Lehre bei Siemens: Wo die virtuellen Funken fliegen
Der Helm drückt schwer auf den Kopf. Die Brille sitzt etwas schief. Die Finger unter den Handschuhen sind vor Aufregung feucht und die Hände zittern beim ersten Versuch. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren. Dann drückt der Zeigefinger auf den Schalter. Das Schweißgerät heult auf. Funken sprühen.
„Steiler halten. Und näher ran ... nein, nicht so nahe. An der Kante bleiben“, gibt Melanie Hutterer Kommandos. Sie selbst gilt als Profi in Sachen Schweißtechnik. Die Hände zittern immer noch, entsprechend unförmig wird die Schweißnaht. Egal, jetzt weitermachen – die blauen Pfeile, die die Richtung vorgeben, laufen sonst davon.
Nach einer gefühlten Ewigkeit ist die Übung zu Ende. 60 Prozent hat der Probe-Lehrling erreicht, so die traurige Bilanz des Virtual Reality-Schweißsimulators. „Um zu bestehen, bräuchtest du mindestens 80 Prozent“, erklärt Hutterer.
Die 18-Jährige ist eine von insgesamt 400 jungen Menschen, die derzeit eine Lehre bei Siemens Österreich machen. Der Technologiekonzern hat den KURIER an diesem Tag in die Siemens City in Wien Floridsdorf eingeladen, um im Selbstversuch den Alltag eines Siemens-Lehrlings kennenzulernen. Keine leichte Übung – wie sich nicht erst beim Schweißsimulator zeigt.
Eigentlich sollte Hutterer bereits im vierten Lehrjahr sein, die Geburt ihrer Tochter hat sie in ihrer Ausbildung allerdings um ein Jahr zurückgeworfen. Heute ist das Kind im Betriebskindergarten und die angehende Elektrotechnikerin voller Tatendrang zurück in der Lehrwerkstatt. Ihr Arbeitgeber legt Wert darauf, Mädchen in Technikberufen zu fördern.
Technische Vielfalt
„Hier in Floridsdorf bilden wir aktuell 50 Jugendliche in den Modulberufen Mechatronik und Elektrotechnik-Energietechnik aus“, erklärt Lehrlings-Trainer Walter Panek.
Die Ausbildung ist facettenreich: Neben dem Schweißsimulator stehen den Lehrlingen auch ein 3D-Drucker, verschiedene Industriefräsen, eine automatisierte Miniatur-Fertigungsstraße, die Zuckerl in verschiedenfarbige Dosen verpackt, sowie diverse große und kleine Werkzeuge zur Verfügung.
Panek und seine Kollegen legen aber auch Wert darauf, dass der Stoff in der Theorie sitzt. An diesem Vormittag liest etwa eine Gruppe Elektrotechniker im ersten Lehrjahr in ihren Theoriebüchern, um sich auf eine anschließende Praxisübung an haushaltsüblichen Verteilerkästen vorzubereiten.
60 Prozent der Siemenslehrlinge absolvieren ihre Facharbeiterprüfung mit Auszeichnung, erzählt Panek stolz.
Ein schlaksiger Bursche mit dunklen Haaren steht auf und spricht Panek an. „Ich bin gerade beschäftigt, frag doch bitte Herrn Kretek“, verweist der den Lehrling an seinen Trainer-Kollegen.
„Das ist einer unserer Lehrlinge mit Autismus. Wir gehen auf ihre Bedürfnisse ein. Dazu gehört auch, dass sie lernen, dass wir manchmal keine Zeit für sie haben.“
Diversität
Fünf Lehrlinge mit besonderen Bedürfnissen nimmt Siemens pro Jahr ins Ausbildungsprogramm auf, aktuell sind 18 von ihnen in Ausbildung. Schwerpunktmäßig sind das Jugendliche mit diagnostizierte Autismus-Spektrum-Störung und Jugendliche mit vermindertem Hörvermögen.
Der Probelehrling vom KURIER bekommt unterdessen eine bewusst einfache Aufgabe: Aderendhülsen auf Drähte montieren und unter Anweisung von Hutterer in den Verteilerkasten anschließen. „Wenn Sie einmal genug haben vom Journalismus, können Sie sich ja bewerben“, sagt Panek und lacht.
Das Auswahlverfahren für die rund 100 heuer zu besetzenden Stellen sei aber streng. „Wer es schafft und sich gut anstellt, wird dafür belohnt: Mit Überbezahlung, freien Fenstertagen und Betriebsausflügen, etwa zum Skifahren.“
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