"Pants on fire" für Politiker-Lügen
An den Wänden hängen politische Karikaturen, in der Teeküche steht nicht nur ein Kühlschrank, sondern auch Präsident Obama als lebensgroße Pappfigur. Das gesamte Büro ist mit zahlreichen journalistischen Preisen und Urkunden dekoriert – darunter auch ein gläsernen Pulitzer, die Auszeichnung ist der „Oscar“ unter den Journalisten.
Politik steht klar im Mittelpunkt von PolitiFact.com. Wenn ich morgens unser Büro in Washington betrete – das noch dazu in Gehweite vom Weißen Haus liegt –, dauert es nie lange, bis auch ich in den Irrungen und Wirrungen der amerikanischen Politik verstrickt bin. PolitiFact.com ist eine Online-Plattform der Tampa Bay Times, vormals St. Petersburg Times, die Statements von Politikern auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft und auf einer Skala von „True“ – wahr – bis „Pants on Fire“ – falsch – benotet. Als Teil meines Auslandssemesters arbeite ich hier im Moment als „Factcheckerin“ an zwei Tagen die Woche.
„Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass ich als Praktikantin vom Weißen Haus zurückgerufen werde.“
Den Morgen verbringe ich immer auf der Suche nach aktuellen Aussagen von Politikern, die kontrovers sind, sich aber gleichzeitig gut überprüfen lassen. Dazu lese ich die Niederschriften aller wichtigen TV-Interviews, checke die Facebook- und Twitter-Accounts von Politikern oder schaue mir Wahlkampfspots an. Aus der Masse an Statements – pro Woche um die 200 – werden zwei bis drei pro Tag ausgewählt und recherchiert. Das stundenlange Lesen von Politiker-Interviews ist zwar ermüdend, gleichzeitig habe ich noch nie an einem einzigen Tag so viel über Politik gelernt wie hier.
Für mehr Transparenz und Seriosität wird am Ende jedes Artikels außerdem eine Liste aller Quellen veröffentlicht, was den journalistischen Posts fast schon einen wissenschaftlichen Eindruck verleiht. Eine weitere Besonderheit sind die extrem hohen journalistischen Standards bei PolitiFact.com – jeder Beitrag muss von drei Chefredakteuren abgesegnet werden, bevor er veröffentlicht werden darf.
Anfangs half ich meinen Kollegen beim Recherchieren für ihre Artikel, aber schon nach zwei Wochen durfte ich meine erste eigene Geschichte über widersprüchliche Aussagen von US-Politikern über die syrischen Rebellen schreiben. Bei der zweitägigen Recherche habe ich nicht nur mit Pressesprechern in Washington telefoniert, sondern auch Kontakt mit Journalisten in Syrien aufgenommen, die mir von ihren Erfahrungen erzählt haben.
Mein nächster Fact-Check war dann ein innenpolitisches Thema: Ein weit verbreiteter Facebook-Post strotzte nur so von Lügen über Obamas neues Krankenversicherungsgesetz und bekam die schlechteste Wertung „Pants on Fire“ von mir. Der Name stammt übrigens vom amerikanischen Kinderreim „Liar, liar, pants on fire.“ Fact-Checks, die mit „Pants on Fire“ benotet werden, sind bei unseren Lesern am beliebtesten. Wie gut mein Artikel ankam, konnte ich dann trotzdem kaum glauben: In nur einer Woche wurde er fast 50.000-mal auf Facebook geteilt.
Die Besonderheit eines Praktikums in Washington ist für mich aber nicht der Internet-Erfolg eines Artikels, sondern das tägliche Herzklopfen-erzeugende Recherchieren: Ich habe mich noch immer nicht daran gewöhnt, dass ich als Praktikantin nicht nur direkt im Weißen Haus anrufen kann, sondern sogar zurückgerufen werde.
Info
Die Storys von Lilly Maier finden Sie auf: www.politifact.com/truth-o-meter/staff/lilly-maier
Lilly Maier, 21, studiert Geschichte an der renommierten Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München. Dieses Wintersemester nimmt die Wienerin am „Washington Semester Program“ mit Spezialisierung „Journalism and New Media“ an der American University in Washington D.C. teil. Bis Februar berichtet Lilly Maier etwa ein Mal pro Monat an dieser Stelle (immer samstags im Karrieren-KURIER) als Korrespondentin über das Studieren, ihr Praktikum bei Politifact.com – einer Online- Plattform der Tampa Bay Times – und über das Studentenleben in Washington.
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