouri University of Science and Technology, wechselte später an die New York University. Doch das Studium brach er ab. Er jobbte als Programmierer und entwickelte Leitsysteme für Kuriere und Taxis. Bald schon wollte er botanischer Zeichner werden, ließ sich zum Masseur ausbilden und beschloss auch noch, Modedesign zu studieren. Doch auch dieses Studium brach er ab. Erst 2006 – vor zehn Jahren – wurde Twitter real. Ursprünglich als interne Kommunikation im US-Podcasting Dienst Odea gedacht, fing Dorseys Idee schnell an, sich eigenständig zu entwickeln. Er und seine Co-Gründer Biz Stone, Evan Williams und Noah Glass wollten, dass Twitter wächst. Also musste sich der Dienst abspalten und Dorsey wurde sein CEO.
So ganz die seine war diese Rolle aber nicht. Seine Interessen lagen schnell wieder woanders – diesmal bei Yoga. Für den Sport ging er immer etwas früher als die anderen aus dem Büro, vernachlässigte seine Arbeit. Deshalb musste er den Chefsessel nach zwei Jahren auch schon wieder räumen. "Mangelnde Management-Qualitäten" so die knallharte Begründung damals. Co-Gründer Williams übernahm die Führungsaufgaben, Dorsey wurde gekränkt in den weniger zeitintensiven Vorstandsvorsitz geparkt. Dadurch konnte er sich aber stärker seinen Hobbys widmen. Eines dieser Hobbys wurde Square, Dorseys neues Unternehmen. Das mobile Bezahlsystem kam 2015 mit ihm als CEO sogar an die Börse.
Dorsey, offiziell Single, mit Tattoos, mal Bart, mal langen Haaren, dann wieder Undercut, ist kein großer Medienprofi. Er wird rot, wenn er nervös ist, räuspert sich vor schwierigen Antworten in Interviews. Er wirkt nachdenklich, ruhig. Programmieren verglich er dennoch immer mit seiner Leidenschaft: wildem Punk Rock. "Wir kämpfen immer, wir haben es nicht bequem. Hätten wir es bequem, würde es heißen, wir machen nichts Interessantes."
Sieben Jahre später
Bis Dorsey wieder Chef von Twitter wurde, sollten sieben Jahre vergehen. Nach Williams kam Ex-Comedian Dick Costolo dran, er führte das Unternehmen an die Börse. 2015 warf er aber das Handtuch, der CEO-Posten wurde zu unbequem. Der große Hype um den Nachrichtendienst verpuffte und während Facebook und Snapchat die großen Werbeumsätze absahnten, schaffte es Twitter – trotz ebenfalls guter Umsätze – nie aus den tiefroten Zahlen. Zwei Milliarden Verlust machte das Unternehmen in den vergangenen fünf Jahren. Dorseys neue Teilzeit-CEO-Ära – schließlich führte er auch noch Square – wurde gleich einmal mit einer riesigen Kündigungswelle eingeläutet. Doch er versuchte, gute Stimmung zu machen. Den verbleibenden Mitarbeitern schenkte er ein Drittel seiner Aktien – damals 200 Millionen Dollar wert. Im Mai diesen Jahres sackte der Kurs erneut in den Keller. Die Prognosen sind verhalten.
Was also tun, Chef? Die Strategie scheint immer noch unklar. Dorsey kam diese Woche mit einer möglichen Lösung: die Limits von 140 Zeichen auflösen. Ein großer Schritt für Twitter, ein kleiner für die Menschheit. Damit ginge zudem das Alleinstellungsmerkmal von Twitter flöten. Ob das die Anleger überzeugt? Die Vöglein zwitschern: Das wird Twitter nicht retten.
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