Matura - Abschluss ohne Aussicht?
Was hat der Schüler von der Matura? Und was bringt sie dem Arbeitgeber? Personal-Expertin Manuela Lindlbauer, Unternehmensberater Philipp Belcredi und Matthias Roland, Chef der Maturaschule Dr. Roland, diskutierten über den Sinn der Matura und fehlende Kompetenzen.
KURIER: Am Montag starteten die ersten Schulen mit der Zentralmatura. Wie stehen Sie zur neuen Reifeprüfung?
Matthias Roland: Ich finde sie in keiner Weise sinnvoll. Ich verstehe den Sinn einer Prüfung nicht, die am Ende der Bildungslaufbahn steht und keinen Nutzen für den Schüler hat. Ich spüre im Moment sogar eine große Angst unter Schülern und Lehrkräften bei der Vorbereitung auf diese Prüfung: Die Beispiele sind ja zentral vorgegeben, kommen nicht von den eigenen Lehrern und orientieren sich auch nicht am Stoff, der in der Schule durchgenommen wurde. Es kommt somit zu einer Nivellierung nach unten. Ich lehne die zentrale Prüfung in dieser Form ab.
Welche Alternativen könnte es zur Zentralmatura geben?
Matthias Roland: Würde eine zentrale Prüfung oder etwa zentrale Schularbeiten semesterweise schon viel früher stattfinden und die Leistungen schon vor dem Abschluss evaluiert – damit sich die Schüler noch verbessern können – würde ich den zentralen Ansatz schon verstehen. Diese Schularbeiten dürften dem Schüler nur keinen Nachteil bringen. Sie müssten dadurch die Möglichkeit haben, sich noch zu verbessern.
Macht eine Zentralmatura die Schüler für Unis und Arbeitgeber nicht besser vergleichbar?
Manuela Lindlbauer: Die Tendenz geht dahin, dass Unternehmen individuelle Menschen wählen, sich für Ecken und Kanten entscheiden. Um diese zu bekommen, muss sich das Ausbildungssystem aber ändern. Die Menschen brauchen heute viel Eigenverantwortung und sehr viel Selbstständigkeit bei dem, was sie tun. Im aktuellen Bildungssystem werden alle brav durchgeschoben, nicht passend gefördert. Viele Mitarbeiter sind später überfordert, weil sie es niemals anders gelernt haben.
Welches Wissen wird Maturanten nicht vermittelt?
Philipp Belcredi: Es sollte nicht darum gehen, was zu einem Zeitpunkt abrufbar ist, nicht nur Reiz und Reaktion abprüfen. Bei meiner Arbeit mit Menschen in Veränderungsprozessen sehe ich heute: Diejenigen, die die Matura und den klassischen universitären Bildungsweg gegangen sind, stoßen oft an ihre Grenzen, wenn es darum geht, komplexe Veränderungen zu stemmen oder zu führen. Dann sind plötzlich jene gefragt, die in der Schule die Enfants terribles waren. Die, die querdenken können und frei sind, Ideen zu produzieren, neue Wege zu beschreiten, Fehler zuzulassen. Wir müssen uns fragen: Wie können in Schulen Inhalte produziert werden, damit wir später Menschen mit den passenden Eigenschaften für die Arbeitswelt bekommen?
Was ist das Zertifikat Matura heute also noch wert?
Manuela Lindlbauer: Die Arbeitgeber sagen: Die Matura ist ein Muss, besonders, wenn man die klassische Konzern-Karriere anstrebt. Doch teilweise kommen dann Maturanten zu uns, die kein Wort Englisch sprechen. Das ist schlecht, das wertet den gesamten Abschluss ab. Den Jugendlichen mangelt es zudem gewaltig an sozialer Kompetenz. Sie haben zwar einen Beleg für ihre Hardskills, schaffen es aber nicht, dieses Wissen richtig „on the road“ zu bringen. Wir merken, dass die Jugendlichen an der klassischen Kommunikation und an einem Wertesystem, das sie nie erlernt haben, scheitern – im Lehrlingsbereich sogar noch viel mehr.
Philipp Belcredi: Es bringt eben nichts, nur die Hardskills zu beherrschen. Überall dort, wo es menschelt, kommen Leute heraus, die eine höhere soziale Kompetenz haben, die mehr Gestaltungsfreude haben, die mehr Verantwortung übernehmen.
Matthias Roland: Schule muss wesentlich mehr sein als bloße Wissensvermittlung. In der augenblicklichen Entwicklung sehe ich Schwierigkeiten. Das, was Schule eigentlich ausmacht, wird kaputt gespart. Es geht ums Turnen, Theaterspielen, Wandertage, Ausflüge ins Museum – das tut sich heute kein Lehrer mehr an, denn der Verwaltungsaufwand ist für sie schlicht zu hoch geschraubt worden.
Achten Sie bei der Rekrutierung eigener Mitarbeiter auf die Matura?
Matthias Roland: Unsere Lehrkräfte haben alle einen akademischen Abschluss.
Manuela Lindlbauer: Wir schauen schon auf die Matura. Mir geht es aber auch um Allgemeinbildung und Persönlichkeit. Welche Noten bei der Matura erreicht wurden, ist uninteressant.
Philipp Belcredi: Ich achte auf die Glaubwürdigkeit des Menschen.
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