Meisterschaft der Wortgefechte
Gregory Waddell blickt zur Jury. Er ordnet seine Notizen, räuspert sich und zupft sein Sakko zurecht. Als er die "Ladies und Gentlemen" begrüßt, drückt eine Jurorin auf die Stoppuhr. Ab jetzt hat er sieben Minuten Zeit, um in seiner Rolle zu überzeugen: Er vertritt eine fiktive Regierung und soll vor der Opposition argumentieren, dass Konzerne, die in westlichen Ländern Geschäfte machen, die ökologischen Standards dieser Länder über ihre gesamte Wertschöpfungskette hinweg implementieren müssen.
Der Brite ist angespannt. Seine Stimme aber bleibt fest. Schnell und präzise trägt er Argument um Argument vor. Er verknüpft Wirtschaft mit Politik, bezieht gesellschaftliche und arbeitsrechtliche Aspekte mit ein, veranschaulicht mit Beispielen aus Geschichte und aktuellem Weltgeschehen. Denkpausen macht er dabei keine. Schnell erreicht er seine Rede-Routine und vergisst die herausfordernde Situation, in der er sich befindet: Er vergisst, dass er erst 18 Jahre alt ist. Er vergisst, dass er nur 15 Minuten Vorbereitungszeit für seine Rede hatte. Er vergisst, dass er gerade an den Europäischen Meisterschaften im Hochschuldebattieren teilnimmt und mit Worten gegen 649 andere Studierende kämpft. Er spielt nichts mehr, er ist komplett in seiner Rolle aufgegangen.
Nach exakt sieben Minuten bekommt er den verdienten Applaus. Jetzt ist die Opposition dran. Nach ihr ist Gregory’s Team- und Studienkollegin, die 20-jährige Studentin Mehrunnisa Mehboob, zum Aushebeln der Oppositions-Argumente an der Reihe. Je ein weiteres Regierungs- und Oppositions-Team hat dann die Aufgabe, noch besser als ihre Kollegen zu argumentieren. Mehr als eine Stunde wird lautstark und rasant debattiert. Gregory und Mehrunnisa überzeugen und werden in dieser Runde Zweite. Beide erzählen später, Debattieren würde "einfach nur Spaß" machen. Mehrunnisa ergänzt: "Zugegeben, es ist ein bisschen ein abgedrehter Spaß".
Im Wettkampf
Bei der Debattier-EM, die diese Woche an der WU Wien stattfand, bekam man ein Kräftemessen der anderen Art geboten. Hier gewinnt, wer belesen und wortgewandt ist, den Clinch und den eloquenten Kampf liebt. Schüchternheit ist fehl am Platz und unter den Teilnehmern auch nicht zu finden. Wer hier mitmacht, hat überdurchschnittlich viel Grips und Mut. "Das hier ist die Elite aller europäischen Unis", erklärt Marietta Gädeke, die selbst früher debattierte und nun die Meisterschaft mitorganisiert.
121 Hochschulen aus ganz Europa, aber auch aus Aserbaidschan, Katar und Israel entsandten je ein Zweier-Team (im Vorjahr erfolgreiche Unis durften mehrere schicken), um in zwölf Debattier-Runden den Sieg zu holen. Die Jurys bewerteten dabei ihre Argumentations-Techniken – der Inhalt müsse ohnehin sitzen. Leicht zu erfassen ist dieser aber nicht: "Das Haus befindet, dass gewählten Politikern das Medianeinkommen ihres Landes bezahlt werden soll" oder "Das Haus ist der Meinung, dass westliche Länder keine privaten Rüstungsunternehmen im Krieg beauftragen sollten", sind nur zwei der vielen Streitfragen. Zudem erfahren die Studierenden nur wenige Minuten vor ihrer Debatte, worüber sie reden werden – und ob sie pro oder contra sind. Ein Umstand, der gewöhnlich Stress auslösen würde. Hier aber nicht.
"Für uns ist es nicht schwer, solche Thesen zu diskutieren. Man hat ja einen guten Überblick übers Weltgeschehen", sagt Aline Fleetwood, 24, die in Schweden studiert. Sie und ihr Kollege Denizhan Kilic, 27, debattieren – wie alle hier – schon seit Jahren mit Leidenschaft. Aline erklärt, dass sie das weiterbringt. Nicht nur persönlich und fachlich, es trage auch zur Bildung mündiger Bürger bei. "In dem du dich in andere Rollen hinein versetzen musst, hinterfragst du auch öfter deine eigene Meinung – und lernst, unvoreingenommener und weltoffenerer zu denken."
Die besten Bilder:
Diese Woche fand zum 16. Mal die European Universities Debating Championship, kurz EUDC, statt. Das zweitgrößte Debattier-Turnier der Welt – übertroffen nur von der WM– fand erstmals in Wien statt und lockte 650 Studierende aus 26 Ländern und 121 Universitäten an die WU. Fünf Tage lang debattierten Zweier-Teams zu spannenden und anspruchsvollen Wirtschaftsfragen. Veranstaltet wurde die EUDC vom Debattierklub Wien, der auch den jährlichen internationalen Bewerb Vienna InterVarsity ausrichtet. Neben der neun Debattier-Runden genossen die Uni-Delegationen auch ein volles Kultur- und Party-Programm.
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