Noch gescheiter? Werden wir nicht

Noch gescheiter? Werden wir nicht
Der IQ-Zuwachs bremst sich massiv ein – Jakob Pietschnig erklärt, warum.

Der Flynn-Effekt besagt, dass der IQ der Menschen in jeder Dekade um drei Punkte zunimmt. Eine neue Studie zeigt: Das hat jetzt ein Ende.

KURIER:Herr Doktor, bisher war die nächste Generation immer intelligenter als die davor. Das hört jetzt auf?

Jakob Pietschnig: Wahrscheinlich.

Werden wir wirklich nicht mehr gescheiter?

Die generellen, kognitiven Fähigkeiten, nehmen nicht weiter zu. Das ist die große Neuigkeit. Worin die Menschen besser werden, ist aber die Spezialisierung. Das wird auch von der Gesellschaft begünstigt. Die fluide Intelligenz nimmt weiter zu, im Gegensatz zur kristallinen Intelligenz, deren Zuwachs sich stark einbremst.

Was ist der Unterschied?

Fluide Intelligenz ist das sogenannte Reasoning, die logische Verknüpfung. Kristalline Intelligenz ist pures Wissen.

Aber wir produzieren doch so extrem viel Wissen.

Stimmt. Aber heute ist es wichtiger, Anforderungen lösen zu können. Stichwort Internet-Datenbanken: Viel Wissen ist schnell abrufbar, ohne es auf der eigenen Festplatte, im Hirn, gespeichert zu haben.

Googeln wir uns dumm?

Es ist kein Ausdruck von geringerer Intelligenz, wenn man eine optimale Zielerreichungsstrategie verwendet. Die Anforderungen ändern sich, deshalb ändert sich auch die Strategie der Menschen.

Es gibt externe Faktoren, die Intelligenz begünstigen, etwa das Wirtschaftswachstum. Im Moment schaut es da wohl nicht gut aus.

Ja, aber das ist nicht der einzige Faktor für Intelligenz. Begünstigend sind auch Ernährung, Beschulung, medizinische Versorgung und Social Multipliers – die Verstärkung von intelligenten Handlungsweisen durch die Umwelt. In unserer Gesellschaft wird abstraktes Problemlösen immer wichtiger. Das fördert diese Form der Intelligenz.

Die IQ-Entwicklung ist in den Ländern verschieden. Warum?Gute Frage, ich kann Ihnen das nicht sagen. Es gibt auch Länder, wo die IQ-Zuwächse insgesamt stagnieren, IQ sogar abnimmt. Aber das zu erklären ist mir noch nicht gelungen.

Könnte es sein, dass ein Land, das viel Entwicklung aufholt, mehr IQ-Zuwachs hat?

Das wäre vorstellbar. Wir haben aber zu wenige Daten aus diesen Ländern.

Seit wann gibt es diese Abflachung des IQ-Zuwachses?

Seit den 70er-Jahren. Offenbar ist ein Plafond erreicht, ich rechne mit weiterer Stagnation und Rückgang. Die Ursachen könnten auch in einem Sättigungseffekt bei den Umweltfaktoren liegen. Ernährung, medizinische Versorgung: Da geht irgendwann nicht mehr. Auch bei der Schulung kann ich mir einen Deckeneffekt vorstellen.

Heißt ein hoher IQ: besonders gescheit?

Heißt: Gescheiter in Abhängigkeit zu einer gewissen Normpopulation. IQ ist aber nicht ein Urteil über die Fähigkeiten und Zielerreichungsmöglichkeiten.

Wie erfolgreich eine Person ist, hat also mit dem IQ nichts zu tun?

Das sage ich auch nicht. Ein gewisser IQ ist schon eine notwendige Bedingung für Erfolg.

Welchen IQ haben Sie?

Da kann ich Ihnen keine Antwort geben. Einerseits ist der Test, den ich gemacht habe, sehr lange her ...

... und war erfreulich? ...

... ja, schon; aber andererseits wäre es unsportlich, würde ich einen IQ-Test machen. Ich kenne alle diese Tests.

Das System zu kennen, macht also einen Vorteil?

Natürlich. Teaching to the test macht einen großen Unterschied. Wenn Sie jemanden auf einen Test hintrainieren, wird diese Person natürlich eine höhere Leistung bringen.

Seit 10 Jahren beschäftigt sich der Psychologe Jakob Pietschnig (geboren 1982) mit Intelligenz, seit acht Jahren im Speziellen mit dem Flynn-Effekt. In einer groß angelegten Metastudie an der Universität Wien hat Pietschnig gemeinsam mit Kollegen Martin Voracek die Daten von vier Millionen Personen aus 31 Ländern und insgesamt 217 Papers ausgewertet. Das Ergebnis: der Flynn-Effekt (bekannt seit 1984), also die kontinuierliche Zunahme des IQs von drei Punkten alle zehn Jahre, bremst sich massiv ein. Das wissenschaftliche Paper ist vergangene Woche erschienen.

Kommentare