Stellvertreter: In der hierarchischen Zwickmühle
Der berühmteste Stellvertreter der Welt ist wohl der britische Thronfolger. Der 68-jährige Prinz Charles hat seit 47 Jahren die Funktion der Vertretung seiner Mutter, Königin Elisabeth II, inne. In den 70ern vertrat er sie erstmals, heute tut er das hauptberuflich bei Staatsbesuchen und Veranstaltungen.
Eigentlich der ideale Job: Die Chefin repräsentieren, in ihrem Namen handeln, in ihrer Abwesenheit selbst der Boss sein. Ohne dabei die Management-Aufgaben komplett zu übernehmen. Ohne die Verantwortung tragen zu müssen.
Emotionales Auf und Ab
Der Job des Stellvertreters ist aber komplexer, als er aussieht. Auch Prinz Charles wird nicht nur lächelnd Hände schütteln. In der Praxis, im Unternehmensalltag, ist Stellvertretung anstrengend: Man ist ein einer Sandwich-Position, in der man es gleich zwei Seiten – dem Chef und dem Team – recht machen soll. Einerseits ist man enger Vertrauter des Vorgesetzten, ist in Entscheidungsabläufe und Unternehmensinterna eingebunden. Gleichzeitig fungiert man als Sprachrohr der Mitarbeiter nach oben, wird zur Klagemauer für Angelegenheiten, für die die obere Etage keine Zeit findet.
Wie dieses firmeninterne Doppelleben funktionieren kann, zeigt Christian Sauer, Führungskräftecoach und Autor des Buches "Der Stellvertreter". Sein Tipp: "Finden Sie sich damit ab, dass Sie nicht Kapitän sind, sondern bestenfalls Steuermann. Respektieren Sie die Leitungsrolle des Chefs." Gleichzeitig empfiehlt er: "Verzichten Sie als Stellvertreter auf zu große Nähe zum Team." Mit der Beförderung zum Co-Chef bekomme man nämlich einen neuen Status. Einen, bei dem Tratsch mit Kollegen nicht mehr möglich ist – der "Co" könnte es dem Chef ja stecken.
Regeln - für beide Seiten
Um sich in dieser hierarchischen Zwischenwelt zurechtzufinden, braucht es Regeln. Die Rolle des Stellvertreters muss klar definiert und vom Team auch wahrgenommen werden. Der Chef muss sich also überlegen: Wann greift die Vertretung? Welche Befugnisse gibt es? Was ist der informelle Spielraum? Im besten Fall wird Vize, wer auch noch konträr zum Chef ist: Ist dieser älter, braucht es einen jungen, Frauen sollten Männer als Stellvertreter haben.
Auch der Stellvertreter sollte sich überlegen, wie er wahrgenommen werden will. Um nicht zu anbiedernd zu wirken, sollte er dem Chef auch mal widersprechen, rät Sauer. Er sollte aber nicht in die Oppositionsfalle (er kritisiert den Chef zu viel) oder in die Unterwerfungsfalle (er sagt zu allem Ja und Amen) tappen. Und auf gar keinen Fall sollte er in die Rolle des Peitsche-schwingenden Co-Chefs verfallen, der das Team Kraft seiner neuen Macht nervt.
Das Stellverteter-Syndrom
Kommen wir zum Fachlichen: Wer einen Stellvertreter-Job übernimmt, übernimmt auch Führung. Das wiederum heißt, dass man lernen muss, Fachaufgaben zu delegieren. Das fällt vielen Stellvertretern schwer. Dem eigenen Team Arbeit weiterzugeben, fühlt sich befremdlich an. Zudem will man zeigen, dass man besonders belastbar ist. Ein klassisches Stellvertreter-Syndrom. Sauer empfiehlt, gut auf sein Arbeitspensum zu achten und bei Überlastung offen mit dem Chef zu sprechen.
Das Los eines solchen Jobs ist es, in zweiter Reihe zu stehen. Der Job ist aber auch eine Chance für jene, die höher hinaus wollen. Wer lange dran und gut bleibt, kann Karriere machen. Geht der Chef (höher hinauf, in eine andere Firma, in Pension), kann der Vize nachrücken. Berühmtestes Beispiel: Der deutsche Fußball-Nationalmannschaft-Trainer Jürgen Klinsmann und sein "Co" Joachim Löw. Unter Klinsmann wurde die Deutschen Dritter bei der WM 2006. Als sein Vertrag nicht verlänger wurde, stieg Jogi Löw auf. Und übertraf als neuer Chef-Trainer sogar seinen Vorgänger: 2014 kickten sich die Deutschen zum Weltmeister und der einst gute Stellvertreter wurde neuer Superstar.
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