Das war’s. Gestern fiel die letzte Corona-Regel. Heute kehrt Österreich auf Beschluss der Bundesregierung in den Normalbetrieb zurück. Die Pandemie geht, ihre Nachwirkungen bleiben. Vor allem auf die Arbeitswelt: Viele haben sich umorientiert oder umorientieren müssen, andere verdauen noch, als nicht-systemrelevant zu gelten. Frauen wurden in ihrer Gleichstellung zurückgedrängt. Die Digitalisierung ist vorgeprescht und mit ihr das Bedürfnis nach flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice.
Andere Branchen, in denen hybride Arbeitsmodelle nicht zur Diskussion stehen, sind zur alten Normalität zurückgekehrt. „Es ist vermutlich der größere Teil, auf den das zutrifft“, sagt Soziologe Jörg Flecker. „Ich stelle mir vor, dass die Müllabfuhr gleich arbeitet wie vor der Pandemie und sehr weitgehend auch der Tourismus oder das Bildungswesen.“
Sofern ihnen die Personalnot keinen Strich durch die Rechnung macht. Denn standen vor der Pandemie die Arbeitslosen im Fokus, hat sich der Diskurs danach gedreht. „Jetzt wird alles von der Diskussion über den Arbeitskräftemangel überdeckt.“ Das ist die wohl bedeutendste Veränderung, die der Soziologe den Folgen der Pandemie zuschreibt.
Während also schon die neue Krise die alte überlagert, bleibt gerade noch Zeit, zehn große Veränderungen zu reflektieren, die in den vergangenen drei Jahren für viele zur neuen beruflichen Lebenswelt wurden.
1. Verhärtete Fronten
„Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Berufsgruppen haben sich verschärft“, erklärt Soziologe und Vereinsobmann der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt (FORBA) Jörg Flecker. „Da hat die Pandemie sicher einen Schub gebracht.“ Denn während die einen über Homeoffice und hybride Arbeitsmodelle debattieren und damit in der öffentlichen Wahrnehmung viel Anklang finden, sind Arbeiter und Systemhelden der akuten Pandemiephase wieder in den Hintergrund gerückt.
„Angestellte wurden sichtbarer als die Menschen, die in Fabriken arbeiten oder an der Supermarktkasse“, sagt Flecker. „Die kurze Zeit der Wertschätzung war schnell vorbei.“ Auch danach sei bei lebensnotwendigen Berufsgruppen nicht viel passiert, merkt Flecker an. Einkommensunterschiede seien selbst bei relativ hohen Gehaltsabschlüssen nicht ausgeglichen worden, Arbeitszeiten nicht verkürzt.
„Wir stellen generell fest, dass sich Benachteiligungen kumulieren“, erklärt der Soziologe. „Wer härter und körperlich schwerer arbeitet, hat unsicherere Jobs und wird schlechter bezahlt.“ Bei Vorteilen würde dasselbe Prinzip gelten, nur im positiven Sinn. „Das ist schon ein Ausmaß an Ungleichheit, das sehr problematisch ist“, fasst Flecker zusammen.
2. Zu Hause arbeiten
Vor Corona war es ein Nischenprodukt, heute hat sich das Arbeiten von zu Hause etabliert. Zumindest bei jenen Personen, deren berufliche Tätigkeit das auch zulässt.
Viele sind das nicht: Nur 10,8 Prozent der unselbstständig Erwerbstätigen haben laut Statistik Austria 2022 regelmäßig im Homeoffice gearbeitet. Das theoretische Potenzial wäre jedoch weit höher – das Wifo schätzt es auf 45 Prozent. Adi Buxbaum, Sozialexperte der Arbeiterkammer (AK), hält es für realistisch, dass zwei von zehn Arbeitnehmern tatsächlich Homeoffice nutzen können.
Neben bekannten Vorteilen (Wegfallen der Anfahrtszeit, höhere Produktivität), birgt die neue Flexibilität auch Risiken. Speziell für Frauen kann es zur Karrieresackgasse werden, thematisierte die AK vergangene Woche bei einer Veranstaltung. Häufig würden nebenbei Kinder betreut werden. Den höchsten Homeoffice-Anteil sollen Mütter von Kindern unter sechs Jahren aufweisen.
„Eine Vereinbarkeitsstrategie ist Homeoffice aber nicht“, kritisierte AK-Expertin Ines Stilling. Dazu ergänzte Florian Spitzer vom Institut für Höhere Studien (IHS): Sichtbarkeit und Karrierechancen würden immer in einem Zusammenhang stehen. Wer nicht sichtbar ist, wird folglich beim Aufstieg nicht berücksichtigt.
3. Anders orientieren
1.335.308 Personen waren während der Pandemie in Kurzarbeit. Der Beschäftigungseinbruch brachte viele dazu, sich neu zu orientieren „und eine Stelle zu finden, wo der nächste Lockdown nicht den Job kostet“, erklärt Soziologe Jörg Flecker. Besonders Branchen, die immer schon starke Fluchtbewegungen aufwiesen, seien davon betroffen. Dazu zählt das Hotel- und Gastgewerbe, wie eine Erhebung des IHS veranschaulicht.
Lediglich 31 Prozent der Gesamtbeschäftigung wurden nicht von Kurzarbeitspersonen erbracht. Die Anteile von mittellangen Tourismuskarrieren sind daher um 16 Prozent gesunken. Immerhin die langen Karrieren konnten durch die Kurzarbeit in der Branche gehalten werden. Was mit jenen passiert ist, die gewechselt haben?
Gehaltsexperte Conrad Pramböck hat eine Erklärung: Mitarbeiter aus dem Dienstleistungssektor wären in anderen Branchen sehr beliebt – weil sie ein niedriges Gehaltsniveau gewohnt sind und harte Arbeit gelernt haben. „Wenn jemand in anderen Branchen, für weniger körperlich anstrengende Arbeit ein Drittel mehr verdient, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, zurückzukehren“, so Pramböck. Hinzukäme die Dynamik des aktuellen Arbeitnehmermarkts, so Flecker: „In einer Zeit, in der viele Unternehmen Personal suchen, ist es leichter, sich umzuorientieren.“
4. Arbeit neu messen
„Leistung heißt Arbeit in der Zeiteinheit“, erklärt Arbeitsrechtsexperte Wolfgang Mazal. Durch zunehmend hybride Modelle sei nur die Überprüfung der geleisteten Arbeit zu einer Herausforderung geworden – besonders für Führungskräfte. Die sogenannte Produktivitäts-Paranoia schlägt zu: Mitarbeiter empfinden sich als zunehmend produktiver (was auch wissenschaftlich belegt ist), Arbeitgeber können das durch die Distanz aber nicht glauben.
Der Blick auf das Ergebnis und nicht den Weg dorthin wird stärker. „Es gibt die Evidenz, dass die Arbeitsverdichtung zunimmt. Dass man mehr in derselben Zeit leisten muss“, sagt Wifo-Ökonom Stefan Angel. Aus dem Arbeitsvertrag ablesen könne man den Fokus auf den Output jedoch nicht. „Es gibt keine Vertrauensarbeitszeit in Österreich – also ein Modell, bei dem nur Ergebnisse definiert werden“, so Angel.
5. Sozial distanzieren
„Zu unseren wichtigsten psychologischen Grundbedürfnissen zählt die soziale Zugehörigkeit“, erklärt Arbeitspsychologin Anna Lammert-Hejl. „Das Gefühl, sich eingebunden zu fühlen.“ Etwas, das durch hybride Arbeitsweisen immer schwieriger geworden ist, so die Psychologin: „Hier gibt es eine negative Entwicklung, denn für Vertrauen ist die persönliche Begegnung essenziell.“
Fehlt diese, würden Mitarbeiter laufend den Bezug zum Unternehmen verlieren, erklärt Organisationspsychologe Bardia Monshi: „Menschen binden sich nicht an Unternehmen, sie binden sich an Menschen.“ Arbeitet man vermehrt alleine, sei man eher gewillt zu wechseln, so Monshi. Das bestätigen auch zahlreiche aktuelle Studien, darunter die des Personaldienstleisters Randstad: Jeder Fünfte will bald Job wechseln, heißt es darin.
6. Beengt sitzen
Wer noch einen eigenen Schreibtisch hat, genießt ein besonderes Privileg (sofern man dem noch etwas abgewinnen kann). Denn mit vermehrter Abwesenheit kam auch der Zug zur Flächenoptimierung. Im kürzlich erschienenen Office Report des Raumkonzepte-Gestalters teamgnesda sehen 83 Prozent der Befragten Bedarf, die vorhandene Fläche effizienter zu gestalten.
Bedeutet: Sharing-Modelle, in denen maximal acht Schreibtische auf zehn Personen kommen (das trifft auf 90 Prozent der Befragten bereits zu). Sowie die drastische Reduktion. Rund 30 Prozent weniger Platz pro Mitarbeiter würde es künftig brauchen, so die Ergebnisse des Reports. Das macht für Wien eine prognostizierte Reduktion von 500.000 Quadratmetern. Erfreulich für die Unternehmen und deren Mietkosten, beschwerlich für den Immobilienmarkt.
7. Effizient reisen
Die voestalpine hält Termine vorzugsweise jetzt digital ab, Kranhersteller Palfinger hat Geschäftsreisen mehr als halbiert. „Das wird auch so bleiben“, sagte der Unternehmenssprecher in einem Interview. An der Zahl der Dienstreisen zeigt sich das noch nicht. 2022 ist man mit 3,06 Millionen Menschen, die beruflich unterwegs waren, fast auf Vorkrisen-Niveau (3,63 Millionen) angelangt.
Dennoch: Fragt man die Betriebe, werden persönliche Treffen, sofern möglich, effizienter gestaltet und genau selektiert. Laut dem Geschäftsreisetrend 2023 des Beratungsunternehmens Aon machen das immerhin 44 Prozent. Das Ziel? Zeit und Kosten sparen sowie den CO2-Fußabdruck minimieren. Im Vorjahr waren deshalb beruflich erstmals mehr Menschen mit der Bahn unterwegs als mit dem Flugzeug.
8. Leger auftreten
Spätestens als die Politik ihre Krawatten im Schrank ließ und im weißen Sneaker die nächste Pressekonferenz bestritt, hat sich der Kleidungsstil auch branchenweit gelockert. Selbst im streng konservativen Bankensektor sei es nicht mehr verpönt, den Berater in Sakko und andersfarbiger Hose anzutreffen, erklärt Hermann Fankhauser, Mode-Professor an der Uni für Angewandte Kunst.
Während manche Modetrends nur eine saisonale Erscheinung sind, sieht Stilberaterin Margit Kratky hier eine langfristige Veränderung. „Hat man das Legere einmal eingeführt, lässt sich das Rad nicht mehr zurückdrehen“, so Kratky.
9. Anders genesen
Die Maskenpflicht in Arbeitsstätten ist Geschichte. Vereinzelt getragen, wird sie aber noch. Irritieren kann uns das längst nicht mehr, wenn auch das „akribische Hygiene-Verhalten nicht mehr so präsent ist“, sagt Arbeitspsychologin Anna Lammert-Hejl. Jedoch: Der Umgang mit unserer Gesundheit ist schleißig geworden. Der Arbeitsklimaindex des Instituts für empirische Sozialforschung (IFES) zeigt einen gefährlichen Trend. „Der Anteil derer, die gearbeitet haben, obwohl sie krank waren, ist auf 50 Prozent raufgegangen“, erklärt IFES-Geschäftsführer Reinhard Raml. Homeoffice würde die Schwelle senken, trotz Krankheit verfügbar zu sein.
10. Vernetzt reden
„Persönlich, telefonisch oder via Teams?“ Ob Gespräche oder Termine im Arbeitsalltag nun physisch oder digital stattfinden, ist eine berechtigte Frage. Die Kommunikationskanäle haben sich erweitert und mit ihnen die Möglichkeiten, miteinander zu sprechen. Allein im ersten Pandemiejahr hat sich die Nutzung von Microsoft Teams laut Statista vervierfacht. 2022 belief sich die Zahl der täglichen Nutzer auf 270 Millionen.
Und das ist nur ein Anbieter von vielen: Zoom, Skype, Webex, Google Meet etc. zählen zu den bekanntesten. Welche App man nutzen möchte, bleibt eine Frage des Geschmacks oder der Unternehmensvorschrift.
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