Pariser Jugend: "Jetzt erst recht"
Ich habe Paris auf meinem Auslandssemester vor ein paar Jahren lieben gelernt. Umso verunsicherter war ich, als ich wenige Wochen nach den schrecklichen November-Attentaten erstmals wieder den Ort besuchen sollte, der für mich Freiheit, Weltoffenheit und Lebensfreude bedeutete. Die Reise abzusagen wäre jedoch keine Option gewesen, damit hätten die Terroristen mit ihren Morden genau erreicht, was sie wollten – ein Europa paralysiert vor Angst.
So sehen das auch viele der jungen Menschen in Paris. "Unsere Leben können aufgrund der Attentate nicht stehen bleiben. Die Terroristen sollten etwas ändern, nicht wir. Wenn wir Angst haben, dann haben sie gewonnen", meint die 19-jährige Samanah.
Gerade die jungen Menschen sind jedoch von den Morden tief betroffen – die meisten der Opfer waren in ihrem Alter. "Wir identifizieren uns mit den Opfern der Anschläge. Es hätte jeden von uns treffen können. Denn das sind die prominente Plätze, zu denen wir gehen und jeder kennt dort jemanden, der zumindest am Tag davor dort war. Durch die Taten wurde eine Grenze überschritten, das Recht von Menschen auf Sicherheit und körperliche Unversehrtheit wurde verletzt", meint die Studentin Ralitza.
Für eine bessere Welt
Auch auf der Jugendkonferenz COY vor dem Klimagipfel COP 21, haben einige der Teilnehmer überlegt, zu Hause zu bleiben. Die vielen Schulklassen, die geplant hatten zu kommen, durften das aufgrund einer Anweisung nicht. Noelle, 22, sieht diese Entwicklung kritisch. "Ich finde, es ist das falsche Zeichen, jetzt alles stehen und liegen zu lassen und vor Angst nicht mehr herzukommen oder nicht mehr seine eigenen Interessen und Überzeugungen zu leben." Die Einstellung, jetzt erst recht zu einer besseren Welt beizutragen und aktiv zu werden, teilen viele junge Menschen. "Nach dem ersten Moment des Schocks und der völligen Unsicherheit ist unter vielen eine Aufbruchsstimmung aufgekommen. Jetzt halten wir zusammen, jetzt sind wir eine Gruppe, ich spüre stark gegenseitige Hilfe und Verbundenheit", meint Noelle.
Eine der Organisatorinnen der Konferenz, Neslihan, findet deutliche Worte für diese Widerstandskraft. "Die Ereignisse waren gegen junge Menschen gerichtet, gegen die Tatsache, als junger Mensch in Paris zu leben, Ideen zu haben und den okzidentalen Lebensstil. Wir waren das Ziel." Die Zukunft könne nicht aufgrund einer Krise in der Gegenwart geopfert werden. Ohne die Ereignisse in Paris zu verdrängen, wollen viele signalisieren, dass sie trotz allem für die Angelegenheiten kämpfen, die sie für richtig und fair halten.
Aber die schwer bewaffneten Polizisten vermitteln nicht gerade einen Eindruck von Normalität. Immer wieder kommt es bei der COY auch zu falschen Alarmen. Viele Menschen sind vorsichtiger geworden. Evelina, die vor drei Jahren nach Paris gezogen ist, verrät mir ihre Zweifel. "Ich habe das Gefühl, dass jemand mein Zuhause angegriffen hat. Es fühlt sich seltsam an, sich nicht sicher in Paris zu fühlen. Man beginnt sich zu wundern, wird es diesmal genug sein?"
Neslihan hingegen vertraut auf die Maßnahmen der französischen Regierung, auch wenn ein Rest Unsicherheit bleibt. "Aber das Leben muss weitergehen, in anderen Ländern gibt es viele Bombenattentate und die Menschen nehmen trotzdem ihren Alltag wieder auf. Wir haben keine Wahl." Einigen Franzosen wird nun auch mehr bewusst, was im Nahen Osten passiert, sie beginnen Fragen über die Terrorgruppe, deren Finanzierung und die globalen Zusammenhängen zu stellen.
Natürlich gibt es keine einheitliche Reaktion der Jugendlichen von Paris, sie sind keine homogene Gruppe. Einige haben jemanden verloren und ziehen sich nun zu Hause zurück, um zu verarbeiten, andere versuchen ihr Leben wie davor weiterzuführen, verteidigen trotzig ihren Lebensstil. Mit dem Hashtag "en terasse", zeigen die Jungen in den sozialen Medien fast belustigt, was sie von der Panikmache halten: Sie trauen sich, auf ihre Terrassen zu gehen. Diese Aktion startete ein paar Tage nach den Ereignissen. Die Menschen fühlten sich erdrückt von den Informationen und der Traurigkeit und wollten sich so davon befreien.
Die COY (Conference of Youth) ist eine Jugendkonferenz, die jährlich vor den Klimakonferenzen (COPs) stattfindet. Seit den ersten Zusammenkünften im Zuge der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen sind Jugendliche Teil des Prozesses, seit 2009 sind sie vom Generalsekretariat als vollwertige Gruppe anerkannt. Die Jugendlichen lernen hier den Verhandlungsprozess der internationalen Gemeinschaft kennen und verstehen. Dieses Jahr fand die 11. COY vor der COP21 in Paris statt. Mit 5000 Teilnehmern war sie die größte der bisherigen Jugendkonferenzen. www.coy11.org
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