New Work: Wissen Sie, was Sie glücklich macht?

Überzog seine Redezeit und bekam dafür Standing Ovations: Frithjof Bergmann
Frithjof Bergmann ist der Begründer des Begriffes, um den sich die moderne Arbeitswelt dreht: New Work. Der Philosophie-Professor ist 86 Jahre alt und erklärt den Jungen, worauf es beim Arbeiten ankommt.

"Wenn ich nicht bei einer New Work-Konferenz wäre, würde ich jetzt mit einer Entschuldigung anfangen. Denn was ich Ihnen heute zu sagen habe, ist sehr, sehr anders."

Der 86-jährige Frithjof Bergmann sitzt im Rollstuhl auf der Bühne, blickt geduldig ins Publikum, lächelt. Seine ruhige Art wirkt magnetisch, er lässt sich Zeit vor jedem Satz, wählt seine starken, lauten Worte mit Bedacht. Er spannt das Publikum auf die Folter.

Der Philosophie-Professor, der als Vater des Begriffes New Work gilt und Neues Arbeiten in den 80er Jahren sogar begründet hat, hat Ansichten, die andere wach rütteln. Gerade deshalb ist er von Xing zur New Work Experience nach Berlin eingeladen worden. Um den jüngeren Generationen zu vermitteln, worauf es heute bei der Arbeit ankommt. Um sie zu inspirieren, sich selbst nicht zu verleugnen.

Heute macht er das ausnahmsweise vor 750 Menschen. Im Brotberuf spricht er sonst vor Studierenden der University of Michigan in Ann Arbor, USA oder der Uni Kassel in Deutschland. Im Laufe seines Lebens gab er seine Thesen aber auch an Studierende der Unis Princeton, Stanford oder Berkeley weiter, beriet Firmen und Regierungen, war weltweit mit seinen ökonomischen, politischen und kulturellen Ansätzen unterwegs. Frithjof Bergmann verschrieb sein gesamtes Leben der Aufklärung darüber, was für den Menschen gut ist, was ihn antreibt. Er war der Gründer des ersten "Zentrums für Neue Arbeit", in dem er Menschen geholfen hat, das zu finden, was sie im Leben machen wollen. Das war 1984 – vor 33 Jahren.

Bergmann philosophiert: "Wenn es um das Thema Arbeit geht, wissen die Menschen nicht, was sie wirklich wollen. Wir nennen das Armut an Begierde. Das Wollen ist ein problematisches Etwas geworden. Dem Menschen ist die Kapazität, etwas zu wollen, abhanden gekommen." Er hält inne. "Schuld ist die Erziehung. Das Organ, mit dem man will, ist abgetötet worden."

Er sagt, das Jobsystem, in dem wir leben, tue dem Menschen nichts Gutes. Und sei von Beginn an kritisch beäugt worden. "Früher, in der Agrarwirtschaft hat die Arbeit den Menschen gestärkt. Heute hingegen macht Arbeit den Menschen krank. Sie zwingt ihn, etwas zu machen, was er nicht will. Jobarbeit, wie sie jetzt ist, ist wie eine milde Krankheit." Er geht noch weiter: "Arbeit ist auch nicht immer edel. Sehr viele Leute auf der Welt sterben täglich bei der Arbeit. Arbeit tötet. Aber Arbeit gibt auch Leben, wenn sie die richtige ist."

Das Neue Arbeiten

Unter Neuer Arbeit, also New Work, versteht Bergmann ein Modell, das nicht Profit, sondern die Bedürfnisse des Menschen in den Vordergrund stellt. Eine befreiendes Bild von einer Arbeit, die "das auslaufende Job-System" ergänzen soll.

Sie hat drei Säulen: Ein Drittel dessen, was man den ganzen Tag macht, sollte der Selbstversorgung dienen, also Arbeit sein, die man für sich selbst macht. Ein Drittel sollte die gewöhnliche Erwerbsarbeit ausmachen – außer man schafft es mit der Selbstversorgung, gänzlich ohne sie auszukommen. Das letzte Drittel – und dieses sei jenes, das am schwierigsten umzusetzen ist – sollte mit einer Arbeit gefüllt sein, zu der man sich berufen fühlt. Einer Arbeit, die man "wirklich wirklich machen will", betont der Professor. Die bestärke den Menschen.

Aber kann das wirklich jeder umsetzen? "Es geht nicht immer unbedingt für jeden, aber die Häufigkeit, dass so viele Menschen überall auf der Welt darauf sehr stark reagieren, ist außerordentlich und unbedingt erwähnenswert", sagt er nach der Konferenz in einem Interview.

Und warum ist gerade das Naheliegende – das, was wir wollen – so schwierig umzusetzen? Die Menschen hätten verlernt, auf sich selbst zu hören, unsere Kultur basiere darauf, sie zu zähmen. "Das ist der falsche Zugang. Zu wissen was man will, dabei unterstützt zu werden und das auch noch zu erreichen – das ist eine ganz neue Art zu leben."

Lernen, sich zu finden

Bergmann erinnert sich an die 70er, an die Automobilindustrie in der US-Stadt Flint, in der er damals sein Zentrum für Neue Arbeit gründete. In den Fabriken war ein ähnlicher Wandel im Gange, wie heute. "Die Automatisierung war Thema, die Menschen am Fließband wurden durch Maschinen ersetzt, viele waren verunsichert. Wir machten damals also einen Vorschlag: Anstatt Massenentlassung sollten die Menschen sechs Monate in der Fabrik arbeiten und die anderen sechs Monate darüber nachdenken, was sie wirklich tun wollen. Wir würden dann versuchen, es ihnen möglich zu machen, damit auch Geld zu verdienen." Die Reaktion dieser Menschen erstaunte Bergmann. "Sie sind zusammengebrochen, haben geweint." Nach 25 Jahren am Fließband neu anzufangen? Geht das überhaupt? Sie seien überfordert gewesen, solche Gedanken kannten sie nicht. "Sie waren es gewohnt, dass man ihnen die Dinge eher ausredet." Aber gerade dieser Moment sei – heute wie damals – eine Chance. "Jene, die sich nicht die Frage stellen, was sie im Leben wirklich wollen, kapitulieren. Sie sind Feiglinge", resümiert der Professor. Wenn Menschen heute feststellen, dass sie ihren alten Job nicht mehr machen wollen, sei das: "großartig. Denn diese Jobs haben die Leute scheinbar geschwächt."

Jenen, die noch keine befriedigenden Antworten darauf gefunden haben, was sie im Leben wirklich wollen, empfiehlt Bergmann, sich zu erinnern, was ihnen in der Vorwoche überraschende Freude bereitet hat. "Es gibt viele Erkenntnisse, die sich daraus herleiten lassen." Und grundsätzlich ist er der Meinung: "Es braucht eine Menge von Zentren für Neue Arbeit. Man sollte die Menschen auf ihrem Weg zu unterstützen."

Die Menschen, die bei der New Work Experience dabei waren, hatten eines gemeinsam: Sie waren Querdenker, Vordenker und Experten was die die neue Kultur des Arbeitens, New Work, angeht. New Work – ein Schlagwort, bei dem man an Tischfußball und Skypen mit den Kollegen denkt. Dahinter steht aber mehr. Es geht um eine Geisteshaltung. Darum, agil zu sein, ein Unternehmen nach den Menschen und nicht nach dem Profit auszurichten. Es geht darum, alte Strukturen und Denkmuster aufzubrechen und neue Wege zu gehen. Das berufliche Online-Netzwerk Xing lud 80 Speaker und 750 Teilnehmer nach Berlin, um in einem 40-stündigen Programm zu inspirieren. Man blickte bei der New Work Experience in die Zukunft, was die Führungskultur betrifft (Firmen werden künftig immer demokratischer von ihren Mitarbeitern geführt), die Mitarbeitermotivation (sie fordern mehr Freiheiten und Eigenverantwortung), Recruiting (es zählt der Mensch, seine Talente und die Passform ins Team, nicht der Lebenslauf) und die Digitalisierung (Deep Learning, also die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, ist die Zukunft).

Unter den Speakern waren etwa Carl Benedikt Frey (Führender New Work Forscher, University of Oxford), die Edition-F-Gründerinnen Nora-Vanessa Wohlert und Susann Hoffmann, Futurist Federico Pistono, Unternehmer Bodo Janssen oder Höhle der Löwen-Investor Ralf Dümmel.

Am Abend wurden jene Unternehmer, die jetzt schon den New-Work-Ansatz leben, prämiert. „New Worker“ wurde neben fünf weiteren Persönlichkeiten der österreichische EU-Botschafter und Watchado-Gründer Ali Mahlodji, in der Kategorie „Etablierte Unternehmen“ ging Platz drei ebenfalls nach Österreich, an das 90-köpfige Team des Steuergeräte-Firma Tele Haase.

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