Nadelstiche für den Wein

Erfinder und Wissenschafter Greg Lambrecht
Greg Lambrecht nützt eine Technologie aus der Medizin für Wein – seine Erfindung macht Millionen.

Am Anfang steht das Problem. Die künstliche Hüfte, die den Japanern nicht passt. Verschlissene Bandscheiben. Die Venenkanüle, in der sich Erreger sammeln. Für solche medizinischen Probleme tüftelt Erfinder Greg Lambrecht an Lösungen. In seiner Heimat Boston arbeitet er mit Kliniken zusammen, kreiert mit Ärzten und Patienten Prototypen, entwickelt Weltpatente.

Ein banaleres Problem löste der MIT-Absolvent in Plasmaphysik und Biomedical Engineering jüngst in zehnjähriger Garagentüftelei. "Die Weinmenge in der Flasche passte nie zu meiner gewünschten Trinkmenge", erklärt er. Wenn er eine Flasche öffnete, musste er sie austrinken, oder wegleeren, oder sie wurde schlecht. Die Aufgabe, die er lösen wollte: Wie kommt man an den Wein, ohne die Flasche zu öffnen? Wie bleibt der Wein, aus dem eine beliebige Menge entnommen wurde, für mindestens fünf weitere Jahre haltbar? Greg Lambrecht löste das Rätsel: Mit einer langen Nadel aus der Wirbelsäulenchirurgie und einer Gaspatrone vom österreichischen Hersteller iSi entwickelte er den Weinöffner Coravin.

KURIER: Ihr Erfinderfeld ist eigentlich die Medizin.

Greg Lambrecht: Ich liebe die Medizin. Man kann dort einen entscheidenden Unterschied bewirken. Mit ein paar Stücken Plastik und Metall.

Wie kommen Sie an Ihre Forschungsaufträge?

Die sind überraschend schwierig zu finden. Das gesamte medizinische Feld ist äußerst veränderungsresistent. Therapien, die jetzt funktionieren, haben bekannte Fehler. Aber etwas Neues hat unbekannte Fehler. Da ist also viel Angst vor Veränderung. Eine neue Erfindung kommt meiner Meinung nach nicht aus einer neuen Technologie, sondern entsteht aus einem Problem.

So ist Coravin entstanden.Wie erfindet ein Erfinder?

Ich setze mich hin und schreibe das Bedürfnis auf. Wie komme ich an den Wein, ohne ihn mit Luft in Verbindung zu bringen. Dafür hatte ich zwei Optionen: durch das Glas oder durch den Kork. Dann dachte ich: In der Medizin stecken wir Nadeln in Flaschen und ziehen Injektionen auf. Das muss auch beim Wein funktionieren.Das Gerät funktioniert aber anders: Sie pumpen Gas hinein.

Daran habe ich seit 1999 geforscht, habe viele Prototypen in der Garage gebaut. Mit Helium, Carbondioxid. Ich bin dann bei Argon gelandet. Und bei einer langen, nicht-stanzenden Nadel, die den Kork zur Seite drängt.

Wie haben Sie den österreichischen Hersteller iSi für die Argonpatronen gefunden?

Durch Zufall. Ich saß in einem Restaurant in Slowenien und redete über meine Erfindung. Am Nebentisch saß der iSi-Inhaber. "Ich höre, Sie brauchen Gas?". Er hat mir einfach eine Tonne nach Hause geschickt, in die Garageneinfahrt gestellt. iSi macht die besten Gaskapseln der Welt, heute sind wir Kunde.

Wie und wann sind Sie in den Markt gegangen?

Das war 2011 in den USA. Wir haben ein Jahr lang Prototypen in 20 Restaurants und bei 50 Privatpersonen testen lassen. Das war eine teure Zeit. Alles ist kaputtgegangen.

Ist das deprimierend?

Nein, das ist gewünscht. Deprimierend wäre es, wenn wir das Produkt launchen und dann alles kaputtgeht. 2013 waren wir marktreif. Robert Parker hat ein Video mit uns gemacht, die Financial Times, die New York Times, Wall Street Journal, CNBC haben berichtet.

Das Gerät kostet 299 Euro, eine Kapsel 9,50. Wie viele haben Sie verkauft?

Über 125.000 Geräte. Und eine Million Kapseln.

Was ist der schwierigste Teil am Erfinden?

Daraus ein Konsumprodukt zu machen. Mit gutem Design, Preis, überschaubaren Kosten, einem Vertrieb. Ich weiß über all das nichts, weil ich normalerweise für Spitäler forsche. Mein Schlüssel: Die richtigen Leute anheuern. Ich habe mittlerweile 50 Personen – in den USA, Europa und neuerdings auch in Asien.

Was macht Sie zu einem erfolgreichen Erfinder?

Der Vorteil Amerikas ist der freie Zugang zu Geld. Wir haben ein gut entwickeltes Risikokapitalsystem. Sehr konservatives Geld wird über Venture Capitals zu sehr aggressivem Geld. Das ist fantastisch. Wir haben außerdem ein System, das Selbstständige unterstützt, sie ermutigt. Als Erfinder hilft mir, wie ich in den USA erzogen wurde: Das Problem sehen, verstehen, es lösen.

Was 1865 in Wien begann ist heute ein Global Player: iSi wurde von Carl Pochtler gegründet, war lange auf Getränkeaufbereitung und -abfüllung spezialisiert. Nach 1945 kam die Schlagobersbereitung dazu, 1961 die Metallwarenfabrik. 1984 zahlte der heutige Eigentümer Christian C. Pochtler, damals 32 Jahre alt und gerade aus den USA zurück, seine Eltern aus und konzentrierte die Firma auf das Kerngeschäft: Verpacken von Gasen in kleinen Druckbehältern. 1995 wurde iSi Automotive gegründet, die vor allem Gasbehälter für Auto-Airbags erzeugt. iSi-Technik steckt in Schlauchbooten, Schwimmwesten, Gaspistolen, Asthmasprays und Feuerlöschern.

Nadelstiche für den Wein
Greg Lambrecht, Weinflaschen-Öffner
Firmensitz: Wien. Exportquote: 90 Prozent. Mitarbeiter weltweit: 750. Mitarbeiter in Österreich: 350. Produktionswerke außerhalb Wiens sind Ungarn, China, Thailand. Umsatz allein im Automotive-Bereich: 42,8 Millionen Euro.

Für Coravin produziert iSi Kapseln mit 250 bar, gefüllt mit dem Edelgas Argon. Coravin funktioniert so: Eine Nadel dringt durch den Flaschenkork, das Gas wird in die Flasche gepumpt, Druck entsteht, der Wein wird durch die Nadel aus der Flasche gepresst. Das Gas bleibt in der Flasche, der Wein kommt nicht mit Luft in Verbindung. Die Nadel wird wieder herausgezogen, der Kork verschließt sich von selbst.

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